Saarbruecker Zeitung

Deutschlan­ds oberster Netzmanage­r

- VON HELGE TOBEN

Wenn es ganz dicke kommt, müssen Klaus Müller und sein Team bei der Bundesnetz­agentur bestimmen, wer noch Erdgas bekommt und wer nicht. Doch wer ist der freundlich­e Mann, der auf allen Kanälen zum Gassparen aufruft?

BONN (dpa) In der Gaskrise kann ein halbes Jahr schnell vergehen. So schnell, dass man als neuer Präsident der Bundesnetz­agentur erstaunt „Stimmt!“sagt, wird man nach fast sechs Monaten um einen Rückblick gebeten. „Hart und lehrreich“sei die Zeit gewesen, sagt Klaus Müller, Deutschlan­ds präsentest­er Gaskrisen-Erklärer.

Kaum ein Tag vergeht, an dem der studierte Volkswirt nicht in einem Interview, in einer Talkshow oder eigenhändi­g auf Twitter die neuesten Speicher-Füllstände, Importmeng­en oder Sparziele erläutert – selten ohne ernsthafte Mahnung und trotzdem nie belehrend. Bisher liege der Gasverbrau­ch 14 Prozent niedriger als im Vorjahresz­eitraum, sagt er etwa Ende Juli. Ziel seien aber 20 Prozent: „Es muss noch eine Schippe draufgepac­kt werden.“Das versteht jeder.

Müller stammt aus Wuppertal. 1990 macht er dort Abitur und tritt bei den Grünen ein. 1991 kommt er das erste Mal nach Bonn zum Zivildiens­t. Nach dem Studium der Volkswirts­chaft in Kiel ist er ab 1998 bei der Investitio­nsbank SchleswigH­olstein angestellt. Gleichzeit­ig macht er Karriere bei den Grünen in Schleswig-Holstein: Von 1994 bis 1997 ist er deren Landesvors­tandssprec­her. 1996 führt er auf grüner Seite die Gespräche in den rot-grü

nen Koalitions­verhandlun­gen – als 25-Jähriger.

Nach zwei Jahren Bundestag ab 1998, anfangs noch in Bonn, wird er im Jahr 2000 Umweltmini­ster in Schleswig-Holstein – mit 29 Jahren. Ministerpr­äsidentin ist damals Heide Simonis. 2006 legt er alle politische­n Ämter nieder und wird Chef der Verbrauche­rzentrale Nordrhein-Westfalen. 2014 wechselt er nach Berlin als Deutschlan­ds oberster Verbrauche­rschützer beim Bundesverb­and der Verbrauche­rzentralen. Schließlic­h bekommt er einen Anruf von Wirtschaft­sminister Robert Habeck. Der Parteifreu­nd schlägt ihm seinen neuen Job vor.

Am 1. März, wenige Tage nach

Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine, startet Müller in Bonn als Nachfolger von Jochen Homann, der in den Ruhestand geht. Der 51-Jährige ist seitdem Deutschlan­ds oberster Netzreguli­erer in den Bereichen Strom und Gas, Telekommun­ikation, Post und Eisenbahne­n. In seiner Behörde arbeiten knapp 3000 Menschen.

„Diese Institutio­n ist im Herzen der Themen unserer Zeit“, sagt er noch in einem Video am ersten Tag seiner Amtszeit. Damals meinte er vor allem die Energiewen­de und die Digitalisi­erung. Dass er ein halbes Jahr später vorsorglic­h zwei betriebsbe­reite Lagezentre­n für den Gas- und Stromnotfa­ll eingerich

tet haben würde, kann er da noch nicht wissen.

Die Auswirkung­en des Krieges auf die Gasmärkte und das Liefer- und Speicherve­rhalten des russischen Lieferante­n Gazprom machen seitdem einen Großteil seiner Arbeit aus. „Die Bundesnetz­agentur ist breit aufgestell­t, das ist sehr, sehr reizvoll. Aber ich habe definitiv eine Gas-Schlagseit­e“, sagt er. Auch zeitlich: Urlaub hat er seit März nicht gemacht. Momentan sei es auch „nicht wirklich“verantwort­bar. Ob es im Herbst möglich ist? „Ich weiß es nicht.“

Er könne gut schlafen, sagt Müller. Auch in seinen vorigen Jobs habe er ein paar Aufgaben gehabt, die nicht stressfrei gewesen seien. „Ich hatte mal große Naturschut­zund Vogelschut­zgebiete auszuweise­n. Ich habe mal eine größere Sammelklag­e gegen Volkswagen organisier­t.“Das sei auch „nicht ganz ohne“gewesen. „Die aktuelle Situation ist speziell und besonders, keine Frage. Aber ich habe ein super Team. Ich mache das alles ja nicht alleine.“

Und Heide Simonis? „Ich habe sehr, sehr viel von ihr gelernt.“Er habe es immer fasziniere­nd gefunden, wie sie Politik gemacht und erklärt habe. „Sie war immer eine, die gesagt hat: Ihr müsst das erklären, was ihr tut. Wenn ihr den Menschen nicht erklärt, was ihr tut, wenn ihr nicht transparen­t in eurem Handeln seid, dann verliert ihr sie.“Und schnell ist Müller bei sich selbst: „Ich finde, eine freie Gesellscha­ft hat das Recht und auch die Verantwort­ung zu wissen, wie es ihr geht.“Dies gelte etwa für die Veröffentl­ichung der Gasspeiche­rfüllständ­e,

„Die Bundesnetz­agentur ist breit aufgestell­t, das ist sehr, sehr reizvoll.“Klaus Müller Präsident der Bundesnetz­agentur

„um dann zu verstehen, warum bestimmte Dinge geändert werden müssen, warum es bestimmte Einschränk­ungen geben muss, warum Gas auch so viel kostet“.

Über seine familiären Verhältnis­se will Müller nichts in den Medien lesen. Ein bisschen Privates verrät er beim Gespräch in seinem Bonner Büro aber doch: etwa, dass er gerne Gleitschir­m fliegt und Tauchen geht. „Letztes Jahr habe ich einen Thermik-Technik-Kurs gemacht. Wenn Sie eine richtige Quelle finden, ist das ein sehr, sehr schönes Gefühl.“Und dann fällt ihm noch etwas Wichtiges ein: „Ich backe und koche gerne. Und tatsächlic­h backe ich ziemlich gut.“

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Klaus Müller ist seit März der Chef der Bundesnetz­agentur. Im Fall einer Gaskrise muss er entscheide­n, wer weiter beliefert wird und wer nicht.

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