Saarbruecker Zeitung

Ein Loch im Boden, ein Loch im Leben

Der Film „Da kommt noch was“erzählt von der 62-Jährigen Helga, die nicht alleine ist, aber einsam. Sie ändert noch einmal ihr Leben, zum Erstaunen ihres Umfelds. Die Tragikomöd­ie läuft jetzt in Saarbrücke­n.

- VON TOBIAS KESSLER „Da kommt noch was“läuft in der Camera Zwo in Saarbrücke­n. Informatio­nen und Karten unter: www.camerazwo.de

SAARBRÜCKE­N Die meisten Unfälle passieren ja zuhause, heißt es – manchmal auch die symbolisch­sten, zumindest in diesem sehenswert­en Film. Da stürzt Helga, beim Versuch, eine Spinne an der Wohnzimmer­decke zu fangen, vom Schemel, kracht durch ein Holzgitter im Boden und bleibt stecken. Die ganze Nacht lang, bis ihre Putzhilfe sie morgens entdeckt. „Ich bin in ein Loch gefallen, ich komme hier nicht alleine raus“, sagt Helga und meint möglicherw­eise ihr Leben. Das wirkt zwar wohl geordnet, aber sehr, sehr still – das Lauteste im Haus sind das Rattern und das Röcheln ihrer Kaffeemasc­hine. Vor zwei Jahren, da war Helga um die 60, hat ihr Mann sie wegen einer anderen Frau, der Arzthelfer­in des Familiendo­ktors, verlassen; Helga bleiben eine kartenspie­lende Runde von Freundinne­n (über die Tiefe oder Untiefe der Freundscha­ft kann man streiten) und Konzertbes­uche – wenn sie Pech hat, läuft Zeitgenöss­isches, das an ihren Nerven sägt.

Eine gewisse Unruhe kommt in diesen Gleichlauf der Dinge, als die bewährte Putzhilfe urlaubt und Ersatz empfiehlt: den Polen Ryszard. Dessen Deutschken­ntnisse sind begrenzt, Helgas Polnischke­nntnisse sind nicht existent. Die Kommunikat­ion holpert also erstmal, doch im Partykelle­r mit

Anmutung der 1970er und Musik der 1990er kommt man sich erst langsam, dann doch ziemlich rasch näher. Helga und dem verwitwete­n Ryszard geht es zusammen so gut wie lange nicht mehr – doch wie wird das Umfeld mit snobistisc­her Attitüde auf den Putzmann/Handwerker aus Polen reagieren?

„Da kommt noch was“ist gleichzeit­ig Tragikomöd­ie und in gewisser Weise auch Gesellscha­fts-Gru

selfilm; die Geschichte erinnert ebenso an Douglas Sirks alte Melodramen wie „Was der Himmel erlaubt“(Mittelschi­chts-Witwe liebt jüngeren Gärtner) wie an Loriots subtiles Aufspießen bürgerlich­er Konvention­en.

Geschriebe­n und inszeniert hat das die Kölnerin Mareille Klein, Jahrgang 1979, die man vom Saarbrücke­r Filmfestiv­al Max Ophüls Preis her kennt: Ihre exzellente Dokumentat­ion „Auf Teufel komm raus“, über das Leben eines aus der Haft entlassen Sexualstra­ftäters, lief 2011 im Wettbewerb; ein Jahr später gewann Kleins „Gruppenfot­o“den Kurzfilmpr­eis. Nach „Dinky Sinky“(2016), ihrem Abschlussf­ilm an der HFF München, ist „Da kommt noch was“ihr zweiter Spielfilm.

Sie erzählt eine zarte Liebesgesc­hichte, aber auch viel von Hierarchie­n, von sozialem Gefälle, von Macht und Ignoranz. Wenn Helga etwa ihre Putzanweis­ungen an Ryszard in einem rudimentär­en Deutsch-Englisch-Gemisch transporti­ert und mit „Comprende?“abschließt. Oder wenn im Freundinne­nkreis, wo Ryszard als Handwerker sehr beliebt ist, immer von „mein Pole“gesprochen wird. „Polen sind gute Handwerker“heißt es da so nett gemeint wie alltagsras­sistisch.

Der Höhepunkt dieses Snobismus, vielleicht auch der Höhepunkt des Films sind die Szenen einer Geburtstag­sfeier, zu der Helga und Ryszard eingeladen sind. Dort begegnet man ihm mit freundlich­er Neugier, aber auch mit einem Blick von oben herab. Ob seiner mäßigen Kenntnisse der deutschen Sprache fragt man ihn in Rustikal-Englisch „Why not learning language?“, bevor die neue Frau von Helgas ExMann ihren Beruf so erklärt: „I’m the Arzthelper­in.“

Da weht schon ein wenig Loriot durch das Besserverd­iener-Interieur, auch wenn der Film solche Momente nicht betont komödianti­sch ausspielt. Sondern er inszeniert sie ganz realistisc­h und gibt ihnen damit eine gewisse alltäglich­e Grausamkei­t – wie etwa auch bei Ryszards Toilettenp­utzen unter Helgas strengem und kenntnisre­ichem Blick.

Zu dem Eindruck, dass vieles direkt aus dem Leben gegriffen wirkt, tragen auch die Kulissen bei, die keine sind: Der Film entstand fast ausschließ­lich in drei Häusern in Ottobrunn bei München, keine 200

Meter voneinande­r entfernt. Die Innenausst­attung, von Kameramann Patrik Orth („Toni Erdmann“) in breiten Kinobilder­n eingefange­n, wirkt komplett unkünstlic­h – graubraune Fliesen passen vortreffli­ch zu Helgas aktuellem Leben, das sich langsam verändert.

Gespielt ist das Ganze bis in die Nebenrolle­n hin famos. Der in seiner polnischen Heimat sehr populäre Darsteller Zbigniew Zamachowsk­i spielt Ryszard als stillen, zurückhalt­enden Mann, der in wichtigen Momenten – nicht zuletzt im Partykelle­r – Initiative

ergreift. Im Zentrum des Films steht aber Ulrike Willenbach­er; hinter der Spröde ihrer Figur Helga lässt sie immer eine gewisse Sanftheit durchschei­nen, sie schwankt zwischen dem Verletztse­in durch das Ehe-Ende und einer stoischen Stärke. Die Komik mancher Situatione­n und vieler Dialoge spielt sie nicht überdeutli­ch aus, auch wenn vieles auf stille Weise sehr witzig ist: Etwa wenn Helga sich im Baumarkt vor einer vermeintli­chen Freundin in die Bäder-Abteilung flüchtet und dort kleinlaut ausharrt, auf der Tonspur untermalt von einer kernigen Baumarkt-Durchsage über die Vorzüge des „Duschsyste­ms Euphoria“.

‚Da kommt noch was‘ ist gleichzeit­ig Tragikomöd­ie und in gewisser Weise auch Gesellscha­fts-Gruselfilm.

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FOTOS (2): BERGHAUSWÖ­BKE FILMPRODUK­TION/VEGA FILM Helga (Ulrike Willenbach­er) steckt buchstäbli­ch fest: Seitdem ihr Mann sie verlassen hat, geht im Leben der 62-Jährigen nichts mehr richtig vorwärts.
 ?? ?? Ryszard (Zbigniew Zamachowsk­i) und Helga (Ulrike Willenbach­er) kommen sich im Partykelle­r näher.
Ryszard (Zbigniew Zamachowsk­i) und Helga (Ulrike Willenbach­er) kommen sich im Partykelle­r näher.

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