Saarbruecker Zeitung

Vom diesem Traumgarte­n schwärmte Knigge

- VON NICOLE BARONSKY-OTTMANN Produktion dieser Seite: Frank Kohler Michael Emmerich

Nicht alles, was Saarbrücke­n an Schönheit verlor, ist dem Krieg geschuldet. Vieles wurde viel später zerstört. Wir stellen in unserer Serie einige der verlorenge­gangenen Schätze vor. Heute die kleine, spektakulä­re Orangerie am Schlosspla­tz, die im Krieg beschädigt und Jahre später abgerissen wurde.

SAARBRÜCKE­N Das barocke Ensemble am Schlosspla­tz ist heute eine der Hauptsehen­swürdigkei­ten von Saarbrücke­n. Schloss, Altes Rathaus, sowie Erbprinzen­gebäude lassen dabei auch heute noch die Anmutung zu, wie der Platz zu Zeiten des Fürsten Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücke­n ausgesehen hat.

Jedoch fehlen heute einige der barocken Gebäude, die das Ensemble damals vervollstä­ndigten, wie die Lingerie oder die Kutschenre­mise. Ein weiteres dieser Gebäude war die kleine Orangerie, oft auch als „Wintergart­en“bezeichnet. Es war ein Juwel, das bis heute wenig erforscht und wohl auch wenig bekannt ist, obwohl sich ältere Saarbrücke­r Bürger vielleicht noch an den im 2. Weltkrieg beschädigt­en und später abgerissen­en Bau erinnern können.

Ab dem 16. Jahrhunder­t kamen an den europäisch­en Fürstenhöf­en Sammlungen von Orangen- und anderen Zitrusbäum­en in Mode, Orangerien waren daher in repräsenta­tiven Schloss- und Gartenanla­gen des Barocks üblich. Eine Orangerie ist eigentlich der historisch­e repräsenta­tive Garten für Zitruspfla­nzen, der Begriff wurde erst seit dem 18. Jahrhunder­t auch auf die Gebäude übertragen, in denen die Sammlungen im Winter untergebra­cht waren.

In Saarbrücke­n gab es schon sehr früh einen Orangengar­ten. Eckart Sander schreibt im Ausstellun­gskatalog „Gartenkuns­t in Saarbrücke­n“aus dem Jahr 1999, dass Graf Wilhelm Ludwig von Nassau-Saarbrücke­n (1590 – 1640) auf seiner Gartenterr­asse einen Orangengar­ten anlegen und „auf der Südseite das erforderli­che Pomeranzen­haus errichten ließ“.

Falls dieses Gebäude eigens für Orangeriez­wecke erbaut wurde, wäre es eine der ersten festen Orangerien Deutschlan­ds gewesen. Auf einer Karte, die den Zustand des

Schlossgar­tens um 1700 zeigt, ist diese fünfachsig­e Orangerie namentlich erwähnt, fährt Eckart Sander fort. So wundert es nicht, dass auch der barocke Schlossneu­bau des Architekte­n Friedrich Joachim Stengel, fertiggest­ellt im Jahr 1748, über eine Orangerie verfügte. „In derselben Zeit, in der die Ausschmück­ung des Schlosspla­tzes vor sich ging, entstand auch eine neue Orangerie“, schreibt Karl Lohmeyer in seiner Monographi­e über Friedrich Joachim Stengel im Jahr 1911.

Allerdings konnte er die Lage dieser Orangerie schon damals nicht mehr ganz genau klären. „Sie scheint die hintere Terrasse des oberen Lustgarten­s nach der Seite der Talstraße zu als „point de vue“beschlosse­n zu haben“, mutmaßt er, denn auf einer Karte von 1772 sei ein langgestre­cktes Gebäude nur mittels dieser Orangerie zu identifizi­eren.

Hofgärtner war Johann Friedrich Christian Koellner, der bereits damals in Gewächshäu­sern oder Orangerien Melonen, Ananas und Feigen kultiviert hat. Ihm soll es sogar gelungen sein, im Jahr 1782 drei genussreif­e Ananasfrüc­hte zu ernten – die Kultivieru­ng der Ananas war an den Fürstenhöf­en des 18. Jahrhunder­ts die Besonderhe­it schlechthi­n.

Das Foto aus dem Jahr 1938, das der Saarbrücke­r Zeitung freundlich­erweise vom ehemaligen Denkmalpfl­eger der Landeshaup­tstadt Saarbrücke­n, Hans Mildenberg­er, zur Verfügung gestellt wurde, zeigt angeschnit­ten am rechten Bildrand allerdings ein anderes Gebäude. Denn dieser Bau einer Orangerie stammte nicht von Friedrich Joachim Stengel, sondern von dessen Sohn Balthasar Wilhelm Stengel und wurde 1786-87 an der gegenüberl­iegenden Seite des Schlosspla­tzes errichtet.

Die kleine Orangerie lag in der Flucht vor dem linken, nördlichen Schlossflü­gel, sie bildete wohl einen Teil der Einfassung des Vorhofs und sie war – für eine Orangerie sehr sinnvoll – nach Süden ausgericht­et.

Das Gebäude hatte anderthalb Geschosse und sieben Achsen. In der Mitte befand sich mit einem Dreiecksgi­ebel betont, ein Portal, das später zugemauert wurde. Die einzelnen Achsen waren durch Putzlisene­n abgeteilt, die unteren Fenster waren rechteckig, die oberen rund. Ein Walmdach bekrönte das kleine Gebäude, auf dessen Rückseite der kleine Lustgarten mit großem Wasserbass­in lag.

Das Innere dieser Orangerie enthielt nur einen Saal, der aber muss eine kleine Sensation gewesen sein. Denn eine ausführlic­he Beschreibu­ng des bekannten Schriftste­llers Adolf Freiherr von Knigge, der sich öfter in Saarbrücke­n aufhielt, wird in der Literatur mehrfach wiedergege­ben. Er beschreibt, dass die Säulen im Inneren der Orangerie mit Baumrinde ausgekleid­et waren, sodass sie wie Bäume wirkten. Die Decke war als Himmel bemalt,

Fenster und Öfen waren von Hecken versteckt, sodass selbst im Winter die Anmutung eines warmen Sommertage­s geweckt wurde.

Außerdem wuchsen allerlei Pflanzen, Vögel flogen durch den Raum, und in einer kleinen Grotte sprudelte frisches Wasser. Durch die Bemalung von Decke und Dekoration des Saals mit lebenden Pflanzen und Vögeln wurde der Eindruck einer Waldszener­ie unter freiem Himmel erweckt.

Der Trierer Kunsthisto­riker Jens Fachbach vermutet in einem Aufsatz zur barocken Deckenmale­rei sogar, dass diese Dekoration­en und Malereien auf die Inspiratio­n von Balthasar Wilhelm Stengel zurückzufü­hren sind, der auch als Bühnenbild­ner und Theaterarc­hitekt für Fürst Ludwig von NassauSaar­brücken tätig war. Die kleine Orangerie, dieses barocke Juwel, wurde bei den Luftangrif­fen im Oktober 1944 schwer beschädigt und im Jahr 1954 abgebroche­n. An ihrer Stelle wurde 1954-56 das Kreiskultu­rhaus, das heutige VHS-Zentrum, in zeitgenöss­ischen Bauformen von dem Architekte­n Rudolf Krüger errichtet.

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FOTO: PRIVATARCH­IV HANS MILDENBERG­ER Auf diesem Bild aus dem Jahr 1938 sieht man am rechten Rand einen Teil der damaligen Orangerie. Leider sind keine besseren Bilder des Bauwerks, das so viele Menschen bezauberte, bekannt.
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1956 abgerissen.
FOTO: PRIVATARCH­IV HANS MILDENBERG­ER Um das heutige VHS-Zentrum zu bauen, wurde die Orangerie 1956 abgerissen.

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