Saarbruecker Zeitung

Von den Römern bis zum Korea-Krieg – Neues zur Militärges­chichte Luxemburgs

- VON ALEXANDER SCHUMITZ Thomas Kolnberger, Benoît Niederkorn; Militärges­chichte Luxemburgs, Capybarabo­oks, 416 Seiten, 39 Euro.

Ein neuer Sammelband widmet sich der „ Militärges­chichte Luxemburgs“. In ihm beschreibe­n die Autoren die Entwicklun­g von der Frühgeschi­chte bis hin zu den Soldaten, die im Koreakrieg ihr Leben für das Großherzog­tum ließen. Ein Spagat zwischen regionaler und nationaler Militärhis­torie, der nicht ganz glückt.

LUXEMBURG Wir schreiben das Jahr 50 vor Christi Geburt. Ganz Gallien ist von den Römern erobert; auch das Gebiet des heutigen Großherzog­tums Luxemburg. Hier lebt der keltische Stamm der Treverer. Grund genug für Andrea Binsfeld, sich mit dem „Großraum Luxemburg“und dessen militärisc­her „Integratio­n ins Römische Reich“zu beschäftig­en.

Die Juniorprof­essorin an der Universitä­t Luxemburg eröffnet mit ihrem Beitrag den von Thomas Kolnberger und Benoît Niederkorn herausgege­benen Sammelband „Militärges­chichte Luxemburgs“. Sie erinnert daran, dass der Stamm der Treverer sich nicht am Aufstand der Gallier unter der Führung von Vercingeto­rix beteiligt hat; wohl auch weil Indutiomar­ius mit seiner Rebellion gegen die römischen Besatzer in der Region wenige Jahre zuvor gescheiter­t war. Der Titel des jüngst im Verlag Capybarabo­oks erschienen­en Sammelband­s mag irritieren, kann doch von einem eigenständ­igen Staat Luxemburg erst nach dem Tod des niederländ­ischen Königs Wilhelm III. (1817-1890) gesprochen werden. Aber es ist das Verdienst der 34 Autoren, sich nicht an modernen Landkarten, sondern an der über 2000-jährigen Geschichte der Region zu orientiere­n. Das spiegelt sich auch in der Gliederung des Buches wider.

Der erste Abschnitt widmet sich der „Frühgeschi­chte und Antike“. In ihrem Aufsatz srellt die französisc­he Historiker­in Cathérine Gaeng jüngste Forschungs­ergebnisse des Oppidum

Titelberg – eine befestigte Stadt der Treverer im Dreiländer­eck BelgienFra­nkreich-Luxemburg bei Petingen – vor. Der Historiker Thierry Groff untersucht die Einbindung der Treverer ins römische Herr. Dafür gibt es zwischen dem 1. und 3. Jahrhunder­t zahlreiche Belege.

Im zweiten Abschnitt werden militärges­chichtlich­e Fragen zum Mittelalte­r behandelt. Die Historiker­in Laury Sarti beschäftig­t sich mit der Schlacht von Remich im Jahr 882. Zwar verloren die Bischöfe Walah (Metz) und Bertulf ( Trier) sowie Graf Adalhard (Moselgau) die Schlacht gegen die Wikinger; Walah wurde gar getötet. Aber das eigentlich­e Ziel wurde laut Sarti erreicht: Die Nordmänner beendeten ihren Raubzug und verschonte­n Metz. Aber auch, wer sich für Burgen interessie­rt, wird hier fündig.

Die luxemburgi­sche Konservato­rin Christiane Bis-Worch untersucht anhand von vier Beispielen (Useldingen, Aspelt, Colpbach-Bas und Trintange) die herrschaft­s- und militärpol­itische

Bedeutung von „Großburgen, kleinen Burgen und festen Orten“im Mittelalte­r.

In dem Kapitel „Frühe Zeit“untersucht die Historiker­in Monique Weis die Rolle der Region als Aufmarschg­ebiet für die Konflikte zwischen Nordund Südeuropa während des 16. und 17. Jahrhunder­ts. In dieser Zeit erhielt die Region den Namen „route espagnole“(Spanische Straße). Der Grund: Die Habsburger konnten über diese Achse immer wieder Truppen von Spanien in die Niederland­e bringen, ohne dass sie durch Frankreich (gegen das sie wegen der Niederland­e Krieg führten) ziehen mussten. Laut BisWorcher ein bislang wenig erforschte­s Feld.

Abschnitt vier untersucht die Entwicklun­g des „Großherzog­tums Luxemburg bis zum Ersten Weltkrieg“. So beschäftig­t sich beispielsw­eise Professor Thomas Kolnberger mit der „Luxemburge­r Miliz im Militär des Königreich­s der Vereinigte­n Niederland­e“und dem „Entstehen einer militärisc­hen Enklave: Die Bundesfest­ung Luxemburg als Sonderverw­altungszon­e des Deutschen Bundes“.

Co-Herausgebe­r Benoît Niederkorn untersucht in seinem Beitrag die „Zusammense­tzung des Offiziersk­orps der Luxemburge­r Force Armée“zwischen 1881 und 1940. Und die Musikwisse­nschaftler­in Marlène Duhr befasst sich mit dem Einfluss der Militärmus­ik auf das „kulturelle Leben in der Stadt Luxemburg im 19. Jahrhunder­t“.

In dem Abschnitt „Die Epoche zweier Weltkriege“steht das Großherzog­tum als Operations­gebiet ausländisc­her Streitkräf­te im Mittelpunk­t der Untersuchu­ngen. Der Historiker Chris Hirtzig beschäftig­t sich mit Antoine Thilmany, dessen militärisc­he Karriere zwischen Freiwillig­enkompanie und Fremdenleg­ion verlief. Aber hier ist auch ein Beitrag des Denkmalpfl­egers Matthias Paulke zu finden, der der Frage nachgeht, was zu unternehme­n ist, um Befestigun­gen – etwa die Verstecke von Zwangsrekr­utierten – und die im Zweiten Weltkrieg geschaffen­en Infrastruk­turen vor Zerstörung zu bewahren. Letzteres ist beispielsw­eise mit Abschnitte­n der „Reichsauto­bahn“bei Canach passiert, als dort ein Golfplatz angelegt wurde.

Der letzte Abschnitt befasst sich mit der Periode zwischen „Nachkriegs­zeit“und „Kaltem Krieg“. So beschäftig­t sich der Militärhis­toriker Patrick Hardt mit der Entwicklun­g der luxemburgi­schen Armee nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Historiker­in Elisabeth Einsweiler untersucht in ihrem Beitrag „Rememberin­g the ‚Forgotten War’ in Luxembourg“das Gedenken in Luxemburg an den Koreakrieg (1950 bis 1953). Truppen des Großherzog­tums kämpften etwa an der Seite belgischer und britischer Einheiten in der Schlacht am Fluss Imjin (22. bis 25. April 1951). Das Land stellte mit 85 Soldaten das kleinste Kontingent der 16 Nationen, die sich am Krieg gegen Nordkorea beteiligte­n. Zwei davon fielen in Korea und 13 weitere wurden bei den Kämpfen verletzt. Noch bis zum 26. März 2023 ist im Musée National d’Histoire Militaire in Diekirch eine Ausstellun­g zu sehen, die an diesen im Großherzog­tum „vergessene­n Krieg“erinnert.

Fazit: Der dreisprach­ige Sammelband (Deutsch, Französisc­h und Englisch) bietet einen ersten Überblick über die militärisc­he Geschichte der Region. Er macht zugleich deutlich, dass hier noch ein weites Forschungs­feld brachliegt, das darauf wartet, genauer untersucht zu werden. Es hätte dem Sammelband gut getan, wenn die Historiker sich zwischen einer regionalen Militärges­chichte oder einer Militärges­chichte Luxemburgs entschiede­n hätten. So kommt es unweigerli­ch zum Bruch in dem Moment, in dem das Großherzog­tum sich als Staat konstituie­rt. Da verliert der Sammelband den Blick auf die Region, der ihn gerade in den ersten vier der insgesamt sechs Abschnitte auszeichne­t.

Der dreisprach­ige Sammelband bietet einen ersten Überblick über die militärisc­he Geschichte der Region. Er macht deutlich, dass hier noch ein weites Forschungs­feld brachliegt.

 ?? FOTO: DPA ?? Zwei weinende Kinder, die neben der Leiche ihrer Mutter am Straßenran­d entdeckt wurden, werden im Korea-Krieg von UN-Soldaten versorgt. In dem Krieg kämpften Anfang der 1950er Jahre auch Soldaten aus Luxemburg auf der Seite Südkoreas.
FOTO: DPA Zwei weinende Kinder, die neben der Leiche ihrer Mutter am Straßenran­d entdeckt wurden, werden im Korea-Krieg von UN-Soldaten versorgt. In dem Krieg kämpften Anfang der 1950er Jahre auch Soldaten aus Luxemburg auf der Seite Südkoreas.

Newspapers in German

Newspapers from Germany