Goldener Abschluss der „Sternstunde“
Sprintstaffel um Gina Lückenkemper und Speerwerfer Julian Weber gewinnen in München die EM-Titel. Platz eins im Medaillenspiegel.
MÜNCHEN (sid) „Sternstunde unserer Sportart“, „beste Werbung für die Leichtathletik“und überhaupt eine „einzigartige Stimmung“: Die Asse des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) haben in München ein erstaunliches Comeback hingelegt. Gina Lückenkemper und Co. ziehen aus der EM-Dauerparty im Olympiastadion, die am Sonntagabend mit dem Sieg im Medaillenspiegel gekrönt wurde, jede Menge Zuversicht. „Die EM hat gezeigt, was für ein unfassbares Potenzial die Leichtathletik eigentlich in unserem Land hat. Ich hoffe wirklich, dass wir in den kommenden Jahren noch ganz viel von dieser Euphorie mitnehmen können“, sagte DoppelEuropameisterin Lückenkemper nach dem goldenen EM-Abschluss.
Erst hatte der neue Speerwurf-Europameister Julian Weber das Olympiastadion mit seinem Wurf auf 87,66 Meter zum Toben gebracht, dann sorgte die 4x100-Meter-Staffel mit Sprint-Königin Lückenkemper für ein furioses Ende der European Championships. „Das war die beste Werbung für unsere Sportart, die wir machen konnten“, schwärmte Lückenkempers Staffel-Kollegin Alexandra Burghardt und sprach von einer „einzigartigen Stimmung“.
Für die 28-Jährige ist es ein besonderes Jahr: Bei den Olympischen Winterspielen gewann Burghardt als Anschieberin Silber im Bob, nach WM-Bronze und EM-Gold mit der Staffel hat sie nun einen kompletten Medaillensatz. „Es ist wirklich wie ein Märchen“, sagte Burghardt.
Speerwerfer Weber zeigten die Titelkämpfe in Bayern, „dass bei einem Großteil der Athleten vom DLV der Fokus auf der EM lag“. Und nicht auf der WM in Eugene, wo Deutschland im Juli nur zwei Medaillen geholt hatte. Weber und die Staffel-Frauen steuerten die Goldmedaillen sechs und sieben bei, insgesamt holte das Team mit sieben Mal Silber und zwei
Mal Bronze 16 Medaillen. Zuletzt hatte Deutschland vor zehn Jahren in Helsinki den Medaillenspiegel für sich entschieden.
Allerdings: Blenden sollten die Festtage von München nicht. Das desaströse Abschneiden bei der Weltmeisterschaft in Eugene, das maßgeblich für die Berechnung der Fördermittel durch den Bund
ist, bleibt. Zum Vergleich: Die deutschen Leistungen bei den sechs EM-Einzeltiteln hätten in den USA lediglich zu einer Medaille gereicht.
„Die Tage in München haben uns gut getan“, sagte Chefbundestrainerin Annett Stein: „Ich bin sehr stolz auf diese Mannschaft, wie sie performt und agiert hat.“Das „Ziel“bleibe aber, sich „im Weltmaßstab“
mit den starken US-Amerikanern und Afrikanern messen zu können. Die Weltmeisterschaft werde in Ruhe „analysiert“, um dann wieder „am Tag X abliefern zu können“. Spätestens bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 will der DLV ein „starkes Team“präsentieren.
„Wir heben jetzt nicht ab“, sagte auch DLV-Präsident Jürgen Kessing, nachdem man bei der WM nach nur einer Gold- und einer Bronzemedaille „öffentlich niedergeknüppelt“worden sei. Entscheidend sei nun, sachlich die „Dinge aufzubereiten“und die „richtigen Schlüsse“zu ziehen. So schön die Erfolge wie bei der „Sternstunde unserer Sportart“(Kessing) am Dienstag vergangener Woche mit Lückenkempers 100-Meter-Triumph und Niklas Kauls emotionaler Aufholjagd im Zehnkampf unter dem Zeltdach auch waren: Vom Weltniveau ist Deutschland vor allem in der Breite weiter ein gutes Stück entfernt. Hochspringerin Marie-Laurence Jungfleisch etwa war am Sonntagabend mit übersprungenen 1,90 Meter trotz Platz sechs chancenlos, die 4x100-Meter-Staffel der Männer patzte beim ersten Wechsel, und in vielen anderen Disziplinen mischten die Deutschen auch bei der EM gar nicht unter den ersten Acht mit.
Im September will der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) seine Analyse von Eugene präsentieren – klar ist schon jetzt: Es braucht mehr Typen wie Stabhochspringer Bo Kanda Lita Baehre, der offen davon spricht, den in einer eigenen Sphäre schwebenden schwedischen Weltrekordler Armand Duplantis attackieren zu wollen. Oder Hindernisläuferin Lea Meyer, die sich nach EM-Silber vornahm, ihren Ausreißer nach oben nun zu bestätigen.
Die WM in einem Jahr in Budapest sowie 2024 die EM in Rom und die Olympischen Spiele in Paris werden zeigen, ob das jenseits der fantastischen Heimatmosphäre und auch gegen größere Konkurrenz gelingt.