Von Venedig, Dackeln und dem Alter(n)
Ironie und Sprachwitz – man kennt das von Donna Leon, wenn sie ihren Commissario Brunetti in der Serenissima auf Verbrecherjagd schickt. Nun legt sie Geschichten über ihr Leben vor – und die Spöttelei sprüht nur so.
ZÜRICH (dpa) Die Krimi-Autorin Donna Leon bei einer Pyjama-Party wie ein Kaninchen über den Boden hüpfend? Donna Leon gar eine Ladendiebin? Alles dagewesen, aber ob wirklich oder in der Fantasie – da bleibt die Autorin in ihrem neuen Buch gern vage. Die letzte Wahrheit wird man bei der Erfinderin des legendären Commissario Brunetti aus Venedig wohl nie erfahren. Leon verrät in „Ein Leben in Geschichten“, was es mit ihrem ironischen Humor und dem Umgang mit der Wahrheit so auf sich hat.
Sie beschreibt ihre Mutter als Frau mit ungewöhnlichem Humor und einer Vorliebe für das Absurde: „Von ihr haben wir, fürchte ich, den großzügigen Umgang mit der Wahrheit geerbt.“Leon plaudert über ihre Erlebnisse in den USA, in Saudi-Arabien, dem Iran, Italien und der Schweiz. Einige Geschich
ten sind schon einmal als Artikel erschienen, knapp ein Viertel ist neu. Das Buch kommt einen guten Monat vor ihrem 80. Geburtstag am 28. September raus.
In einer Episode erzählt Leon, wie sie in Modeboutiquen in Venedig immer wieder damit liebäugelt, mehrere Kaschmir-Pullis übereinander zu
ziehen und sich zu verdrücken. Als Krimi-Autorin sei es doch normal, dass ihr Denken stets um Verbrechen kreise, schreibt sie verschmitzt. Diebstahl-Anzeigen gegen Leon sind nicht bekannt. Man kann daraus nur schließen, dass sie solchen Gelüsten entweder nur in ihrer Fantasie frönt oder eine gerissene Diebin ist, die
nie erwischt wird. Leon wäre wohl begeistert von dieser Schlussfolgerung, denn sie ist eine Meisterin von Geschichten, die am Ende Fragen offenlassen.
Sie erzählt auch über ihren Großvater aus Nürnberg, der ihre Freude an Misthaufen weckte, oder über die Mutter als miserable Köchin, die den Truthahn an Thanksgiving zu Dörrfleisch verbrutzeln ließ. Ihrer Mutter setzt sie ein rührendes Denkmal: „Mit einer Tasse Zucker, einem Pfund Butter, einem Dutzend Eiern und einer Tüte Mehl wurde diese Frau für Süßes, was Stradivari für die Geige war.“
Leon schreibt über Pyjama-Partys im Iran, wo sie einst Englisch unterrichtete. Wie Freunde sich die Zeit mit absurden Spielen vertrieben, wenn sie die Sperrstunde verpasst hatten und woanders übernachten mussten. Wie sie in China Spione austrickste: Sie könne bis heute leiser als ein Mäuschen Holztreppen hinunterschleichen „und es gibt keine Tür, die ich nicht geräuschlos öffnen könnte“. Herrlich ist die Beschreibung von Dackel Artù von Freunden in Venedig, wenn auf dem Canal Grande Touristenboote vorbeifuhren, von denen „O Sole Mio“tönte: „Völlig außer sich, sei es, weil die Musik ihn peinigte, sei es, weil er irrtümlich glaubte, sein Rudel habe sich unten versammelt und verlange nach seiner Dackelsolidarität, heulte Artù zum Gotterbarmen, während die Touristen auf den randvollen Booten Fotos schossen und ihm begeistert zuwinkten.“
Leon sinniert auch über das Alter. „Irgendwann werden wir mit der Realität konfrontiert, dass wir plötzlich im Körper eines alten Menschen leben.“Leon nimmt das Altern ernst. Sie ist Botschafterin einer Langzeitstudie zum Altern am Universitätsspital Zürich. Leon, Amerikanerin mit Schweizer Pass, lebt seit langem in Graubünden. Ihr persönliches Rezept für gutes Altern, beruhend auf den Studienergebnissen: Omega 3, Vitamin D und körperliche Bewegung. „Ich will, solange ich lebe, gesund bleiben.“
„Von ihr haben wir, fürchte ich, den großzügigen Umgang mit der Wahrheit geerbt.“Donna Leon über ihre Mutter