Jenseits von Frida Kahlo und Diego Rivera
Mexikanische Kunst in Èpinal: Das Museum zeigt eine Retrospektive über einen posthum berühmt gewordenen Karikaturisten.
ÉPINAL Seine Bildsprache ist weltweit bekannt, doch den Künstler selbst kennen die wenigsten, gerade außerhalb seiner mexikanischen Heimat. Nun widmet ihm das Museum der Imagerie von Épinal die erste Retrospektive in Frankreich. In dieser Ausstellung kommt der mexikanische Kupferstecher und Karikaturist José Guadalupe Posada zu Ehren. Posada, nie gehört? Aber sicher schon gesehen. Erst recht, wenn alljährlich im Herbst wieder Fotos von den Feiern des Tags der Toten, dem Día de los Muertos, um die Welt gehen.
José Guadalupe Posada (18541913) begann seine künstlerische Karriere als Helfer in einer Keramikwerkstätte und als Zeichner religiöser Bilder. Später lernte er die Technik der Lithografie und arbeitete als Karikaturist für mexikanische Zeitungen, illustrierte aber auch Kinder- und Geschichtsbücher. Zu Lebzeiten wurde er bekannt für seine Calaveras – subversive Skelette, die lebendig geworden, ganz normalen menschlichen Tätigkeiten nachgehen. Solche Skelett- und Totenkopfdarstellungen haben in der Region eine lange, wenn nicht gar vorspanische Tradition, und finden sich ähnlich in den Totentanz-Allegorien des europäischen Mittelalters. Aber die technische Perfektion und die fröhliche Burleske, mit denen Posada das Motiv umsetzt, suchen zur damaligen Zeit ihresgleichen. Die Ausstellung „Posada, génie de la gravure“zeigt 177 seiner Werke, auch mit Calaveras.
Posada starb verarmt, wurde aber, als die Avantgarde seiner Heimat ihn in den 1920ern wieder entdeckt, posthum vor allem für eine seine Karikaturen berühmt. Mit la Catrina hatte er während der mexikanischen Revolution, die um 1910 ausbrach, eine Figur perfektioniert, welche die vorrevolutionäre mexikanische Oberschicht verlacht: Eine lachende Dame mit extravagantem Hut nach europäischer Mode, die unter dem feinen Putz doch nur ein einfaches Skelett ist. Als Diego Rivera, der zu Mexikos drei großen Malern der Moderne zählt, die Catrina 1947 in seiner Wandmalerei „Sonntagsträumerei in der Alameda“aufgreift und sie zwischen sich, Posada und Frida Kahlo darstellt, hat die Figur ihren Weg ins kollektive Gedächtnis gefunden. Es heißt zuweilen, auch Filmregisseur Tim Burton hätte sich für seine Skelettfiguren hier inspirieren lassen. Jedenfalls ist la Catrina längst symbolisch für den Tag der
Toten in Mexiko und wird zu diesem Feiertag häufig dargestellt.
Das Museum in den französischen Vogesen beherbergt auch die Sammlung der Imagerie von Épinal, die heute als letzte noch verbliebene Bilderbogendruckerei fortbesteht. Die Sammlung mit rund 100 000 Drucken ist einzigartig in Europa. Die vor allem in Frankreich legendäre Imagerie wurde 1796 vom Spielkarten-Drucker Jean-Charles Pellerin gegründet, der hier vor allem Bilderbögen drucken ließ, die im 19.
und frühen 20. Jahrhundert unter anderem von fahrenden Händlern und auf Jahrmärkten verkauft wurden. Die Bilderbögen waren ein frühes, auch sehr farbiges Medium, das Nachrichten verbreitete, aber auch Propaganda, Heiligengeschichten, Ratschläge, Anweisungen, Kriegsszenerien und Unterhaltung für Kinder und Erwachsene. Vor allem bei der Landbevölkerung und wenig gebildeten Städtern waren die Bögen beliebt. Die Imagerie von Épinal wurde vom französischen Wirtschaftsministerium als „entreprise du patrimoine vivant“, als Unternehmen des lebendigen Kulturguts, ausgezeichnet. Heute werden in dieser Bilderbogenmanufaktur unter anderem Neuauflagen von Sammlungsklassikern, Panoramabilder und Kunsttapeten, aber auch Kooperationen mit zeitgenössischen Künstlern wie den BD-Machern Joann Sfar und François Schuiten gedruckt. Im angegliederten Museum, in dem die Sammlung und die Ausstellung über Posada zu sehen sind, werden die verschiedenen, hier noch heute genutzten Druckverfahren an Originalmaschinen und mit Originalwerkzeugen vorgeführt – vom Steindruck bis zum industriellen Schablonendruck.
Die Ausstellung „Posada, génie de la gravure“ist noch bis zum 18. September im Museum der Imagerie von Épinal, 42 quai de Dogneville, zu sehen. Eintritt 6/4,50 Euro, unter 18 Jahren gratis. Bis 31. August geöffnet: täglich von 10 bis 12.30 und 13.30 bis 18 Uhr sowie montags von 13.30 bis 18 Uhr. Von 1. September bis 30. Juni geöffnet: montags von 14 bis 18 Uhr, dienstags bis samstags von 9.30 bis 12 und 14 bis 18 Uhr, sonntags und feiertags von 10 bis 12 und 14 bis 18 Uhr.