Bericht sieht „Praxis des Vertuschens“
Schon der erste Zwischenbericht einer Kommission, die Missbrauchsfälle im Bistum Trier aufarbeitet, zeigt, wie tief Verantwortliche in den Skandal verstrickt sind. Und wie wenig sie sich für die Betroffenen interessierten.
TRIER Wie groß ist das Leid, das sexueller Missbrauch im Bistum Trier angerichtet hat? Wie viele Opfer gibt es, wie viele Täter und welcher Bischof oder Generalvikar hat sich womöglich schuldig gemacht, indem er die Taten vertuschte? Diese Fragen soll eine unabhängige Aufarbeitungskommission klären, die im Juni 2021 ihre Arbeit aufgenommen hat.
Früher als erwartet hat diese Kommission unter Leitung des Trierer Professors und ehemaligen Mainzer Justizministers Gerhard Robbers nun am Donnerstag in Trier ihren ersten Zwischenbericht präsentiert. Hier die zentralen Ergebnisse:
Seit 2010 war für das Bistum Trier von 216 Missbrauchsopfern und 112 Tätern die Rede. In der MGH-Studie, die die Zeit zwischen 1946 und 2014 umfasste, werden 148 Beschuldigte und 442 Betroffene genannt. Schon der erste Zwischenbericht zeigt, dass es noch mehr Opfer gibt. Zwischen 1946 und 2021 wurden im Bistum mindestens 513 Menschen zum Opfer sexueller Gewalt. Und die Zahl der mutmaßlichen Täter liegt bei 195 (davon 193 Männer und zwei Frauen). Das Dunkelfeld dürfte noch deutlich größer sein.
Mit zwei krassen Fallbeispielen sexuellen Missbrauchs dokumentiert die Kommission, wie Bistumsleitungen zwischen 1955 und 1975 alles daran setzten, den Missbrauch vor der Öffentlichkeit und vor staatlichen Strafverfolgungsbehörden zu verbergen. Das Bistum Trier sei „als Teil einer Weltkirche zu verstehen, in der bis in die jüngste Vergangenheit die Vertuschung sexuellen Missbrauches an der Tagesordnung war“.
Eines der Beispiele kam kürzlich bereits durch eine von der Deutschen Bischofskonferenz in Auftrag gegebenen Studie ans Licht. Dabei geht es um den 1997 in Paraguay verstorbenen Priester Paul Krischer, der 1961 trotz des gegen ihn vorliegenden
Haftbefehls von seinem Heimatbistum Trier nach Südamerika geschickt wurde. „Die Akten legen nahe, dass das Bistum die Staatsanwaltschaft bewusst hinters Licht geführt hat“, heißt es in dem Zwischenbericht. Der katholische Geistliche, dessen pädophile Neigung dem Bistum bereits seit 1954 bekannt war, durfte dennoch an Schulen unterrichten, wo er mehrfach Minderjährige missbrauchte. Er blieb stets weiter im Amt, wurde zunächst von Schule zu Schule versetzt und schließlich nach Paraguay, obwohl die Strafbehörden ihn suchten. Auf seinen Missionen seien ihm stetig neue potenzielle Missbrauchsopfer zugeführt worden. Das Bistum hielt Kontakt zu ihm, während er Karriere machte. Dieser Fall illustriere, dass die Verantwortlichen dem Schicksal der Opfer keine Beachtung geschenkt hätten.
Der zweite Fall, den die Kommission präsentiert, ist der von Franz Engelhardt. 1961 übernahm der damals 53 Jährige die Pfarrstelle in
einem kleinen Eifeldorf. Zu diesem Zeitpunkt war Engelhardt bereits vorbestraft. „Dennoch wurde er als Pfarrer in dieser Gemeinde eingesetzt, wo er zwischen 1963 und 1972 mindestens 20 weitere Kinder und Jugendliche sexuell missbrauchte ...“Das Landgericht Trier verurteilte ihn zu fünf Jahren und neun Monaten Gefängnis. In beiden Fällen wusste der Trierer Generalvikar Peter Weins über die Gefahr Bescheid, die von den Priestern ausging – und habe nichts unternommen, um weitere Taten zu verhindern. Krischer schützte er dem Bericht zufolge aktiv vor Verfolgung. Nachdem es bei Engelhardt „Schwierigkeiten im Umgang mit seinen Pfarrkindern“gegeben hatte, holte
Weis Informationen über den Mann ein, erfuhr so 1962 von dessen Pädophilie und der Verurteilung – und ließ ihn dennoch im Amt, bis er 1972 verhaftet wurde.
Fazit: Die Kommission attestiert dem Bistum Trier eine „Praxis des Vertuschens“sowie „Desinteresse an Betroffenen und demzufolge das Ausblenden der Fürsorge“.
Der Fall von Karin Weißenfels, die erst von einem Priester missbraucht und dann zur Abtreibung gedrängt wurde, wurde am Donnerstag wie erwartet nicht näher thematisiert.
Die Kommission fordert, dass das Bistum die Akteneinsicht für Betroffene deutlich verbessern müsse. Ein bei der Präsentation anwesendes Opfer kritisiert, dass er seit zehn Jahren versuche, Akteneinsicht zu bekommen. Robbers bot ihm Hilfe an, den Fall aufzuarbeiten. Auch fordert die Kommission, Betroffene über den Fortgang des kircheninternen Verfahrens intensiver zu unterrichten. „Die Situation der Betroffenen wird viel zu wenig beachtet.“Zudem sei das Verfahren, eine „Anerkennung zur Hilfe“zu beantragen, zu formell organisiert. Opfer beklagten die lange Verfahrensdauer. Zudem fordert die Kommission, für sie „eine langfristige Beratungs- und Anlaufstelle zu schaffen“.
Immer wieder hatte die Vereinigung der Missbrauchsopfer im Bistum Trier (Missbit) bezweifelt, dass die Kommission unabhängig vom Bistum arbeite – wurden die Mitglieder teils doch durch Bischof Ackermann berufen. Zwar hält die Kommission die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit für unbegründet, wertet diese Diskussion „aber auch als einen Beleg für den allgemeinen Verlust an Glaubwürdigkeit vor allem der katholischen Kirche“. Die Kommission schlägt daher vor, die Unabhängige Beauftragte der Bundesregierung gegen sexuellen Kindesmissbrauch in die Berufung einzubeziehen. Der Trierer Historiker Thomas Schnitzler fordert zur Aufarbeitung des Skandals, dass sämtliche Personalakten des Bistums ausgewertet werden sollten – und das dürften Tausende sein.
Um die wissenschaftliche Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs im Bistum Trier auch finanziell sicherzustellen, hat die Kirche auf Anregung der Kommission eine Stiftung gegründet und mit zunächst 850 000 Euro ausgestattet. Eine Aufgabe der Stiftung ist die Initiierung der dreijährigen Studie „Sexueller Missbrauch von Minderjährigen sowie hilfs- und schutzbedürftigen erwachsenen Personen durch Kleriker/Laien im Zeitraum von 1946 bis 2021 im Verantwortungsbereich der Diözese Trier“durch die Universität Trier. 2025 soll der Abschlussbericht vorliegen. Das Bistum habe keinen Zugriff mehr auf das Geld und auch die Kommission habe keinen Einfluss auf die wissenschaftliche Studie.
Bischof Stephan Ackermann dankte in einem Pressestatement für den Zwischenbericht. „Ich nehme die Empfehlungen und Hinweise gerne an und werde mit dem diözesanen Beraterstab und dem Betroffenenbeirat beraten, wie sie konkret umzusetzen sind.“Dankbar sei er auch, dass Betroffene sich bei der Kommission melden.
Zwischen 1946 und 2021 wurden im Bistum mindestens 513 Menschen zum Opfer sexueller Gewalt.
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