FDP-Vize Kubicki löst Unbehagen auch bei Liberalen aus
BERLIN (mar/dpa) Wolfgang Kubicki gilt schon seit vielen Jahren als ein Enfant terrible im politischen Betrieb. In der FDP wurden ihm seine Querschüsse bisher immer nachgesehen. Doch jetzt hat er sich für die Öffnung der Gas-Pipeline Nord Stream 2 ausgesprochen, genau wie Putin-Freund Gerhard Schröder. Der Unmut darüber ist auch in der FDP größer als sonst, weil der Vorstoß aus Sicht Vieler so gefährlich war.
Wolfgang Kubicki schert gerne mal aus der Koalitionsdisziplin aus. Die neuen Corona-Regeln, auf die sich die Ampel-Koalition mühsam geeinigt hatte, gehen dem 70-jährigen FDP-Politiker zu weit. Sie dürften so, wie sie sind, nicht vom Bundestag verabschiedet werden, sagt er. Der Rechtsanwalt aus Kiel stößt sich vor allem daran, dass die Maskenpflicht unter Umständen auch wieder im Freien verhängt werden darf. Seine Fraktion sieht ihm das nach. Schließlich deckt der VizeBundestagspräsident mit seinen Querschüssen auch Meinungen ab, die nicht nur in der FDP viele Unterstützer finden.
Doch vergangene Woche gab er dann ein Interview, das überdurchschnittlich viel Aufsehen erregte: „Wir sollten Nord Stream 2 jetzt schleunigst öffnen, um unsere Gasspeicher für den Winter zu füllen“, hieß es darin. Es gebe „keinen vernünftigen Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen“. Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin dann doch nicht mehr Gas liefere, habe Deutschland nichts verloren.
„Kommt auf diesem Weg mehr Gas bei uns an, vielleicht sogar die komplette vertraglich zugesicherte Menge, wird das helfen, dass Menschen im Winter nicht frieren müssen und unsere Industrie nicht schweren Schaden nimmt“, betonte Kubicki. Dafür zu sorgen, sei oberste Pflicht der Bundesregierung.
Die komplette FDP-Spitze um Parteichef Christian Lindner bemühte sich am selben Tag, das Thema wieder einzufangen, Kubickis Äußerung als Einzelmeinung hinzustellen. Neben ihm hatte auch Alt-Bundeskanzler und PutinFreund Gerhard Schröder (SPD) die Option Nord Stream 2 ins Spiel gebracht.
Kubicki selbst verteidigte seine Position: Er gehe „keiner Diskussion in meiner Partei aus dem Weg“, könne aber seine politische Haltung „nicht davon abhängig
machen, ob sie jedem Einzelnen gefällt“, sagte er dem Handelsblatt. Auch ihm gehe es „um die schnellstmögliche Unabhängigkeit von russischem Gas und wie wir bis dahin über den Winter kommen“.
Die Bundesregierung hatte Nord Stream 2 in Reaktion auf den russischen Angriff für tot erklärt: Sie will sich nicht erneut abhängig von russischem Gas machen und arbeitet intensiv daran, neue Energiequellen zu erschließen. Gerade waren Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) deshalb in Kanada.
Stellt ein führender Liberaler wie Kubicki diesen Kurs der Ampel-Regierung infrage, könnte das nicht nur der FDP, sondern auch der Koalition als Ganzes schaden, so die Befürchtung. Bei SPD und Grünen gab es daher fassungsloses Kopfschütteln, wie in Berlin zu hören war. Auch in seiner eigenen Partei war das Unbehagen über Kubickis populistisches Manöver dieses Mal größer als sonst, berichten seine Parteifreunde unter der Hand.
Kritik kam auch aus der von Russland angegriffenen Ukraine. „Die Forderungen einiger deutscher Politiker, Nord Stream 2 für eine kurze Zeit zu starten und später zu schließen, sind völlig irrational“, schrieb Außenminister Dmytro Kuleba am Freitag auf Twitter. „Das ähnelt einer Drogensucht, wenn jemand sagt: „Nur noch ein letztes Mal!“, kritisierte er. „Die Sucht nach russischem Gas tötet!“