Vom diesem Traumgarten schwärmte Knigge
Nicht alles, was Saarbrücken an Schönheit verlor, ist dem Krieg geschuldet. Vieles wurde viel später zerstört. Wir stellen in unserer Serie einige der verlorengegangenen Schätze vor. Heute die kleine, spektakuläre Orangerie am Schlossplatz, die im Krieg beschädigt und Jahre später abgerissen wurde.
SAARBRÜCKEN Das barocke Ensemble am Schlossplatz ist heute eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Saarbrücken. Schloss, Altes Rathaus, sowie Erbprinzengebäude lassen dabei auch heute noch die Anmutung zu, wie der Platz zu Zeiten des Fürsten Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken ausgesehen hat.
Jedoch fehlen heute einige der barocken Gebäude, die das Ensemble damals vervollständigten, wie die Lingerie oder die Kutschenremise. Ein weiteres dieser Gebäude war die kleine Orangerie, oft auch als „Wintergarten“bezeichnet. Es war ein Juwel, das bis heute wenig erforscht und wohl auch wenig bekannt ist, obwohl sich ältere Saarbrücker Bürger vielleicht noch an den im 2. Weltkrieg beschädigten und später abgerissenen Bau erinnern können.
Ab dem 16. Jahrhundert kamen an den europäischen Fürstenhöfen Sammlungen von Orangen- und anderen Zitrusbäumen in Mode, Orangerien waren daher in repräsentativen Schloss- und Gartenanlagen des Barocks üblich. Eine Orangerie ist eigentlich der historische repräsentative Garten für Zitruspflanzen, der Begriff wurde erst seit dem 18. Jahrhundert auch auf die Gebäude übertragen, in denen die Sammlungen im Winter untergebracht waren.
In Saarbrücken gab es schon sehr früh einen Orangengarten. Eckart Sander schreibt im Ausstellungskatalog „Gartenkunst in Saarbrücken“aus dem Jahr 1999, dass Graf Wilhelm Ludwig von Nassau-Saarbrücken (1590 – 1640) auf seiner Gartenterrasse einen Orangengarten anlegen und „auf der Südseite das erforderliche Pomeranzenhaus errichten ließ“.
Falls dieses Gebäude eigens für Orangeriezwecke erbaut wurde, wäre es eine der ersten festen Orangerien Deutschlands gewesen. Auf einer Karte, die den Zustand des
Schlossgartens um 1700 zeigt, ist diese fünfachsige Orangerie namentlich erwähnt, fährt Eckart Sander fort. So wundert es nicht, dass auch der barocke Schlossneubau des Architekten Friedrich Joachim Stengel, fertiggestellt im Jahr 1748, über eine Orangerie verfügte. „In derselben Zeit, in der die Ausschmückung des Schlossplatzes vor sich ging, entstand auch eine neue Orangerie“, schreibt Karl Lohmeyer in seiner Monographie über Friedrich Joachim Stengel im Jahr 1911.
Allerdings konnte er die Lage dieser Orangerie schon damals nicht mehr ganz genau klären. „Sie scheint die hintere Terrasse des oberen Lustgartens nach der Seite der Talstraße zu als „point de vue“beschlossen zu haben“, mutmaßt er, denn auf einer Karte von 1772 sei ein langgestrecktes Gebäude nur mittels dieser Orangerie zu identifizieren.
Hofgärtner war Johann Friedrich Christian Koellner, der bereits damals in Gewächshäusern oder Orangerien Melonen, Ananas und Feigen kultiviert hat. Ihm soll es sogar gelungen sein, im Jahr 1782 drei genussreife Ananasfrüchte zu ernten – die Kultivierung der Ananas war an den Fürstenhöfen des 18. Jahrhunderts die Besonderheit schlechthin.
Das Foto aus dem Jahr 1938, das der Saarbrücker Zeitung freundlicherweise vom ehemaligen Denkmalpfleger der Landeshauptstadt Saarbrücken, Hans Mildenberger, zur Verfügung gestellt wurde, zeigt angeschnitten am rechten Bildrand allerdings ein anderes Gebäude. Denn dieser Bau einer Orangerie stammte nicht von Friedrich Joachim Stengel, sondern von dessen Sohn Balthasar Wilhelm Stengel und wurde 1786-87 an der gegenüberliegenden Seite des Schlossplatzes errichtet.
Die kleine Orangerie lag in der Flucht vor dem linken, nördlichen Schlossflügel, sie bildete wohl einen Teil der Einfassung des Vorhofs und sie war – für eine Orangerie sehr sinnvoll – nach Süden ausgerichtet.
Das Gebäude hatte anderthalb Geschosse und sieben Achsen. In der Mitte befand sich mit einem Dreiecksgiebel betont, ein Portal, das später zugemauert wurde. Die einzelnen Achsen waren durch Putzlisenen abgeteilt, die unteren Fenster waren rechteckig, die oberen rund. Ein Walmdach bekrönte das kleine Gebäude, auf dessen Rückseite der kleine Lustgarten mit großem Wasserbassin lag.
Das Innere dieser Orangerie enthielt nur einen Saal, der aber muss eine kleine Sensation gewesen sein. Denn eine ausführliche Beschreibung des bekannten Schriftstellers Adolf Freiherr von Knigge, der sich öfter in Saarbrücken aufhielt, wird in der Literatur mehrfach wiedergegeben. Er beschreibt, dass die Säulen im Inneren der Orangerie mit Baumrinde ausgekleidet waren, sodass sie wie Bäume wirkten. Die Decke war als Himmel bemalt,
Fenster und Öfen waren von Hecken versteckt, sodass selbst im Winter die Anmutung eines warmen Sommertages geweckt wurde.
Außerdem wuchsen allerlei Pflanzen, Vögel flogen durch den Raum, und in einer kleinen Grotte sprudelte frisches Wasser. Durch die Bemalung von Decke und Dekoration des Saals mit lebenden Pflanzen und Vögeln wurde der Eindruck einer Waldszenerie unter freiem Himmel erweckt.
Der Trierer Kunsthistoriker Jens Fachbach vermutet in einem Aufsatz zur barocken Deckenmalerei sogar, dass diese Dekorationen und Malereien auf die Inspiration von Balthasar Wilhelm Stengel zurückzuführen sind, der auch als Bühnenbildner und Theaterarchitekt für Fürst Ludwig von NassauSaarbrücken tätig war. Die kleine Orangerie, dieses barocke Juwel, wurde bei den Luftangriffen im Oktober 1944 schwer beschädigt und im Jahr 1954 abgebrochen. An ihrer Stelle wurde 1954-56 das Kreiskulturhaus, das heutige VHS-Zentrum, in zeitgenössischen Bauformen von dem Architekten Rudolf Krüger errichtet.