Fachkräftesicherung für viele Firmen die größte Herausforderung
Auf seiner „Transformationstour“durch Sachsen-Anhalt erfährt der Arbeitsminister von den Problemen, mit denen die Unternehmen zu kämpfen haben.
SCHÖNEBECKHubertus Heil schnappt sich den Ball, dribbelt Richtung Tor und schießt ihn oben links ins Eck. „Anlauf Heil und wieder der Lupfer, und der ist drin!“, ruft der Kommentator im Stadion des SC Magdeburg. Heil ist froh, die sportliche Aufgabe gut bewältigt zu haben, schließlich will er vor den mitgereisten Journalisten keine peinliche Figur machen. In seiner Jugend war Heil rechter Verteidiger beim SV Adler Hämelerwald in seiner niedersächsischen Heimat. „Ich war nicht besonders gut“, gesteht der SPD-Minister. Und jetzt ist er auch noch gehandicapt: Von seinen Sportschuhen hat sich die Sohle abgelöst, Heil muss in Straßenschuhen spielen.
Gekommen ist er aber nicht wegen des Sports, sondern wegen des Startup-Unternehmens „Mycrocast“. Dessen innovative Idee ist, den Fußball durch individuelle Kommentare für Abonnenten erlebbarer zu machen, vor allem auch für sehbehinderte Menschen. Die neue App sorgt dafür, dass praktisch jeder Mensch ein Spiel für sein Publikum im Netz kommentieren kann, der Ärger über schlechte TV-Kommentatoren ist damit Schnee von gestern. Das Magdeburger MiniUnternehmen arbeitet schon mit den ganz Großen zusammen, Bundesliga-Vereinen wie dem Hamburger SV oder Werder Bremen, sagt der Gründer stolz.
Heil ist begeistert. „Hier ist ein Papa mit einem zehnjährigen fußballbegeisterten Sohn. Das wäre was für uns“, sagt er. Es ist die erste Station auf Heils zweitägiger „Transformationstour“durch Sachsen-Anhalt. Fachkräftemangel, Inflation, Lieferkettenprobleme, Gas-Krise – der Transformationsdruck in den Unternehmen ist stärker geworden, aber die Fachkräftesicherung ist die größte aller Herausforderungen.
Und nun droht im Herbst auch noch eine Rezession. Der jüngste Ifo-Geschäftsklimaindex vom August ist ein schlechtes Omen, auch für Hubertus Heil. Er spricht auf der Reise von „rezessiven Tendenzen“. Er werde daher den vereinfachten Zugang zum Kurzarbeitergeld über den 30. September hinaus verlängern, kündigt er auf der Tour an. Für wie lange, das werde derzeit in der Regierung noch abgestimmt, aber auf jeden Fall will er die vereinfachte Leistung „über den Winter“beibehalten, damit Unternehmen jetzt nicht mit Entlassungen beginnen.
In Schönebeck, der zweiten Station, trifft der Minister auf HansJürgen Schwarz, den Gründer der Ambulanz Mobile GmbH. Schwarz war zu DDR-Zeiten schon Produktionschef im örtlichen Traktorenwerk, das einst 7500 Menschen beschäftigt hat. Nach der Wende kaufte er das Gelände der Treuhandanstalt ab, stellte um auf die Herstellung von Krankenwagen. Heute beschäftigt er 323 Mitarbeiter, das Unternehmen liefert hochmoderne Ambulanzen nach Neuseeland und nach Helgoland.
„Viele im Westen wissen gar nicht, dass die Ostdeutschen von den 90er Jahren geprägt sind“, sagt Heil zum
Unternehmenschef. Er selbst sei zur Wende 17, 18 Jahre alt gewesen, habe in Magdeburg und später in Brandenburg mitbekommen, wie von einem Moment auf den anderen sämtliche Industriestruktur „einfach weg“gewesen ist. „Das Gefühl, dass alles ganz schnell weg sein kann“, das würden die Ostdeutschen besser kennen als die Wessis. Er fühle „Stolz und Respekt“, wenn er auf die Lebensleistung der Ostdeutschen blicke, sagt Heil.
Heute hat die Schönebecker Firma so volle Auftragsbücher wie noch nie in ihrer Geschichte, und dennoch hat sie zu kämpfen: Lieferwagen von VW, Ford und Mercedes, die hier zu Krankenwagen umgebaut werden, kommen nur noch mit Verspätung. Zudem steigen „jeden Tag die Preise“, klagt Schwarz. Das größte aller Probleme aber sei die Fachkräftesicherung. Das Unternehmen beschäftigt Mitarbeiter aus 32 Nationen, darunter Geflüchtete aus Syrien, dem Iran und der Ukraine. Um zwei Syrer nach Schönebeck zu holen, hat Schwarz 2015 höchstpersönlich Einreisegenehmigungen für sie in Bulgarien besorgt. Zudem schreibt er Kinderbücher. „Man muss bei den Kleinsten anfangen, wenn man sich die Fachkräfte von morgen sichern will“, sagt der Unternehmer.
Im September werde die Bundesregierung das neue Einwanderungsrecht auf den Weg bringen, damit Unternehmen wie die Ambulanz GmbH gezielt mehr Fachkräfte nach Deutschland holen können, berichtet Heil. Qualifizierte Asylbewerber sollen zudem durch einen „Spurwechsel“bei den Regeln die Chance auf ein Bleiberecht und auf Einbürgerung bekommen.
Nicht begeistert ist Heil allerdings darüber, dass ein Betriebsrat in dem Schönebecker Erfolgsunternehmen bis heute nicht gegründet wurde. Bei der Ambulanz Mobile GmbH trifft er zum Abschluss noch auf einen jungen Mann aus Tadschikistan. Baradin arbeitet an den komplizierten Elektroleitungen für einen neuen Notarztwagen, will später noch Elektrotechnik studieren. „Lassen Sie sich bloß ordentlich bezahlen“, raunt ihm der SPD-Politiker verschwörerisch zu. Baradin nickt – und lächelt wissend.