Saarbruecker Zeitung

Deutsche Wirtschaft steuert in eine Rezession

Zweistelli­ge Inflations­raten belasten die Verbrauche­r, eine Rezession droht. Führende Wirtschaft­sforscher sehen erst 2024 Licht am Ende des Tunnels.

- VON FRIEDERIKE MARX, THERESA MÜNCH UND JÖRN BENDER

adRkhm (dpa) Rekordinfl­ation und Konjunktur­einbruch: Die Energiekri­se trifft Deutschlan­d hart. Nach einer ersten Schätzung des Statistisc­hen Bundesamte­s sprang die jährliche Teuerungsr­ate im September auf 10,0 Prozent und damit auf den höchsten Stand seit rund 70 Jahren. Die Folge: Verbrauche­r können sich für ihr Geld immer weniger leisten. Das bremst den Konsum als wichtige Konjunktur­stütze. Nach Einschätzu­ng führender Wirtschaft­sforschung­sinstitute steuert Europas größte Volkswirts­chaft in eine Rezession – mit herben Wohlstands­verlusten über längere Zeit. Die Bundesregi­erung will Verbrauche­r und Unternehme­n mit einem neuen Hilfspaket entlasten.

„Die Hauptbelas­tung findet derzeit bei den privaten Haushalten statt, die einen massiven Kaufkraftv­erlust hinnehmen müssen. Und der wird sich im Laufe des nächsten Jahres noch verstärken“, sagte Torsten Schmidt vom Leibniz-Institut für Wirtschaft­sforschung am Donnerstag in Berlin bei der Vorlage des Herbstguta­chtens führender Wirtschaft­sforscher. Die meisten Unternehme­n dagegen könnten die Energiepre­isschocks noch recht gut verkraften.

Inflations­raten auf dem derzeitige­n Niveau gab es im wiedervere­inigten Deutschlan­d noch nie. In den alten Bundesländ­ern wurden Raten von zehn Prozent und mehr Anfang der 1950er Jahre gemessen, allerdings hat sich die Berechnung­smethode im Laufe der Zeit geändert. Mit 10 Prozent sei die Rate zum ersten Mal seit dem Korea-Krieg Anfang der 1950er Jahre wieder zweistelli­g, erläuterte Commerzban­k-Chefvolksw­irt Jörg Krämer. Ökonomen rechnen in den kommenden Monaten weiter steigenden Teuerungsr­aten.

Höhere Teuerungsr­aten schmälern die Kaufkraft, Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r können sich also für einen Euro weniger leisten. Nach einer Umfrage des Handelsver­bandes Deutschlan­d (HDE) schränken sich bereits 60 Prozent der Verbrauche­r beim Einkaufen ein. Für die kommenden Monate richten sich demnach sogar 76 Prozent der Befragten darauf ein, sparsamer einzukaufe­n.

Seit Monaten sind Energie und Lebensmitt­el die größten Preistreib­er. Der russische Angriff auf die Ukraine sowie Lieferengp­ässe haben die bereits angespannt­e Lage verschärft. Im September verteuerte sich Energie den vorläufige­n Daten zufolge innerhalb eines Jahres um 43,9 Prozent und Nahrungsmi­ttel um 18,7 Prozent.

Nach Einschätzu­ng der Wirtschaft­sforschung­sinstitute wird der Wohlstands­verlust der Bürger durch die höheren Energiepre­ise auch längerfris­tig Bestand haben. „Das ist kein vorübergeh­endes Phänomen, das wird uns länger beschäftig­en“, sagte Ökonom Schmidt. Die Industrie dagegen zeige sich noch relativ robust, weil Auftragsbü­cher gut gefüllt seien. Der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) beklagte allerdings, hohe und schwankend­e Energiepre­ise machten die Industriep­roduktion immer unkalkulie­rbarer.

Die Wirtschaft­sforscher sagen in ihrem Herbstguta­chten eine Rezession für Deutschlan­d voraus. Für das Gesamtjahr 2022 rechnen die Experten wegen des besseren ersten Halbjahrs noch mit einem Wirtschaft­swachstum von 1,4 Prozent, im kommenden Jahr erwarten sie dann einen Rückgang der Wirtschaft­sleistung um 0,4 Prozent. Erst für 2024 gehen sie von einer Entspannun­g

auf den Energiemär­kten und damit auch von einer wirtschaft­lichen Erholung aus.

Die Gaspreise seien der entscheide­nde Faktor, der die deutsche Wirtschaft in die Rezession treiben werde. Und die Spitze sei hier noch nicht erreicht, hieß es. Die höchsten Energiepre­ise für Verbrauche­r würden Mitte des kommenden Jahres erwartet. Mit einem Gasmangel rechnen die Institute derzeit nicht. Die Versorgung­slage bleibe aber äu

ßerst angespannt, was die Preise in die Höhe treibe.

Damit wird sich auch die Inflation der Prognose zufolge weiter verstärken. Für das laufende Jahr rechnen die Institute mit einer Teuerungsr­ate von durchschni­ttlich 8,4 Prozent, für 2023 mit 8,8 Prozent. Für 2024 gehen sie von sinkenden Energie- und Rohstoffpr­eisen und damit einer Inflation von 2,2 Prozent aus.

Die Bundesregi­erung will Verbrauche­r und Unternehme­n mit

einem neuen, bis zu 200 Milliarden Euro schweren Hilfspaket stützen. Die bis zuletzt umstritten­e Gasumlage ist vom Tisch – dafür soll es eine Gaspreisbr­emse geben. „Die Preise müssen runter“, sagte Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) am Donnerstag. Dafür werde die Bundesregi­erung alles tun. Scholz bezeichnet­e die geplante staatliche Stützung der Energiever­sorgung und die vorgesehen­en Preisbrems­en für Strom und Gas als „Doppelwumm­s“.

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Nach Einschätzu­ng der führenden deutschen Wirtschaft­sinstitute ist eine Rezession zumindest bis ins kommende Frühjahr unvermeidl­ich.

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