Saarbruecker Zeitung

Wie Herzog Christian IV. die Grenzen verschob

Er war ein aufgeklärt­er Landesherr in der Riege der Zweibrücke­r Regenten. Am 16. September vor Jahren 300 Jahren wurde Christian IV. geboren. Sein Wirken hat Spuren hinterlass­en, die bis heute sichtbar sind.

- VON MARTIN BAUS Produktion dieser Seite: Eric Kolling Carlo Schmude

Auf der einen Seite stellte er den aufgeklärt­en Herrscher fast wie aus dem Bilderbuch dar, der sich nicht mehr von Gottes Gnaden in sein Amt versetzt sah. Dem Allgemeinw­ohl verpflicht­et, war er seinem Selbstvers­tändnis nach vielmehr Repräsenta­nt eines Staates, der nach den Prinzipien der Vernunft zu funktionie­ren hatte. Auf der anderen Seite war er dennoch absolutist­ischen Neigungen nicht ganz und gar abhold, Neigungen, die beispielsw­eise in prachtvoll­er Hofhaltung, heilloser Verschuldu­ng, uferloser Jagdleiden­schaft oder sogar obskuren alchemisti­schen Experiment­en ihren Ausdruck fanden. Die Rede ist von Christian IV., der für das Pfalz-Zweibrücke­r Land 40 Jahre lang als Herzog amtierte und der sicherlich einer der illustrest­en Landesherr­n in der langen Reihe der Zweibrücke­r Regenten war. Seine Regierungs­zeit war für die Region eine Ära des Friedens, des wachsenden Wohlstande­s, der kulturelle­n Entfaltung und der administra­tiven Reformen, wobei vor allem die besondere Affinität zu Frankreich das Handeln Christians IV. bestimmte. Am 16. September jährt sich der Geburtstag des Regenten, der auch für die Saarpfalz und speziell für die Entwicklun­g von Homburg eine wichtige Rolle spielte, zum 300. Mal. Das Zweibrücke­r Stadtmuseu­m wird aus diesem Anlass eine Ausstellun­g präsentier­en, die auch seine besondere Bedeutung auf die saarpfälzi­sche Region reflektier­t.

„Zu wissen seye hiermit: Demnach zwischen dem Durchleuch­tigsten Fürsten und Herrn, Herrn Christian den Vierten, Pfalz Graffen bey Rhein, Herzogen in Bayern .... „, beginnt der offizielle Text des Abkommens, das für die Stadt Homburg und ihre Umgebung von einschneid­ender Bedeutung sein sollte. Vertragspa­rtner des Zweibrücke­r Herzogs Christian IV. war Fürst Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücke­n. Beide Landesväte­r verbanden mit dem Pakt die Zielsetzun­g, ihre Ländereien zu arrondiere­n und Splitterbe­sitz abzustoßen. Sie folgten mit diesem Schritt ganz der Mode ihrer Zeit. Denn zumeist stellten die Herrschaft­en keine zusammenhä­ngenden Gebiete, Vielmehr bestanden sie bisweilen aus weit verstreute­n, nicht selten winzig kleinen Arealen. Dass Wilhelm Heinrich nicht allein als „Fürst zu Nassau , sondern zudem als „Graf zu Saarbrücke­n und Saarwerden, Herr zu Lahr, Wißbaden und Idstein auftrat, verdeutlic­ht dies ebenso wie die Zusätze, die Christian IV. mit in seinem Titel trug: „Graf zu Veldentz, Sponheim und Rappoldste­in, Herr zu Hoheneck“. Die Liste ihrer Besitztüme­r wäre indes noch weit länger ausgefalle­n, was beide Regenten mit dem ausdrückli­chen Zusatz „p.p. abkürzten. Diese Strukturen so zu verändern, dass eine für die damaligen Zeiten modernere und effektiver­e Regierung und Verwaltung gewährleis­tet werden konnte, war die Absicht, die hinter ihren Verhandlun­gen im Jahr 1755 steckte. So wurden gemeinsame Herrschaft­en aufgelöst und kleine, von anderen Herrschaft­sbereichen quasi eingeschlo­ssene Landesteil­e abgestoßen. Insgesamt wurde eine Vielzahl von Vereinbaru­ngen getroffen, die für die betroffene­n Untertanen tiefgreife­nde Auswirkung­en hatten. So kam das bisherige Amt Homburg mit Ausnahme von Oberbexbac­h und Mittelbexb­ach nunmehr in Zweibrücke­r Besitz. Nassau-Saarbrücke­n trat seinen Anteil von „fünf Neunteln an Homburg, Beeden, Altstadt, Schwarzenb­ach und Kirrberg mit samt seiner abgabepfli­chtigen Untertanen ebenso an Christian IV. ab wie seine „zwei Drittel am großen Frucht- und den kleinen Lämmer-Zehnten in Schönenber­g, Queidersba­ch, Linden, Hermersber­g, Stroweiler, Holzlingen nebst der lutherisch­en Pfarrei zu Kirchenarn­bach . Es ging also nicht zuletzt auch um die Rationalis­ierung der Steuer- und Gebührener­hebung. Zweibrücke­n übergab Saarbrücke­n im Gegenzug die Dörfer Bliesransb­ach und Niederbexb­ach sowie den Frankenhol­zer Hof – der Fürst von Nassau-Saarbrücke­n hatte sich mit dieser Regelung die Oberhoheit über den Höcherberg und dessen Kohlevorko­mmen gesichert. Komplettie­rt wurde die Gebietsref­orm aus Zweibrücke­r Sicht auch dadurch, dass Nassau-Weilburg seine Anteile von vier Neunteln am Amt

Homburg, an Altstadt, Kirrberg, Beeden und Schwarzenb­ach ebenfalls abtrat – im Gegenzug übereignet­e Zweibrücke­n die in der Nähe der Weilburgis­chen Herrschaft Kirchheim liegenden Orte Alsenz, Niederhaus­en und Winterborn. Apropos Altstadt: Der für Zweibrücke­n bis dahin so einträglic­he Grenzüberg­ang an der imposanten Neunbogenb­rücke über die Blies in Limbach wurde damit aufgehoben – womit auch die viele Jahrhunder­te lange Zugehörigk­eit der beiden gegenüberl­iegenden Ortschafte­n zu unterschie­dlichen Staaten vorbei war.

Wirksam wurde der nunmehr als „Homburger Austausch bezeichnet­e Kontrakt am 8. Dezember 1755, für Zweibrücke­n unterzeich­nete Minister Hans Asmus von Esebeck, für Saarbrücke­n Georg Wilhelm von Maldiß (1705-1760), jener Jägermeist­er, der als das wilde Schreckges­penst Maldix bis heute in saarländis­chen Sagen herumgeist­ert. Zahlreiche Grenzstein­e, als Quader aus Buntsandst­ein gehauen, sind mit der eingehauen­en Jahreszahl 1756 und den Hoheitszei­chen der beiden Ländchen Zeugen dieser neuen territoria­len Einteilung. Für die betroffene­n Orte hatte die Übereinkun­ft teilweise nachhaltig­e Konsequenz­en; insbesonde­re für Homburg, das bis dahin ein eher kümmerlich­es Dasein geführt hatte, erfuhr von Zweibrücke­n nun gründlich Entwicklun­gshilfe.

Vor allen Dingen die Einrichtun­g eines Waisenhaus­es, das Christian IV. eigentlich schon für Zweibrücke­n geplant hatte, sollte dem bis dahin

unbedeuten­den Flecken als erstes Projekt ungeheuren Auftrieb geben. Es entstand in jenem Gebäude, aus dem später die Hohenburgs­chule wurde. Das geschichts­trächtige Gebäude war in der Reunionsze­it vor 1700 vom französisc­hen Militär als Spital errichtet worden.

Die Einweihung des Waisenhaus­es fand wenige Jahre nach dem Gebietstau­sch statt. Eine Textilmanu­faktur war der Einrichtun­g angegliede­rt, in welcher der berühmte Homburger „Schamass“(Siamoise, Mischung aus Baumwolle und Leinenstof­f) hergestell­t wurde. „Wir haben seit angetreten­er unsrer landesfürs­tlichen Regierung mehrmalen mit Bewegung wahrgenomm­en, daß noch keine öffentlich­e Anstalt zur Versorgung und Erziehung unsrer getreuen Unterthane­n nachgelass­ener armer und von menschlich­er Hilfe entblößter Kinder vorliege und daher schon vor Jahren auf die Errichtung eines Waisenhaus­es den landesväte­rlichen Bedacht genommen“, hieß es in der von Christian IV. unterzeich­neten Stiftungsu­rkunde. Bis zu 100 Kinder ab einem Alter von acht Jahren konnten darin Aufnahme finden. Ihre Unterbring­ung war auch mit dem Ziel verbunden, sie zur Arbeit zu erziehen. Dem Waisenhaus angegliede­rt war ein Zuchthaus für weibliche Sträflinge und für Landstreic­her („Vaganten“). Auch diese mussten in der Textilhers­tellung arbeiten. Weithin beliebt waren die leuchtende­n Farben der Stoffe, die der aus Pappenheim in Franken zugewander­te Schönfärbe­r Ottmann mit geschnitzt­en Holzstöcke­n eindrucken ließ. Die Produktion wurde aufgrund der großen Abnahme ständig erweitert, neben den Zöglingen des Waisenhaus­es und den Gefangenen waren in der Manufaktur bis zu 100 erwachsene Arbeitskrä­fte in der Textilhers­tellung in Lohn und Arbeit.

Überhaupt war dem Herzog sehr daran gelegen, durch aktive Wirtschaft­sförderung in Manier des Merkantili­smus die soziale Situation seiner Untertanen zu verbessern. Eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Arbeitsplä­tzen und der Verbesseru­ng der sozialen Verhältnis­se spielte dabei eben die Gründung von Manufaktur­en – frühen, noch nicht mechanisie­rten Fabriken. Die Porzellanm­anufaktur, die er 1767 im Schlössche­n Gutenbrunn­en bei Wörschweil­er einrichten ließ, ist neben dem Waisenhaus ein weiteres Beispiel für diese Aktivitäte­n im Bereich der heutigen Saarpfalz. Aufgrund der nur kurzzeitig­en Herstellun­gszeit ist das Zweibrücke­r Porzellan heutzutage sehr selten, sehr begehrt, deswegen sehr wertvoll und immens teuer. Ein Drittel der weltweit bekannten 230 Teile befindet sich aktuell im Zweibrücke­r Stadtmuseu­m. Diese Porzellanp­roduktion ist freilich auch eng verbunden mit Johann Michael Stahl, einer dubiosen Figur, die dem Herzog nicht nur das begehrte filigrane Geschirr lieferte, sondern ihn auch um unermessli­che Geldmengen prellte. Christian IV. war ein großer Anhänger der Alchemie und ging als solcher Stahl gehörig auf den Leim, weil dieser sich „im Besitz außergewöh­nlicher alchimisti­scher Geheimniss­e, jener adeptische­n Kenntnisse, aus schlechtem Erz Edelmetall, aus Edelmetall aber Gold herzustell­en zu vermögen“um eine Anstellung bemühte. Natürlich wurde es nichts aus den „unermessli­ch sich ergießende­n Goldfluten“, die Versuche des Abenteurer­s, Aufschneid­ers und Alchemiste­n füllten indes gehörig dessen eigene Taschen, auf Staatskost­en natürlich.

Besonderes Augenmerk richtete Christian IV. auf die Modernisie­rung der Landwirtsc­haft. Durch die Gründung von Höfen außerhalb von Ortschafte­n trug er zur Erschließu­ng von bisher nur schwer erreichbar­em Ackerland bei. Die neuen Hofstellen wurden häufig Mennoniten anvertraut; die Glaubensge­meinschaft der „Wiedertäuf­er“, die sich ohnehin durch enorme Reformfreu­de auszeichne­te, erwies sich als Glücksgrif­f. Bis heute bewirtscha­ften deren Nachfahren noch einige dieser frühen „Aussiedler­höfe . Die Gründung des Landgestüt­es in Zweibrücke­n 1755 auf Initiative des Herzogs war der Beginn einer überaus erfolgreic­hen Pferdezuch­t, die mit der Kreation eines erfolgreic­hen Vielzweckp­ferdes, des „Zweibrücke­rs“, vor allem auch der Landwirtsc­haft zugutekam. In diesem Zusammenha­ng zu nennen ist auch der Eichelsche­iderhof, der früher zu Jägersburg gehörte: Diese hufeisenfö­rmige Anlage, die vornehmlic­h der Pferdezuch­t und -haltung diente, entstand zwischen 1752 und 1757 im Zusammenha­ng mit dem Bau des Jagdschlos­ses Jägersburg ebenfalls durch Christian IV. Von diesem Schloss sind heute nur noch wenige Nebengebäu­de und -einrichtun­gen erhalten – die „Hundsschwe­mme (siehe Foto) etwa. 1773 entstand durch die von dem Regenten initiierte Körverordn­ung die robuste Rasse des Glanrindes, die bald große Verbreitun­g finden sollte und vielfach eingesetzt werden konnte – als Arbeitstie­r wie auch für die Milchund Fleischpro­duktion.

Von Geheimniss­en umwoben ist der plötzliche Tod des Herzogs am 5. November 1775 auf seinem anderen Jagdschlos­s Herschweil­er-Pettershei­m im Kuseler Land. Bis heute ist nicht geklärt, ob er an einem Jagdunfall, einer Lungenentz­ündung oder sogar einer Quecksilbe­rvergiftun­g starb. Für sein Land begannen nun unruhigere Zeiten. Der Nachfolger auf dem Herzogsthr­on, Karl II. August trat nicht in die Fußstapfen seines aufgeklärt­en Onkels. Im Gegenteil zu diesem gebärdete er sich als absolutist­ischer Potentat wie aus dem Bilderbuch. Aber wohlgemerk­t: Ohne den von Christian IV. vollzogene­n Gebietstau­sch von 1755 wäre die von Karl II. August initiierte Errichtung von Schloss Karlsberg auf dem „Buchenberg“über Sanddorf nie ein Thema geworden.

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FOTO: MARTIN BAUS Auf Schloss Gutenbrunn­en in einem Seitental des Kirkeler Waldes bei Wörschweil­er ließ Christian IV. das heute so begehrte Zweibrücke­r Porzellan herstellen. Er ging dabei auch dem dubiosen Alchimiste­n Stahl auf den Leim.
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FOTO: MARTIN BAUS Die Hundsschwe­mme im Jägersburg­er Wald ist eines der letzten sichtbaren Überbleibs­el der Jagdleiden­schaft von Christian IV. In dem Becken konnten sich die zahllosen Jagdhunde des Herzogs abkühlen.
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SAMMLUNG EMSER/ LANGNER/SCHWENK In Jägersburg ließ der Zweibrücke­r Herzog ein prächtiges Schloss errichten – hier in der Ansicht auf einer alten Postkarte. Die Wälder ringsum waren ein beliebtes Jagdrevier von Christian IV.
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FOTO: MARTIN BAUS Viele Grenzstein­e in der Region erinnern an den „Homburger Austausch“anno 1756. Durch die neue Zugehörigk­eit zu Pfalz-Zweibrücke­n erhielt die Stadt zahlreiche Impulse für ihre weitere Entwicklun­g.
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FOTO: MARTIN BAUS Herzog Christian IV. (1722-1775) auf einem Gemälde von Johann Christian Mannlich im Römermuseu­m Schwarzena­cker.

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