Der Sprayer-Treff sieht jetzt ganz anders aus
Wer zu Fuß oder mit dem Rad auf dem Leinpfad an der Saar unterwegs ist, dem dürfte es schon aufgefallen sein: Saarbrückens größte legale Graffitiwand gegenüber dem Staden ist komplett neu bemalt. Hier erklärt ein Insider, was geschehen ist.
SAARBRÜCKEN Was sofort auffällt unter der Autobahn, einen Schritt vom kalten Wasser der Saar entfernt: Das Blaue Pferdchen von Franz Marc. Es ist sogar noch etwas blauer als das Original, das im Saarlandmuseum hängt, auch der bunte Hintergrund kommt dem Meisterwerk nah. Dieses blaue Pferdchen aber ist nicht vor 110 Jahren geschaffen worden, sondern Anfang September. Genau wie die Graffiti in direkter Nähe, die von Edvard Munchs „Der Schrei“und Vincent van Goghs „Sternennacht“inspiriert sind. Vier Saarbrücker Künstler haben die Bilder auf die Wand gesprüht, einer davon heißt „Anti-Hero“, Anti-Held.
In dieser Geschichte möchte er nicht mit seinem richtigen Namen auftauchen. Doch er ist bereit, zu erzählen, was an der größten und bekanntesten Graffitiwand des Saarlandes passiert ist, warum sie plötzlich völlig anders aussieht. Läufern, Radfahrern und Spaziergängerinnen ist das sicher schon aufgefallen, manchem Staden-Biertrinker gewiss auch. Denn von dort aus kann man die Wand in ihrer vollen Pracht sehen.
„Anti-Hero“, Anfang 40 und seit über 25 Jahren mit der Sprühdose in der Stadt unterwegs, war einer der Organisatoren eines großen Sprayer-Treffens zum Jubiläum der Wand, die seit genau 20 Jahren als Graffiti-Fläche benutzt werden darf. 4560 heißt die rund 300 Meter lange Mauer offiziell. Dass dort legal gesprayt werden kann, dafür hatte sich einst der Verein „Saargebeat“eingesetzt. Ziel war es, Hip-Hop als Jugendkultur zu fördern, „aggressive Energie in Kreativität umzuwandeln“, wie es in einer Projektbeschreibung heißt, man wollte Orte schaffen, wo junge Leute ihrem immer noch als etwas verrucht geltenden Hobby nachgehen können. Der größte Coup war die Legalisierung der Graffitiwand am Leinpfad, es gab im August 2002 sogar eine offizielle Einweihung und auch in den Jahren danach regelmäßig Jubiläumsfeiern.
Zum 20. Geburtstag, so erzählt es „Anti-Hero“, sollte es eigentlich
auch ein offizielles Sprayer-Meeting geben – dann aber habe es Probleme gegeben, die Party fiel ins Wasser. „Anti-Hero“ärgerte das, er hatte sich schon sehr darauf gefreut und zog es dann einfach mit einem kleinen Kreis von Freunden selbst durch: „Ich habe zu meinen Jungs gesagt, komm, egal, das bekommen wir auch ohne Hilfe hin, ohne irgendwelches Geld vom Amt. Das ging ratzfatz über Mundpropaganda.“Ratzfatz hatte er viele Zusagen von Sprayern aus Saarbrücken und einigen anderen Städten, aus Trier, Köln, Bielefeld, Mannheim, Kaiserslautern. Und so konnte Anfang September doch noch Jubiläum gefeiert werden.
Rund 60 Sprayer waren da und verpassten der Wand über zwei Tage ein völlig neues Aussehen. „Es war ein schönes Wochenende. Es gab keinen Streit und nix“, sagt „Anti-Hero“. Einen Panzerknacker von Donald Duck kann man dort jetzt sehen, den rothaarigen Cowboy und BugsBunny-Widersacher Yosemite Sam, einen Piraten à la Johnny Depp aus „Fluch der Karibik“, einen Flaschengeist und einen fröhlichen Panda mit
halbgerauchter Kippe vorm Gesicht. Dazu viele bunte Buchstaben und Wörter, an einer Stelle steht „Banditen und Ganoven“.
„Mir war es wichtig, dass die Wand mal wieder komplett neu bemalt wird“, erklärt „Anti-Hero“. Er sagt malen, andere sagen „mullern“
oder „dampfen“. Die Wand lebe von Veränderung, „das ist ganz normal“. Auch das legendäre „Letzte Abendmahl“, eine skurrile Variante des Gemäldes von Leonardo da Vinci, das in den vergangenen Jahren viele Bewunderer fand und sogar mal auf der Titelseite der SZ zu sehen war, wurde
bei der Aktion nicht verschont. Veränderung sei normal, wiederholt „Anti-Hero“, den es überrascht hat, wie lange das „Abendmahl“unberührt blieb. Aber es sei nun mal etwas sehr Besonderes gewesen, „hohe Qualität, viel Aufwand“. Da gelte das ungeschriebene Szene-Gesetz: Nur übermalen, wenn man die Qualität halten kann. „Doch diese Regel wird auch immer mal gebrochen, weil sich jemand nicht auskennt.“
An der großen Wand an der Saar wäre das besonders folgenschwer. Wer sich dort nicht auskennt und sprayen will, läuft Gefahr, einen Fehler zu machen, der nicht so leicht verziehen wird. Denn drei Graffiti haben laut „Anti-Hero“in der Szene einen unschätzbaren Wert. Sie sind gerahmt, ein Rahmen ist inzwischen abgefallen. Es ist das traurige Geheimnis von 4560. Geschaffen hat die Kunstwerke ein Sprayer namens „Peak“– als Andenken an seinen verstorbenen Freund „Smoe“, einen stadtbekannten Rapper. Tragisch: Auch „Peak“ist mittlerweile tot, auf der Wand leben beide irgendwie weiter. „Die Bilder sollten wirklich nicht übermalt werden“, sagt „Anti-Hero“. Er findet es „super“, dass es in Saarbrücken viele Flächen gibt, wo Graffiti erlaubt sind. So würde „natürlich“weniger illegal gesprayt, auch wenn das nie ganz zu verhindern sei.