Ukrainischer Psychologe hilft Landsleuten
Ein Psychotherapeut aus der Ukraine hilft seit Kriegsausbruch den vielen traumatisierten Geflüchteten im Saarland. Dabei hört er tief erschütternde Berichte.
VÖLKLINGEN Ukrainische Männer ab 18 Jahren dürfen seit dem russischen Einmarsch ihr Land nicht mehr verlassen. Auch dann, wenn sie keine Kampferfahrung haben. Insofern hatte Pavlo Kovalsky riesiges Glück, als er kurz vor Kriegsbeginn ins Saarland kam. Sein Vater habe am 24. Februar Geburtstag und die Idee gehabt, diesen bei Freunden im Saarland zu verbringen. Zu feiern gab es dann nichts an diesem Tag des russischen Einmarschs. Aber wenigstens war Kovalsky in Sicherheit.
Andererseits bedrückt den 35-Jährigen diese Situation, weil viele seiner Altersgenossen zum Dienst an der Waffe herangezogen werden. „Ich schäme mich, weil die Leute dort kämpfen und ich hier in Sicherheit bin“, sagt er. Kovalsky kann aber insofern etwas für sein Land tun, indem er sich um vom Krieg traumatisierte Familien kümmert – er ist nämlich ausgebildeter Psychotherapeut und Coach. Im interkulturellen Kompetenzzentrum der Arbeitskammer in Völklingen arbeitet er jetzt mit Geflüchteten. Diese Arbeit sei nicht unbedingt ideal für ihn, der in der Ukraine in der Unternehmensberatung tätig war. Aber sein Gewissen beruhige sie.
Kovalsky trifft auf ganz verschiedene Schicksale, dennoch habe er es oft mit den gleichen Problemen zu tun gehabt: „Die ersten paar Monate war die Frage: Sollen wir weiterleben? Dann war die Frage, okay, wir leben weiter, aber wir haben gar keine Farbe in unserem Leben.“Am schlimmsten war für ihn die Geschichte einer Mutter und ihres siebenjährigen Sohns. Die schweren Traumatisierungen sehe man dem Jungen auch körperlich an. Kovalsky erzählt: „Seine Eltern und er sind aus einem Bunker zum Auto gelaufen. Der Vater wurde von einer Bombe getötet, der Junge hatte einen Teil seines Vaters noch in der Hand. Schlimmer geht es nicht.“
Der Mutter gehe es den Umständen entsprechend gut. Kovalsky berät sie mit dem Ziel, dass das völlig verstummte Kind wieder zu sprechen beginnt. Dieser Fall ist der extremste von allen Kriegserzählungen, die der Psychologe gehört
hat. Generell sei der Bedarf an psychologischer Hilfe enorm unter den hierzulande lebenden ukrainischen Kindern. Als der amerikanische Künstler Fred George ein Fest für sie veranstaltete, wurde Kovalsky gebeten, vor Ort eine psychologische Beratung zu geben. „Ich habe dort 46 Klienten gehabt, und jeder war so was von traumatisiert!“, erinnert er sich. Das Problem für all diese Hilfesuchenden ist, dass es für sie nur wenige Angebote im Saarland gibt. Kovalsky sagt, es gebe zwei Psychiater und drei bis vier Therapeuten, die Ukrainisch oder Russisch sprechen. Handele es sich bei ihnen ebenfalls um Geflüchtete, so hätten sie aber keine Arbeitserlaubnis.
Interessant ist auch, wie Kovalsky als Psychologe und Ukrainer die Lage rund um den Krieg ein
schätzt. In Deutschland begegnet er auch Menschen aus Russland. Seiner Einschätzung nach sind diese in zwei Gruppen gespalten: Die eine stehe zur Ukraine, die andere sage, dass Putin sich korrekt verhalte und die Ukraine zu Russland gehöre. Eine unangenehme Begegnung mit einem betrunkenen Deutschrussen habe er gehabt. Der habe angefangen zu schreien: „Russland ist der König, ich bringe euch alle um.“Zum Glück sei nichts weiter passiert.
Ein bisschen passt die Anekdote zu dem, was Kovalsky allgemein über das Verhältnis von Russen und Ukrainern denkt. „Wir sagen immer: Der Russe ist kein Fremder für uns, aber auch kein Freund. Man muss aufpassen. In meiner Generation heißt es, der Russe ist wie ein besoffener Nachbar. Man kann mal
mit ihm sprechen, aber man muss aufpassen. Dieser große besoffene Mann ist unberechenbar.“Was den russischen Präsidenten selbst betrifft, sei dessen Zustand schwer einzuschätzen. Die großen Distanzen am Tisch, wenn er Staatsgäste empfängt, sprächen durchaus für paranoide Ängste.
Ansonsten könne man den Meldungen der russischen Staatspropaganda nicht vertrauen. „Man kann da nichts glauben. Nur das, was wir sehen. Ganz sicher ist nur, dass er große Angst hat.“Dass Putin komplett den Verstand verloren hat, glaubt Kovalsky dagegen nicht. „Er hat eine große Autokratie aufgebaut. Das kann man nicht, wenn man total verrückt ist. Man muss dafür klar denken.“
Und wie sieht der Psychologe uns Deutsche? Bröckelt die Solidarität mit der Ukraine bei steigenden Energiepreisen? „Als Psychologe kann ich das verstehen. Bei Geld hört die Freundschaft auf. Oder bei der Temperatur im Zimmer. Wenn die deutschen Familien doppelt oder dreifach bezahlen müssen für Gas und Strom, sagen die natürlich: Was ist hier los?“Auf der anderen
Seite müssten die Deutschen verstehen: „Wenn dieser Krieg mit einer Niederlage der Ukraine endet, dann kriegen die Deutschen in ein paar Jahren den Krieg in ihrem Land.“Es sei so wie mit einem aggressiven und kräftigen Kind auf dem Schulhof. Das mobbe die anderen so lange, bis ihm jemand Einhalt gebietet.
Deshalb gefällt Kovalsky das standhafte Verhalten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj so gut, auch wenn er „großer Fan“von dessen Vorgänger Petro Poroschenko gewesen sei. „Ich dachte erst, Selenskyj sei nur ein Clown. Aber jetzt muss ich sagen, dass er die beste Person ist in dieser Situation. Er ist gar kein Politiker, er ist ein aufrichtiger, ehrlicher Mann. Mit Poroschenko hätten wir die halbe Ukraine an Russland verkauft.“
„Ich dachte erst, Selenskyj sei nur ein Clown. Aber jetzt muss ich sagen, dass er die beste Person ist in dieser Situation.“Pavlo Kovalsky Ukrainischer Psychotherapeut