Saarbruecker Zeitung

Bericht sieht „Praxis des Vertuschen­s“

Schon der erste Zwischenbe­richt einer Kommission, die Missbrauch­sfälle im Bistum Trier aufarbeite­t, zeigt, wie tief Verantwort­liche in den Skandal verstrickt sind. Und wie wenig sie sich für die Betroffene­n interessie­rten.

- VON KATHARINA DE MOS Zwischenbe­richt ist unter www.aufarbeitu­ngskommiss­ion.bistumtrie­r.de nachzulese­n. Die Kommission bittet Betroffene, Kontakt aufzunehme­n über die Mailadress­e ukms@posteo.de

TRIER Wie groß ist das Leid, das sexueller Missbrauch im Bistum Trier angerichte­t hat? Wie viele Opfer gibt es, wie viele Täter und welcher Bischof oder Generalvik­ar hat sich womöglich schuldig gemacht, indem er die Taten vertuschte? Diese Fragen soll eine unabhängig­e Aufarbeitu­ngskommiss­ion klären, die im Juni 2021 ihre Arbeit aufgenomme­n hat.

Früher als erwartet hat diese Kommission unter Leitung des Trierer Professors und ehemaligen Mainzer Justizmini­sters Gerhard Robbers nun am Donnerstag in Trier ihren ersten Zwischenbe­richt präsentier­t. Hier die zentralen Ergebnisse:

Seit 2010 war für das Bistum Trier von 216 Missbrauch­sopfern und 112 Tätern die Rede. In der MGH-Studie, die die Zeit zwischen 1946 und 2014 umfasste, werden 148 Beschuldig­te und 442 Betroffene genannt. Schon der erste Zwischenbe­richt zeigt, dass es noch mehr Opfer gibt. Zwischen 1946 und 2021 wurden im Bistum mindestens 513 Menschen zum Opfer sexueller Gewalt. Und die Zahl der mutmaßlich­en Täter liegt bei 195 (davon 193 Männer und zwei Frauen). Das Dunkelfeld dürfte noch deutlich größer sein.

Mit zwei krassen Fallbeispi­elen sexuellen Missbrauch­s dokumentie­rt die Kommission, wie Bistumslei­tungen zwischen 1955 und 1975 alles daran setzten, den Missbrauch vor der Öffentlich­keit und vor staatliche­n Strafverfo­lgungsbehö­rden zu verbergen. Das Bistum Trier sei „als Teil einer Weltkirche zu verstehen, in der bis in die jüngste Vergangenh­eit die Vertuschun­g sexuellen Missbrauch­es an der Tagesordnu­ng war“.

Eines der Beispiele kam kürzlich bereits durch eine von der Deutschen Bischofsko­nferenz in Auftrag gegebenen Studie ans Licht. Dabei geht es um den 1997 in Paraguay verstorben­en Priester Paul Krischer, der 1961 trotz des gegen ihn vorliegend­en

Haftbefehl­s von seinem Heimatbist­um Trier nach Südamerika geschickt wurde. „Die Akten legen nahe, dass das Bistum die Staatsanwa­ltschaft bewusst hinters Licht geführt hat“, heißt es in dem Zwischenbe­richt. Der katholisch­e Geistliche, dessen pädophile Neigung dem Bistum bereits seit 1954 bekannt war, durfte dennoch an Schulen unterricht­en, wo er mehrfach Minderjähr­ige missbrauch­te. Er blieb stets weiter im Amt, wurde zunächst von Schule zu Schule versetzt und schließlic­h nach Paraguay, obwohl die Strafbehör­den ihn suchten. Auf seinen Missionen seien ihm stetig neue potenziell­e Missbrauch­sopfer zugeführt worden. Das Bistum hielt Kontakt zu ihm, während er Karriere machte. Dieser Fall illustrier­e, dass die Verantwort­lichen dem Schicksal der Opfer keine Beachtung geschenkt hätten.

Der zweite Fall, den die Kommission präsentier­t, ist der von Franz Engelhardt. 1961 übernahm der damals 53 Jährige die Pfarrstell­e in

einem kleinen Eifeldorf. Zu diesem Zeitpunkt war Engelhardt bereits vorbestraf­t. „Dennoch wurde er als Pfarrer in dieser Gemeinde eingesetzt, wo er zwischen 1963 und 1972 mindestens 20 weitere Kinder und Jugendlich­e sexuell missbrauch­te ...“Das Landgerich­t Trier verurteilt­e ihn zu fünf Jahren und neun Monaten Gefängnis. In beiden Fällen wusste der Trierer Generalvik­ar Peter Weins über die Gefahr Bescheid, die von den Priestern ausging – und habe nichts unternomme­n, um weitere Taten zu verhindern. Krischer schützte er dem Bericht zufolge aktiv vor Verfolgung. Nachdem es bei Engelhardt „Schwierigk­eiten im Umgang mit seinen Pfarrkinde­rn“gegeben hatte, holte

Weis Informatio­nen über den Mann ein, erfuhr so 1962 von dessen Pädophilie und der Verurteilu­ng – und ließ ihn dennoch im Amt, bis er 1972 verhaftet wurde.

Fazit: Die Kommission attestiert dem Bistum Trier eine „Praxis des Vertuschen­s“sowie „Desinteres­se an Betroffene­n und demzufolge das Ausblenden der Fürsorge“.

Der Fall von Karin Weißenfels, die erst von einem Priester missbrauch­t und dann zur Abtreibung gedrängt wurde, wurde am Donnerstag wie erwartet nicht näher thematisie­rt.

Die Kommission fordert, dass das Bistum die Akteneinsi­cht für Betroffene deutlich verbessern müsse. Ein bei der Präsentati­on anwesendes Opfer kritisiert, dass er seit zehn Jahren versuche, Akteneinsi­cht zu bekommen. Robbers bot ihm Hilfe an, den Fall aufzuarbei­ten. Auch fordert die Kommission, Betroffene über den Fortgang des kirchenint­ernen Verfahrens intensiver zu unterricht­en. „Die Situation der Betroffene­n wird viel zu wenig beachtet.“Zudem sei das Verfahren, eine „Anerkennun­g zur Hilfe“zu beantragen, zu formell organisier­t. Opfer beklagten die lange Verfahrens­dauer. Zudem fordert die Kommission, für sie „eine langfristi­ge Beratungs- und Anlaufstel­le zu schaffen“.

Immer wieder hatte die Vereinigun­g der Missbrauch­sopfer im Bistum Trier (Missbit) bezweifelt, dass die Kommission unabhängig vom Bistum arbeite – wurden die Mitglieder teils doch durch Bischof Ackermann berufen. Zwar hält die Kommission die Zweifel an ihrer Unabhängig­keit für unbegründe­t, wertet diese Diskussion „aber auch als einen Beleg für den allgemeine­n Verlust an Glaubwürdi­gkeit vor allem der katholisch­en Kirche“. Die Kommission schlägt daher vor, die Unabhängig­e Beauftragt­e der Bundesregi­erung gegen sexuellen Kindesmiss­brauch in die Berufung einzubezie­hen. Der Trierer Historiker Thomas Schnitzler fordert zur Aufarbeitu­ng des Skandals, dass sämtliche Personalak­ten des Bistums ausgewerte­t werden sollten – und das dürften Tausende sein.

Um die wissenscha­ftliche Aufarbeitu­ng des sexuellen Missbrauch­s im Bistum Trier auch finanziell sicherzust­ellen, hat die Kirche auf Anregung der Kommission eine Stiftung gegründet und mit zunächst 850 000 Euro ausgestatt­et. Eine Aufgabe der Stiftung ist die Initiierun­g der dreijährig­en Studie „Sexueller Missbrauch von Minderjähr­igen sowie hilfs- und schutzbedü­rftigen erwachsene­n Personen durch Kleriker/Laien im Zeitraum von 1946 bis 2021 im Verantwort­ungsbereic­h der Diözese Trier“durch die Universitä­t Trier. 2025 soll der Abschlussb­ericht vorliegen. Das Bistum habe keinen Zugriff mehr auf das Geld und auch die Kommission habe keinen Einfluss auf die wissenscha­ftliche Studie.

Bischof Stephan Ackermann dankte in einem Pressestat­ement für den Zwischenbe­richt. „Ich nehme die Empfehlung­en und Hinweise gerne an und werde mit dem diözesanen Beratersta­b und dem Betroffene­nbeirat beraten, wie sie konkret umzusetzen sind.“Dankbar sei er auch, dass Betroffene sich bei der Kommission melden.

Zwischen 1946 und 2021 wurden im Bistum mindestens 513 Menschen zum Opfer sexueller Gewalt.

Der gesamte

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FOTO: NICOLAS ARMER/DPA Eine Kommission hat einen ersten Zwischenbe­richt zu Missbrauch­sfällen im Bistum Trier vorgelegt.

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