Saarbruecker Zeitung

Ein streitbare­r Journalist feiert 80. Geburtstag

- VON RALF ISERMANN

MÜNCHEN (afp) Er ist der vielleicht unbequemst­e deutsche Journalist: Günter Wallraff schlich sich bei der Bild-Zeitung ein oder gab sich als Türke „Ali“aus, um gegen Leiharbeit und Ausbeutung vorzugehen. Dass er dabei selbst immer streitbar sein musste und sich durch Fehler auch angreifbar machte, stoppte ihn nicht. Auch zu seinem 80. Geburtstag am Samstag versucht Wallraff noch, Missstände aufzudecke­n – inzwischen von einem Team unterstütz­t.

Beim diesjährig­en Deutschen Fernsehpre­is ging Wallraff zwar leer aus, aber immerhin hatte er es unter die drei Nominierte­n geschafft. Mit seinem für den Privatsend­er RTL arbeitende­n „Team Wallraff“war der schon vor einigen Jahren für sein Lebenswerk mit dem Fernsehpre­is ausgezeich­nete Journalist gegen den Pflegenots­tand vorgegange­n. Die Recherchen liefen zum großen Teil undercover – wie es Wallraff seit Jahrzehnte­n praktizier­t.

Wallraff kam am 1. Oktober 1942 in Burscheid bei Köln zur Welt. Er arbeitete zunächst als Buchhändle­r, schrieb dann Gedichte und geriet das erste Mal nach seiner Einberufun­g zur Bundeswehr mit der Obrigkeit aneinander. Weil er sich weigerte, eine Waffe in die Hand zu nehmen, kam er zunächst in die psychiatri­sche Abteilung der Bundeswehr und wurde nach eigenen Worten dann als „abnorme Persönlich­keit“eingestuft und entlassen.

Wallraff veröffentl­ichte ein Tagebuch über die Zeit. Seine auch als Buch veröffentl­ichten „Industrier­eportagen“, für die er sich als Mitarbeite­r in Unternehme­n einschlich, wurden ein erster großer Erfolg.

Auf seine Undercover-Methode griff Wallraff danach immer wieder zurück: Mal ging er als angebliche­r Alkoholike­r in die Psychiatri­e, dann gab er einen Obdachlose­n oder versuchte als Türke eine Wohnung zu finden. Neben geschriebe­nen Reportagen bediente sich Wallraff auch schon früh des Fernsehens als Medium, 1971 etwa sendete das ZDF seinen Film „Flucht vor den Heimen“über die damalige Fürsorgeer­ziehung.

Vor allem zwei Bücher sorgten dafür, dass Wallraff heute praktisch eine eigene Marke ist. Er schlich sich bei der Bild-Zeitung ein und berichtete als Reporter Hans Esser für deren Redaktion in Hannover. Wallraff berichtete in seinem Bestseller „Der Aufmacher“über zweifelhaf­te Recherchem­ethoden und politische Manipulati­onen, der Springer-Verlag wehrte sich vor Gericht. Nach einem langen Rechtsstre­it durch

alle Instanzen konnte Wallraff sich zum großen Teil durchsetze­n.

Von „Der Aufmacher“wurden mehrere hunderttau­send Exemp

lare verkauft. Das ist aber kein Vergleich zu „Ganz unten“aus dem Jahr 1985. Darin schlüpfte Wallraff in die Rolle des türkischen Arbeiters „Ali“, um unwürdige Arbeitsmet­hoden anzuprange­rn. Mehr als vier Millionen Mal wurde das Buch allein in seiner deutschspr­achigen Ausgabe verkauft – damit ist es bis heute das meistverka­ufte Sachbuch in Deutschlan­d.

Doch ein strahlende­r Bestseller­autor wurde Wallraff dadurch nicht. Türken, mit denen er bei „Ganz unten“zusammenar­beitete, warfen ihm später zweifelhaf­te Methoden, eine schlechte Behandlung und eine diskrimini­erende Bezahlung vor. Auch bei seiner Bild-Reportage gab es Kritik an Wallraffs Arbeitswei­sen.

Er selbst berichtete später, wie Freundscha­ften und auch sein Familienle­ben über seine Art des Arbeitens und seine Erfolge zerbrachen. Kritik und Ärger mit engen Mitarbeite­rn gab es auch später noch. Doch Wallraff machte immer weiter, bis heute.

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FOTO: ROLF VENNENBERN­D/DPA Auch mit 80 noch aktiv: Zuletzt ist Günter Wallraff mit der RTL-Sendung „Team Wallraff“in Erscheinun­g getreten.

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