Saarbruecker Zeitung

Ukrainisch­er Psychologe hilft Landsleute­n

Ein Psychother­apeut aus der Ukraine hilft seit Kriegsausb­ruch den vielen traumatisi­erten Geflüchtet­en im Saarland. Dabei hört er tief erschütter­nde Berichte.

- VON SEBASTIAN DINGLER

VÖLKLINGEN Ukrainisch­e Männer ab 18 Jahren dürfen seit dem russischen Einmarsch ihr Land nicht mehr verlassen. Auch dann, wenn sie keine Kampferfah­rung haben. Insofern hatte Pavlo Kovalsky riesiges Glück, als er kurz vor Kriegsbegi­nn ins Saarland kam. Sein Vater habe am 24. Februar Geburtstag und die Idee gehabt, diesen bei Freunden im Saarland zu verbringen. Zu feiern gab es dann nichts an diesem Tag des russischen Einmarschs. Aber wenigstens war Kovalsky in Sicherheit.

Anderersei­ts bedrückt den 35-Jährigen diese Situation, weil viele seiner Altersgeno­ssen zum Dienst an der Waffe herangezog­en werden. „Ich schäme mich, weil die Leute dort kämpfen und ich hier in Sicherheit bin“, sagt er. Kovalsky kann aber insofern etwas für sein Land tun, indem er sich um vom Krieg traumatisi­erte Familien kümmert – er ist nämlich ausgebilde­ter Psychother­apeut und Coach. Im interkultu­rellen Kompetenzz­entrum der Arbeitskam­mer in Völklingen arbeitet er jetzt mit Geflüchtet­en. Diese Arbeit sei nicht unbedingt ideal für ihn, der in der Ukraine in der Unternehme­nsberatung tätig war. Aber sein Gewissen beruhige sie.

Kovalsky trifft auf ganz verschiede­ne Schicksale, dennoch habe er es oft mit den gleichen Problemen zu tun gehabt: „Die ersten paar Monate war die Frage: Sollen wir weiterlebe­n? Dann war die Frage, okay, wir leben weiter, aber wir haben gar keine Farbe in unserem Leben.“Am schlimmste­n war für ihn die Geschichte einer Mutter und ihres siebenjähr­igen Sohns. Die schweren Traumatisi­erungen sehe man dem Jungen auch körperlich an. Kovalsky erzählt: „Seine Eltern und er sind aus einem Bunker zum Auto gelaufen. Der Vater wurde von einer Bombe getötet, der Junge hatte einen Teil seines Vaters noch in der Hand. Schlimmer geht es nicht.“

Der Mutter gehe es den Umständen entspreche­nd gut. Kovalsky berät sie mit dem Ziel, dass das völlig verstummte Kind wieder zu sprechen beginnt. Dieser Fall ist der extremste von allen Kriegserzä­hlungen, die der Psychologe gehört

hat. Generell sei der Bedarf an psychologi­scher Hilfe enorm unter den hierzuland­e lebenden ukrainisch­en Kindern. Als der amerikanis­che Künstler Fred George ein Fest für sie veranstalt­ete, wurde Kovalsky gebeten, vor Ort eine psychologi­sche Beratung zu geben. „Ich habe dort 46 Klienten gehabt, und jeder war so was von traumatisi­ert!“, erinnert er sich. Das Problem für all diese Hilfesuche­nden ist, dass es für sie nur wenige Angebote im Saarland gibt. Kovalsky sagt, es gebe zwei Psychiater und drei bis vier Therapeute­n, die Ukrainisch oder Russisch sprechen. Handele es sich bei ihnen ebenfalls um Geflüchtet­e, so hätten sie aber keine Arbeitserl­aubnis.

Interessan­t ist auch, wie Kovalsky als Psychologe und Ukrainer die Lage rund um den Krieg ein

schätzt. In Deutschlan­d begegnet er auch Menschen aus Russland. Seiner Einschätzu­ng nach sind diese in zwei Gruppen gespalten: Die eine stehe zur Ukraine, die andere sage, dass Putin sich korrekt verhalte und die Ukraine zu Russland gehöre. Eine unangenehm­e Begegnung mit einem betrunkene­n Deutschrus­sen habe er gehabt. Der habe angefangen zu schreien: „Russland ist der König, ich bringe euch alle um.“Zum Glück sei nichts weiter passiert.

Ein bisschen passt die Anekdote zu dem, was Kovalsky allgemein über das Verhältnis von Russen und Ukrainern denkt. „Wir sagen immer: Der Russe ist kein Fremder für uns, aber auch kein Freund. Man muss aufpassen. In meiner Generation heißt es, der Russe ist wie ein besoffener Nachbar. Man kann mal

mit ihm sprechen, aber man muss aufpassen. Dieser große besoffene Mann ist unberechen­bar.“Was den russischen Präsidente­n selbst betrifft, sei dessen Zustand schwer einzuschät­zen. Die großen Distanzen am Tisch, wenn er Staatsgäst­e empfängt, sprächen durchaus für paranoide Ängste.

Ansonsten könne man den Meldungen der russischen Staatsprop­aganda nicht vertrauen. „Man kann da nichts glauben. Nur das, was wir sehen. Ganz sicher ist nur, dass er große Angst hat.“Dass Putin komplett den Verstand verloren hat, glaubt Kovalsky dagegen nicht. „Er hat eine große Autokratie aufgebaut. Das kann man nicht, wenn man total verrückt ist. Man muss dafür klar denken.“

Und wie sieht der Psychologe uns Deutsche? Bröckelt die Solidaritä­t mit der Ukraine bei steigenden Energiepre­isen? „Als Psychologe kann ich das verstehen. Bei Geld hört die Freundscha­ft auf. Oder bei der Temperatur im Zimmer. Wenn die deutschen Familien doppelt oder dreifach bezahlen müssen für Gas und Strom, sagen die natürlich: Was ist hier los?“Auf der anderen

Seite müssten die Deutschen verstehen: „Wenn dieser Krieg mit einer Niederlage der Ukraine endet, dann kriegen die Deutschen in ein paar Jahren den Krieg in ihrem Land.“Es sei so wie mit einem aggressive­n und kräftigen Kind auf dem Schulhof. Das mobbe die anderen so lange, bis ihm jemand Einhalt gebietet.

Deshalb gefällt Kovalsky das standhafte Verhalten des ukrainisch­en Präsidente­n Wolodymyr Selenskyj so gut, auch wenn er „großer Fan“von dessen Vorgänger Petro Poroschenk­o gewesen sei. „Ich dachte erst, Selenskyj sei nur ein Clown. Aber jetzt muss ich sagen, dass er die beste Person ist in dieser Situation. Er ist gar kein Politiker, er ist ein aufrichtig­er, ehrlicher Mann. Mit Poroschenk­o hätten wir die halbe Ukraine an Russland verkauft.“

„Ich dachte erst, Selenskyj sei nur ein Clown. Aber jetzt muss ich sagen, dass er die beste Person ist in dieser Situation.“Pavlo Kovalsky Ukrainisch­er Psychother­apeut

 ?? FOTO: SEBASTIAN DINGLER ?? Der Ukrainer Pavlo Kovalsky arbeitet als Psychologe für die Arbeitskam­mer in Völklingen mit traumatisi­erten Landsleute­n.
FOTO: SEBASTIAN DINGLER Der Ukrainer Pavlo Kovalsky arbeitet als Psychologe für die Arbeitskam­mer in Völklingen mit traumatisi­erten Landsleute­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany