Wo früher „das Ende der Welt“war
Das Dorfleben hat seinen eigenen Reiz. Wir haben uns saarländische Dörfer angeschaut, in denen weniger als 1000 Menschen leben. Diesmal geht es an die Grenze zu Luxemburg nach Sinz.
SINZWer in Sinz, als Ortsteil der Gemeinde Perl in den Ausläufern des West-Saarlandes direkt an der Grenze zu Luxemburg gelegen, den Blick schweifen lässt, sieht pittoreske Naturkulisse. Weite Felder, große Streuobstwiesen, viel Grün. Nur dann und wann am Horizont sich abzeichnend einige Windkrafträder. Gerade im Sommer hängt hier so ein gewisses goldenes Flirren in der Luft. Hier in Sinz scheinen die Uhren anders, langsamer, zu ticken. Sinz ist ein ruhiges, gediegenes Dorf. Sinz ist ländliches Natur-Idyll. Sinz war einmal: Das Ende der Welt.
Michael Fixemer, Ortsvorsteher von Sinz, erzählt davon, wie der Ort eigentlich immer zur Region Trier gehört habe, davon, dass Sinz erst nach dem Zweiten Weltkrieg dem Saarland respektive dem Saarstaat zugeordnet worden ist. „Eine wirklich richtige Anbindung ans Saarland haben wir aber erst mit der Autobahn bekommen“, erklärt er, „bis dahin war hier oben das Ende der Welt, das kann man ruhig so sagen aus meiner Sicht“. Die Anbindung der Gemeinde Perl an die Bundesautobahn 8 erfolgte Ende der 1990er Jahre. Schon 1985 ereignete sich indes ein weiteres strukturveränderndes Momentum für die Gemeinde Perl – die Einrichtung des Schengenraums. „Von da an waren wir hier oben nicht mehr am Rande gelegen“, erklärte Fixemer, „sondern in der Mitte, der Mitte des Schengenraums nämlich.“
Seither hat sich auch für Sinz viel verändert. Ein ruhiges, fast in einer Art Dornröschenschlaf liegendes Dorf ist es noch immer. Es ist aber auch zu einem attraktiven Wohnort für Menschen, die in Luxemburg arbeiten, geworden. „Die meisten, die hier wohnen, arbeiten in Luxemburg“, erklärt Fixemer, „weil man hier das Wohnen noch bezahlen kann.“240 Einwohner hatte Sinz noch Anfang der 1990er Jahre. Mittlerweile sind es knapp 400. Der Anteil an Nicht-Deutschen Staatsbürgern liegt dabei bei 50 Prozent. Fixemer sieht genau darin die große Herausforderung, mit der Orte wie Sinz sich zu beschäftigen bzw. „klarzukommen“haben, wie er sagt. „Einfach, weil es eine riesige Veränderung und Entwicklung bedeutet“, sagt er, „was die Menschen betrifft natürlich aber auch die Struktur.“Er ergänzt:
„Man war ja hier einfache Häuser gewohnt und heute werden halt Mehrfamilienhäuser gebaut. Das ist für viele nicht das, was man sich unter Dorfleben vorstellt.“
In Sinz geht der Schnitt, das aufeinander Aufprallen verschiedener Welten, ganz offensichtlich durch den Ort. Oberhalb der Hauptstraße liegt das neueste von den drei Neubaugebieten des Ortes. Schmucke, moderne Quader stehen da, helle Farben, viel Stahl, viel Glas. Unten im Dorfkern von Sinz hingegen: Alte Bauernhäuser, manche noch mit eigenem Brunnen. Alles irgendwie krumm und schief. Manche der Häuser sind liebevoll restauriert, anderen sieht man ihre Geschichte an. Alle aber haben sie diesen gewissen Charme. Jenen Charme, der Dörfer wie Sinz ausmacht. Und weil die Sinzer sich genau jenen Charme erhalten wollen, gibt es seit 2020 eine Satzung, mit der man eine gewisse „Struktur ins Bauen bekommen will“, wie Fixemer sagt. Diese Satzung untersagt im klassischen Ortskern von Sinz den Bau von Häusern mit Flachdach. Ferner muss die Anordnung zur Straße gelegener Fenster jener von alten Bauernhäusern entsprechen. „Das hat weniger damit zu tun, dass man etwas gegen Flachdächer hat, als dass diese ein
fach gegen das Bild des Ortes gehen“, betont Fixemer, „weiter außen darf es ruhig moderner sein.“
Als Ortskern wird indes vor allem all das verstanden, was sich um die Kirche St. Dionysius, die das Patrozinium des heiligen Dionysius von Paris trägt, ballt. Jener Kirche, die samt prunkvollen Hochaltar während des Zweiten Weltkriegs schwer beschädigt wurde und schließlich
eingestürzt ist und deren Wieder-Instandsetzung erst 2012, als der jahrzehntelange Behelfsaltar durch den Altar aus der nicht mehr genutzten Kirche St. Helena in Burbach ersetzt wurde, beendet wurde. Durch seine Lage am Westwall wurde Sinz während des Zweiten Weltkrieges weitestgehend zerstört. Und auch wenn der Ort, wie die Kirche, wieder aufgebaut wurde, wird heute in gewissem Maße noch an mancher Stelle an die dunkle Zeit erinnert. So hat in jener Straße, in der ein Anwohner ob der
Häufung der Schnapsbrennereien spöttisch ein „rue de l‘eau“-Straßenschild anbrachte, ein anderer eine private Kapelle errichtet. „Der Mann war Flieger im Krieg“, erklärt Fixemer, „und in Gefangenschaft hat er dann beschlossen, wenn er das Ganze überlebe, eine Kapelle zu bauen.“
Es sind Eigenheiten wie diese, die einem bei einem Spaziergang durch Sinz immer wieder ins Auge fallen, die den Ort interessant, besonders machen. Bei den Sinzern selbst kann so ein Spaziergang durchs Dorf übrigens gerne mal länger dauern, wie Michael Fixemer schmunzelnd erklärt. „Bei gutem Wetter ist man vor der Tür, unterhält sich, irgendwann wird gefragt ‚Hast du Durst, hast du Hunger?‘“, sagt er. Einkäufe erledigen die Sinzer in Perl. Oder beim Nachbar, bisweilen als Tauschgeschäft. Drei Menschen sind hier noch hauptberuflich Landwirte, um die sieben nebenerwerblich. „Wenn man weiß bei wem, bekommt man hier schon einiges“, sagt Fixemer. Nudeln, Kartoffeln, Eier, Honig, aber auch Schnaps und der für die Region so typische Viez, all sowas eben. Oder man sucht gemeinsam den Birkenhof auf. Ein Gasthaus hat Sinz, wie nur wenige Dörfer seiner Größe, nämlich auch noch.