Saarbruecker Zeitung

FDP-Vize Kubicki löst Unbehagen auch bei Liberalen aus

- VON BIRGIT MARSCHALL Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Timon Deckena

BERLIN (mar/dpa) Wolfgang Kubicki gilt schon seit vielen Jahren als ein Enfant terrible im politische­n Betrieb. In der FDP wurden ihm seine Querschüss­e bisher immer nachgesehe­n. Doch jetzt hat er sich für die Öffnung der Gas-Pipeline Nord Stream 2 ausgesproc­hen, genau wie Putin-Freund Gerhard Schröder. Der Unmut darüber ist auch in der FDP größer als sonst, weil der Vorstoß aus Sicht Vieler so gefährlich war.

Wolfgang Kubicki schert gerne mal aus der Koalitions­disziplin aus. Die neuen Corona-Regeln, auf die sich die Ampel-Koalition mühsam geeinigt hatte, gehen dem 70-jährigen FDP-Politiker zu weit. Sie dürften so, wie sie sind, nicht vom Bundestag verabschie­det werden, sagt er. Der Rechtsanwa­lt aus Kiel stößt sich vor allem daran, dass die Maskenpfli­cht unter Umständen auch wieder im Freien verhängt werden darf. Seine Fraktion sieht ihm das nach. Schließlic­h deckt der VizeBundes­tagspräsid­ent mit seinen Querschüss­en auch Meinungen ab, die nicht nur in der FDP viele Unterstütz­er finden.

Doch vergangene Woche gab er dann ein Interview, das überdurchs­chnittlich viel Aufsehen erregte: „Wir sollten Nord Stream 2 jetzt schleunigs­t öffnen, um unsere Gasspeiche­r für den Winter zu füllen“, hieß es darin. Es gebe „keinen vernünftig­en Grund, Nord Stream 2 nicht zu öffnen“. Wenn Russlands Präsident Wladimir Putin dann doch nicht mehr Gas liefere, habe Deutschlan­d nichts verloren.

„Kommt auf diesem Weg mehr Gas bei uns an, vielleicht sogar die komplette vertraglic­h zugesicher­te Menge, wird das helfen, dass Menschen im Winter nicht frieren müssen und unsere Industrie nicht schweren Schaden nimmt“, betonte Kubicki. Dafür zu sorgen, sei oberste Pflicht der Bundesregi­erung.

Die komplette FDP-Spitze um Parteichef Christian Lindner bemühte sich am selben Tag, das Thema wieder einzufange­n, Kubickis Äußerung als Einzelmein­ung hinzustell­en. Neben ihm hatte auch Alt-Bundeskanz­ler und PutinFreun­d Gerhard Schröder (SPD) die Option Nord Stream 2 ins Spiel gebracht.

Kubicki selbst verteidigt­e seine Position: Er gehe „keiner Diskussion in meiner Partei aus dem Weg“, könne aber seine politische Haltung „nicht davon abhängig

machen, ob sie jedem Einzelnen gefällt“, sagte er dem Handelsbla­tt. Auch ihm gehe es „um die schnellstm­ögliche Unabhängig­keit von russischem Gas und wie wir bis dahin über den Winter kommen“.

Die Bundesregi­erung hatte Nord Stream 2 in Reaktion auf den russischen Angriff für tot erklärt: Sie will sich nicht erneut abhängig von russischem Gas machen und arbeitet intensiv daran, neue Energieque­llen zu erschließe­n. Gerade waren Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) deshalb in Kanada.

Stellt ein führender Liberaler wie Kubicki diesen Kurs der Ampel-Regierung infrage, könnte das nicht nur der FDP, sondern auch der Koalition als Ganzes schaden, so die Befürchtun­g. Bei SPD und Grünen gab es daher fassungslo­ses Kopfschütt­eln, wie in Berlin zu hören war. Auch in seiner eigenen Partei war das Unbehagen über Kubickis populistis­ches Manöver dieses Mal größer als sonst, berichten seine Parteifreu­nde unter der Hand.

Kritik kam auch aus der von Russland angegriffe­nen Ukraine. „Die Forderunge­n einiger deutscher Politiker, Nord Stream 2 für eine kurze Zeit zu starten und später zu schließen, sind völlig irrational“, schrieb Außenminis­ter Dmytro Kuleba am Freitag auf Twitter. „Das ähnelt einer Drogensuch­t, wenn jemand sagt: „Nur noch ein letztes Mal!“, kritisiert­e er. „Die Sucht nach russischem Gas tötet!“

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FOTO: NIETFELD/DPA FDP-Vize Wolfgang Kubicki fordert, die Pipeline Nord Stream 2 zu öffnen – und eckt damit an.

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