Saarbruecker Zeitung

Der Sprayer-Treff sieht jetzt ganz anders aus

Wer zu Fuß oder mit dem Rad auf dem Leinpfad an der Saar unterwegs ist, dem dürfte es schon aufgefalle­n sein: Saarbrücke­ns größte legale Graffitiwa­nd gegenüber dem Staden ist komplett neu bemalt. Hier erklärt ein Insider, was geschehen ist.

- VON THOMAS SCHÄFER www.saarbrueck­en.de/kultur/ kunstraum_saarbrueck­en/graffiti

SAARBRÜCKE­N Was sofort auffällt unter der Autobahn, einen Schritt vom kalten Wasser der Saar entfernt: Das Blaue Pferdchen von Franz Marc. Es ist sogar noch etwas blauer als das Original, das im Saarlandmu­seum hängt, auch der bunte Hintergrun­d kommt dem Meisterwer­k nah. Dieses blaue Pferdchen aber ist nicht vor 110 Jahren geschaffen worden, sondern Anfang September. Genau wie die Graffiti in direkter Nähe, die von Edvard Munchs „Der Schrei“und Vincent van Goghs „Sternennac­ht“inspiriert sind. Vier Saarbrücke­r Künstler haben die Bilder auf die Wand gesprüht, einer davon heißt „Anti-Hero“, Anti-Held.

In dieser Geschichte möchte er nicht mit seinem richtigen Namen auftauchen. Doch er ist bereit, zu erzählen, was an der größten und bekanntest­en Graffitiwa­nd des Saarlandes passiert ist, warum sie plötzlich völlig anders aussieht. Läufern, Radfahrern und Spaziergän­gerinnen ist das sicher schon aufgefalle­n, manchem Staden-Biertrinke­r gewiss auch. Denn von dort aus kann man die Wand in ihrer vollen Pracht sehen.

„Anti-Hero“, Anfang 40 und seit über 25 Jahren mit der Sprühdose in der Stadt unterwegs, war einer der Organisato­ren eines großen Sprayer-Treffens zum Jubiläum der Wand, die seit genau 20 Jahren als Graffiti-Fläche benutzt werden darf. 4560 heißt die rund 300 Meter lange Mauer offiziell. Dass dort legal gesprayt werden kann, dafür hatte sich einst der Verein „Saargebeat“eingesetzt. Ziel war es, Hip-Hop als Jugendkult­ur zu fördern, „aggressive Energie in Kreativitä­t umzuwandel­n“, wie es in einer Projektbes­chreibung heißt, man wollte Orte schaffen, wo junge Leute ihrem immer noch als etwas verrucht geltenden Hobby nachgehen können. Der größte Coup war die Legalisier­ung der Graffitiwa­nd am Leinpfad, es gab im August 2002 sogar eine offizielle Einweihung und auch in den Jahren danach regelmäßig Jubiläumsf­eiern.

Zum 20. Geburtstag, so erzählt es „Anti-Hero“, sollte es eigentlich

auch ein offizielle­s Sprayer-Meeting geben – dann aber habe es Probleme gegeben, die Party fiel ins Wasser. „Anti-Hero“ärgerte das, er hatte sich schon sehr darauf gefreut und zog es dann einfach mit einem kleinen Kreis von Freunden selbst durch: „Ich habe zu meinen Jungs gesagt, komm, egal, das bekommen wir auch ohne Hilfe hin, ohne irgendwelc­hes Geld vom Amt. Das ging ratzfatz über Mundpropag­anda.“Ratzfatz hatte er viele Zusagen von Sprayern aus Saarbrücke­n und einigen anderen Städten, aus Trier, Köln, Bielefeld, Mannheim, Kaiserslau­tern. Und so konnte Anfang September doch noch Jubiläum gefeiert werden.

Rund 60 Sprayer waren da und verpassten der Wand über zwei Tage ein völlig neues Aussehen. „Es war ein schönes Wochenende. Es gab keinen Streit und nix“, sagt „Anti-Hero“. Einen Panzerknac­ker von Donald Duck kann man dort jetzt sehen, den rothaarige­n Cowboy und BugsBunny-Widersache­r Yosemite Sam, einen Piraten à la Johnny Depp aus „Fluch der Karibik“, einen Flaschenge­ist und einen fröhlichen Panda mit

halbgerauc­hter Kippe vorm Gesicht. Dazu viele bunte Buchstaben und Wörter, an einer Stelle steht „Banditen und Ganoven“.

„Mir war es wichtig, dass die Wand mal wieder komplett neu bemalt wird“, erklärt „Anti-Hero“. Er sagt malen, andere sagen „mullern“

oder „dampfen“. Die Wand lebe von Veränderun­g, „das ist ganz normal“. Auch das legendäre „Letzte Abendmahl“, eine skurrile Variante des Gemäldes von Leonardo da Vinci, das in den vergangene­n Jahren viele Bewunderer fand und sogar mal auf der Titelseite der SZ zu sehen war, wurde

bei der Aktion nicht verschont. Veränderun­g sei normal, wiederholt „Anti-Hero“, den es überrascht hat, wie lange das „Abendmahl“unberührt blieb. Aber es sei nun mal etwas sehr Besonderes gewesen, „hohe Qualität, viel Aufwand“. Da gelte das ungeschrie­bene Szene-Gesetz: Nur übermalen, wenn man die Qualität halten kann. „Doch diese Regel wird auch immer mal gebrochen, weil sich jemand nicht auskennt.“

An der großen Wand an der Saar wäre das besonders folgenschw­er. Wer sich dort nicht auskennt und sprayen will, läuft Gefahr, einen Fehler zu machen, der nicht so leicht verziehen wird. Denn drei Graffiti haben laut „Anti-Hero“in der Szene einen unschätzba­ren Wert. Sie sind gerahmt, ein Rahmen ist inzwischen abgefallen. Es ist das traurige Geheimnis von 4560. Geschaffen hat die Kunstwerke ein Sprayer namens „Peak“– als Andenken an seinen verstorben­en Freund „Smoe“, einen stadtbekan­nten Rapper. Tragisch: Auch „Peak“ist mittlerwei­le tot, auf der Wand leben beide irgendwie weiter. „Die Bilder sollten wirklich nicht übermalt werden“, sagt „Anti-Hero“. Er findet es „super“, dass es in Saarbrücke­n viele Flächen gibt, wo Graffiti erlaubt sind. So würde „natürlich“weniger illegal gesprayt, auch wenn das nie ganz zu verhindern sei.

 ?? ??
 ?? FOTOS: ROBBY LORENZ ?? Blick auf die große Graffitiwa­nd an der Autobahn in St. Arnual gegenüber dem Staden.
FOTOS: ROBBY LORENZ Blick auf die große Graffitiwa­nd an der Autobahn in St. Arnual gegenüber dem Staden.
 ?? ?? Graffiti mit dem Blauen Pferd an der Wand gegenüber dem Staden, rechts Edvard Munchs „Der Schrei“.
Graffiti mit dem Blauen Pferd an der Wand gegenüber dem Staden, rechts Edvard Munchs „Der Schrei“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany