Saarbruecker Zeitung

Welche Folgen hat das Oder-Fischsterb­en?

Das Fischsterb­en in der Oder gibt weiter Rätsel auf. Die gute Nachricht: Nach nur wenigen Jahren könnte sich der Bestand erholt haben. Größere Sorgen macht den Experten indes der geplante Ausbau des Flusses.

- VON ANJA SOKOLOW

BERLIN (dpa) Ob Eisvogel, Seeadler oder Otter: Im Gebiet der Oder sind eine ganze Reihe seltener und geschützte­r Arten heimisch. Das massive Fischsterb­en bedeutet Experten zufolge für viele aber bisher keine Gefahr: „Nach bisherigen Erkenntnis­sen sind nur kaltblütig­e Tierarten betroffen, wie Fische, Muscheln und Schnecken“, sagt Dirk Treichel, Leiter des Nationalpa­rks Unteres Odertal. Zu den sogenannte­n kaltblütig­en Tieren gehören Fische, Amphibien und Reptilien, nicht aber Vögel und Säugetiere.

Neben Hunderten Tonnen toter Fische, die entlang der Oder bereits geborgen wurden, seien in Ufernähe nun auch riesige Teppiche toter Wasserschn­ecken zu beobachten, so Treichel. Auch viele tote Muscheln treiben demnach an die Wasserober­fläche. „Wir gehen davon aus, dass Fischotter jetzt auch Kadaver oder gerade sterbende Fische gefressen haben. Es gibt aber keine Funde von toten Exemplaren“, so Treichel.

„Ornitholog­en haben zwei tote Kormorane und fünf tote Enten gefunden. Es ist aber nicht erkennbar, dass es da einen ursächlich­en Zusammenha­ng zum Fischsterb­en gibt“, ergänzt Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerök­ologie und Binnenfisc­herei.

Wolter und Kollegen hatten vergangene Woche auf das starke Wachstum der Algenart Prymnesium parvum hingewiese­n, die ein für Fische tödliches Gift bilden kann. „Dieses Gift wurde in signifikan­ten Konzentrat­ionen in der Oder nachgewies­en, die dieses Sterben herbeigefü­hrt haben könnten“, sagt Wolter.

Die Massenentw­icklung der Alge sei nur durch eine hohe Salzkon

zentration im Flusswasse­r möglich gewesen. „Kollegen von mir haben festgestel­lt, dass es sich um Kochsalz handelt. Es ist gut geeignet für die Algenentwi­cklung“, sagt Wolter.

Er gehe davon aus, dass es sich dabei um ein Abfallprod­ukt aus der Industrie handele. „Ich weiß aber nicht, bei welchem Prozess solche Mengen an Kochsalz anfallen und warum man sie ausgerechn­et bei Niedrigwas­ser loswerden muss.“

Weltweit habe es bereits verschiede­ne andere Fälle von massenhaft­em Fischsterb­en durch das Algengift gegeben. „Bei ähnlichen Katastroph­en wurde nicht berichtet, dass auch warmblütig­e Tiere betroffen sind“, sagt Wolter. Die Oder-Katastroph­e könnte aber für Arten wie Reiher und Kormorane, die lebende Fische jagen, das Angebot verknappen. „Allerdings können diese Arten auch in umliegende Gewässer ausweichen, ohne dass sich ihr Anflugrevi­er groß ver

ändern muss“, sagt Wolter. Zudem würden Seeadler auch toten Fisch fressen. „Die haben damit kein Problem.“

Die Oder galt bis zum massiven Fischsterb­en als ein sehr fischreich­es Gewässer. „Etwa 50 Arten wurden in der Oder nachgewies­en, darunter auch so besondere wie Steinbeiße­r, Rapfen und Schlammpei­tzger“, sagt Treichel. Der Gewässer-Ökologe Wolter geht davon aus, dass sich der Fluss wieder erholt. „Der Oder kommt zugute, dass sie zum Meer hin keine Barriere hat.

Fische können ohne unser Zutun ein- und auswandern. Es werden Fische der Schadwelle ausgewiche­n sein, die hinterher wieder zurückwand­ern können“, so Wolter.

„Fische haben ein hohes Reprodukti­onspotenzi­al. Ich rechne damit, dass wir in zwei bis drei Jahren das Fischsterb­en nur noch an der Alterspyra­mide erkennen“, so der Gewässer-Ökologe. Dann werde es hauptsächl­ich junge und relativ kleine Fische geben – was allerdings für die Fischerei ein Problem sein werde.

Eine große Gefahr für die Oder aus seiner Sicht: Der geplante Ausbau für die Schifffahr­t. „Dieser ist absolut nicht mit einer Erholung des Flusses vereinbar. Wir haben ja mit der Oderkatast­rophe einmal mehr gelernt, dass wir versuchen müssen, Niedrigwas­sersituati­onen vorzubeuge­n und gar nicht erst aufkommen zu lassen“, so Wolter. Der Ausbau sei auch wirtschaft­lich nicht

nachvollzi­ehbar und das geringe Aufkommen an Schiffen stehe in keinem Verhältnis zum Aufwand.

Auch der Generaldir­ektor der Senckenber­g Gesellscha­ft für Naturforsc­hung, Klement Tockner, warnt vor einem Ausbau: „Dieser ist katastroph­al für die Oder.“Der Bau einer tieferen Fahrrinne sorge in den angrenzend­en Bereichen für einen absinkende­n Grundwasse­rspiegel. Außerdem seien weitere Staudämme geplant. All das führe zu einer massiven Verschlech­terung des ökologisch­en Zustands, so Tockner.

„Man ertüchtigt den Fluss für eine einzige Funktion zulasten vieler wertvoller Leistungen. Der Fluss bietet Erholung, ist ein wertvolles Ökosystem und hält das Wasser in der Landschaft zurück – bei Niedrig- und bei Hochwasser. All das wird bei einem Ausbau leiden und dies kann zu deutlich größeren Schäden führen.“

„Ich rechne damit, dass wir in zwei bis drei Jahren das Fischsterb­en nur noch an der Alterspyra­mide erkennen.“Christian Wolter vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerök­ologie

 ?? FOTO: BIELECKI/PAP/DPA ?? Tote Fische werden in Krajnik Dolny, einem Dorf in Polen, von der Wasserober­fläche des deutsch-polnischen Grenzfluss­es Oder beseitigt. Seit mehreren Tagen beschäftig­t das massive Fischsterb­en in der Oder die Behörden und Anwohner auf beiden Seiten der Grenze.
FOTO: BIELECKI/PAP/DPA Tote Fische werden in Krajnik Dolny, einem Dorf in Polen, von der Wasserober­fläche des deutsch-polnischen Grenzfluss­es Oder beseitigt. Seit mehreren Tagen beschäftig­t das massive Fischsterb­en in der Oder die Behörden und Anwohner auf beiden Seiten der Grenze.

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