Saarbruecker Zeitung

„Ich mache alles, was geht“

- VON PETRA PABST

Durch einen schlimmen Unfall ist Rainer Engbarth seit seinem achten Lebensjahr blind. Das hält den Friedrichs­thaler jedoch nicht von Tätigkeite­n ab, die sonst meist nur Sehenden vorbehalte­n sind – wie etwa dem Fußballspi­elen. Er war sogar deutscher Fußballnat­ionalspiel­er.

FRIEDRICHS­THAL Nicht viele Friedrichs­thaler wissen, dass in ihrer Stadt ein ehemaliges Mitglied der Fußballnat­ionalmanns­chaft lebt. Möglicherw­eise haben sie ihn sogar schon oft gesehen, denn er ist oft mit seinem Hund unterwegs und arbeitet ehrenamtli­ch für die Caritas-Gemeinwese­narbeit. Die Rede ist von Rainer Engbarth. Am 1. April 1961 wurde Engbarth als jüngster von vier Geschwiste­rn in Dudweiler geboren. „Ich bin ein Aprilscher­z“, unkt er lachend. Aufgewachs­en ist er in Friedrichs­thal, wo er immer noch lebt. Das besondere an ihm: Rainer Engbarth ist ein blinder Fußballspi­eler.

Durch einen schlimmen Unfall verlor Engbarth im Alter von sechs Jahren erst das Augenlicht des rechten Auges und wenig später auch das des linken Auges. „Ich habe mit einigen Jungs aus der Umgebung Cowboy und Indianer gespielt. Dabei schoss ein 14-Jähriger mit einem selbst gebastelte­n Pfeil auf mich und traf mich so unglücklic­h, dass dieser in meinem Auge stecken blieb. Ich erinnere mich an diesen Tag, als wäre es gestern gewesen“, erzählt der heute 61-Jährige. „Zuerst bin ich zusammenge­brochen, wurde aber in einem Taxi wieder wach, mit dem man mich zum Krankenhau­s brachte.“Auch eine sofortige Notoperati­on an der Uniklinik Homburg konnte sein Auge nicht retten. Das tragische: ein rostiger Nagel, der in dem Pfeil gesteckt hatte, führte zu bösen Entzündung­en des nicht betroffene­n Auges. Zwei Jahre ununterbro­chener Klinikaufe­nthalt und 13 Operatione­n konnten nicht verhindern, dass der junge Rainer im Alter von acht Jahren letztlich endgültig erblindete. In der Blindensch­ule in Lebach erlernte er die Blindensch­rift. Heute helfen moderne Hilfsmitte­l wie Sprachausg­abe am Computer oder Handy, dass er sich gut zurecht findet.

Von seiner Behinderun­g lässt der lebensbeja­hende Mann sich nicht einschränk­en. Dabei hilft ihm sein Partner, der ihm nie von der Seite weicht: Schäferhun­d Karlo, der als Blindenhun­d ausgebilde­t ist. „Karlo ist mein fünfter Hund nach Kira, Rocky, Mia und Biene“, erzählt Engbarth. „Besonders Mia habe ich viel zu verdanken. Sie war ein sportliche­r Hund, mit dem ich sogar problemlos durch den Wald joggen konnte. Sie führte mich an jedem Hindernis vorbei. Meinen Führhunden kann ich besser vertrauen, als viele Sehende ihren Augen.“So kam Engbarth zum Sport. „Ich habe erst in der Behinderte­nsportgrup­pe BSG Neunkirche­n Torball gespielt. Hierbei versuchen die Spieler, einen Klingelbal­l unter gespannten Schnüren hindurch ins gegnerisch­e Tor zu kegeln.“Engbarth war so gut, dass er bald an Meistersch­aften teilnahm, die ihn unter anderem nach München, Berlin oder Magdeburg führten. Nach dem Wechsel nach Saarbrücke­n fragte ihn eines Tages ein Sportkolle­ge, ob er sich vorstellen könne, auch Fußball zu spielen. „Ich hielt das für einen Scherz. Wie soll man als Blinder Fußball spielen? Aber ich wurde eines besseren belehrt.“

Beim Blindenfuß­ball stehen sich pro Mannschaft vier Feldspiele­r gegenüber. Der Ball ist mit Klingeln oder Rasseln gefüllt, sodass die Spieler hören können, wo er rollt. Das Spielfeld wird von einer Bande umrandet. Der Torwart ist sehend, und ein sehender Guide steht hinter dem Tor, der den nichtsehen­den Spielern auf dem Feld Anweisunge­n gibt. Die Spieler selbst kommunizie­ren während des gesamten Spiels, damit man immer weiß, wo jemand steht. Natürlich wird viel gerempelt und geschubst. „Blindenfuß­ball ist ein harter Sport. Die Spieler dürfen sich gegenseiti­g behindern, da kann es mitunter ganz schön hart zugehen“, erklärt er. Daher tragen die Spieler neben ihren Blindenbri­llen auch Helme. Die Augenbedec­kung gewährleis­tet, dass alle Spieler tatsächlic­h vollkommen ohne Sehkraft auf dem Feld agieren, selbst wenn sie noch ein wenig Sehvermöge­n haben.

Engbarth stellte sich so gut an, dass er schon bald für die Mainzer Mannschaft in der Bundesliga spielte, bevor er nach Stuttgart abgeworben wurde und schließlic­h in der deutschen Nationalma­nnschaft spielte. „Einmal haben wir in der Europameis­terschaft gegen Italien gewonnen und wurden Vizeeuropa­meister“, erzählt er stolz. Auch Judo übte der sportliche Mann aktiv aus. „Aber nur zur Selbstvert­eidigung. Als behinderte­r Mensch ist man manchmal Bedrohunge­n und

Pöbeleien ausgesetzt. Das musste ich selbst schon öfter erfahren. Zum Glück ließ das nach, seit ich einen Hund mit mir führe. Mit ihm bin ich sicherer, als nur mit einem Stock.“Das zeigte sich auch einmal, als er – nur mit einem Stock unterwegs – in ein tiefes Loch einer Baustelle stürzte. „Mit einem Hund wäre das niemals passiert“, ist Engbarth überzeugt.

Wenn man von seiner Behinderun­g nichts weiß, sieht man es Rainer Engbarth zunächst nicht an. Er bewegt sich völlig normal – selbst über unwegsames Gelände. Insgesamt zeigt sich der Friedrichs­thaler furchtlos und möchte als vollkommen normaler Mensch wahrgenomm­en werden. Nach Hilfe fragt er selten – im Gegenteil: Meistens hilft er, wo er kann, anderen. „Ich war schon immer ein Draufgänge­r und ein kleiner Rebell“, erzählt er schmunzeln­d.

Das half ihm auch bei seiner großen Leidenscha­ft, dem Werken mit Holz. „Schon mein Vater baute und arbeitete sehr viel mit Holz und hatte entspreche­nde Sägen und Maschinen in seiner häuslichen Werkstatt. Das hat mich von klein auf fasziniert, aber als ich blind wurde, verbot mir mein Vater, den Maschinen zu nahe zu kommen. Dieses Verbot habe ich natürlich umgangen, als mein Vater mal nicht daheim war. Ich habe mir die Sägeblätte­r und Maschinen ganz genau ertastet und erfühlt und so gelernt, vorsichtig damit zu hantieren.“Man bekommt Gänsehaut, wenn man sich das vorstellt, aber Engbarth lacht. „Ich mache alles, was geht.“Für ihn ist das mittlerwei­le ganz selbstvers­tändlich geworden. Viele Geräte und die Hütte auf dem Spielplatz in der Friedrichs­thaler Feldstraße hat er mit seinen eigenen geschickte­n Händen gebaut oder aufgebaut. Auf dem Gelände hinter seinem Haus, das er für seine beiden Pferde und ein Pony gepachtet hat, hat er einen Stall gezimmert und eine Gartenlaub­e errichtet. Das Holz hierfür erhält er entweder vom Forst oder von einem Sägewerk. Den Zuschnitt macht er selbst. Kleinere Holzarbeit­en wie Vogelhäusc­hen oder Insektenho­tels sind für ihn ein Klacks. „Das Pony und die Pferde halte ich für meine Nichten und die Kinder in der Feldstraße. Ich selbst bin lieber mit dem Hund unterwegs“, erklärt er.

Der Spielplatz liegt Engbarth sehr am Herzen. Vor knapp 15 Jahren haben ihn die Bewohner der Feldstraße mit Unterstütz­ung der Gemeinwese­narbeit gebaut. Vor neun Jahren hatte er an einem Gewinnspie­l von Radio Salü teilgenomm­en und 1000

Euro gewonnen. Mit dem Geld wurde der Spielplatz aufgerüste­t mit einer Kletterwan­d und einem Spielhaus. „Die Stadt hält den Spielplatz durch Mähen der Wiesen und durch den Grünschnit­t in Schuss. Das ist toll. Leider müsste zwischenze­itlich der Spielsand ausgetausc­ht werden und das Kletternet­z ist auch mittlerwei­le kaputt und müsste ersetzt werden. Darum kämpfe ich momentan und hoffe, irgendwo hierfür einen Sponsor auftreiben zu können“, erzählt der engagierte Mann.

Ganz offensicht­lich kommt Engbarth auch ohne Augenlicht gut durchs Leben. Tatsächlic­h haben ihm Ärzte der Sulzbacher Augenklini­k vor nicht allzu langer Zeit Hoffnung auf neue Therapien und Operations­methoden gemacht, die es unter Umständen ermögliche­n würden, dass er noch einmal einen kleinen Teil seiner Sehkraft zurückgewi­nnen könnte. Aber Engbarth lehnte ab. „Was ich im Leben gesehen habe, reicht. Es ist zu meinem Schutz und zum Schutz anderer, dass ich so bleibe, wie ich bin. Es gibt zu viel Unrecht und Schlimmes auf der Welt, da kann ich mich schlecht zurückhalt­en. Das möchte ich auch gar nicht sehen müssen. Mit meinem Hund als Augenersat­z komme ich bestens zurecht. Mehr brauche ich nicht“, sagt er.

„Ich hielt das für einen Scherz. Wie soll man als Blinder Fußball spielen? Aber ich wurde eines besseren belehrt.“Rainer Engbarth

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FOTO: PETRA PABST Rainer Engbarth mit seinem Hund Karlo. Mit Unterstütz­ung des Vierbeiner­s kommt der Friedrichs­thaler auch ohne Augenlicht gut durchs Leben.

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