„Mir geht es nicht darum, Schulden zu verstecken“
Der Bundesfinanzminister stimmt die deutschen Bürger auf Wohlstandsverluste ein. An der Schuldenbremse hält er dennoch fest.
BERLIN Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) spricht im Interview mit unserer Zeitung über den neuen, 200 Milliarden Euro schweren Gaspreisdeckel der Bundesregierung, dessen Finanzierung und die Folgen für die Steuerzahler.
Die Regierung nimmt bis zu 200 Milliarden Euro in die Hand, um die stark gestiegenen Gaspreise zu deckeln. Dürfen Bürger und Unternehmen jetzt erwarten, dass der Staat die Preissteigerungen seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs komplett kompensiert?
LINDNER Nein. Das wäre weder ökonomisch möglich noch wäre es sinnvoll, weil wir ja Anreize für Sparsamkeit brauchen. Wir haben einen Abwehrschirm gegen den Energiekrieg aufgestellt. Wir mobilisieren unsere wirtschaftliche Stärke, damit keine Existenzen vernichtet werden. Wir schützen die Menschen vor finanzieller Überforderung und die Wirtschaft vor ruinösen Preisspitzen. Aber Einschränkungen und einen Strukturwandel in der Wirtschaft kann der Staat nicht verhindern.
Welche Größenordnung stellen Sie sich bei der Preisdämpfung vor? Werden die Gaspreissteigerungen, die es seit Februar 2022 gegeben hat, etwa um die Hälfte reduziert? LINDNER Konkret kann man das zur Stunde noch nicht sagen. Die Marktpreise sollten vor allem durch ein größeres Angebot an Gas und Strom sinken. Daher bin ich zum Beispiel der Auffassung, dass alle drei laufenden Kernkraftwerke für die Zeit der Krise am Netz bleiben sollten. Von den abgeschalteten könnten mindestens zwei weitere reaktiviert werden.
Die Union warnt vor Mitnahmeeffekten durch den 200-MilliardenFonds für Gas: Wie verhindern Sie, dass internationale Gasanbieter jetzt das große Geschäft in Deutschland wittern?
LINDNER Wir sehen die Probleme. Deshalb haben wir eine GaspreisKommission eingesetzt, in der Experten und Praktiker sitzen. Klar ist, dass wir den Preis für unsere Energieabhängigkeit von Russland und Versäumnisse zahlen. Die Kosten für Energieimporte sind Ausdruck eines Wohlstandsverlustes. Ich kann als Finanzminister mit Krediten einen Abwehrschirm aufspannen, um die Schockwirkung zu reduzieren. Aber die Tatsache, dass wir Kapital ins Ausland verlieren, kann ich nicht ändern.
Was müssen wir mittelfristig tun, um unseren Wohlstand zu sichern? LINDNER Wir müssen das Geschäftsmodell Deutschlands erneuern. Eine neue Politik der Wirtschaftsfreundlichkeit ist nötig. Das reicht von schnellen Planungs- und Genehmigungsverfahren über bessere
Bildung, erleichterte Einwanderung von Fachkräften bis hin zu den öffentlichen Investitionen in Digitales und Infrastruktur. Auf Initiative der FDP werden in dieser Krise keine neuen Bürokratielasten beschlossen. Nach der Krise werden wir uns grundsätzlich mit unserer Wettbewerbsfähigkeit beschäftigten. Da günstiges Gas kein Wettbewerbsvorteil mehr ist, will ich debattieren, ob wir unsere Arbeitsplätze mit weltweit sehr hohen Energiepreisen und zu
gleich sehr hohen Steuersätzen erhalten. Das Steuerrecht wird wieder an Bedeutung für die Standortpolitik gewinnen.
Warum haben Sie sich entschieden, die 200 Milliarden Euro über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu finanzieren?
LINDNER Mir geht es nicht darum, die Schulden zu verstecken. Im Gegenteil versuche ich, den Staatshaushalt vor Anforderungen, Wahl
geschenken, Subventionen und Umverteilung zu schützen. Deshalb verteidige ich die Schuldenbremse, weil sie mir den Hebel gibt, die Interessen der Steuerzahler zu schützen. Die krisenbedingten Ausgaben, für die ich Kredite brauche, trenne ich daher bewusst ab. Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds ist streng zweckgebunden für Strom- und Gaspreisbremse und Wirtschaftshilfe. Für den Bundeshaushalt 2023 gilt dagegen die Schuldenbremse – als klares Signal an die Steuerzahler und die Kapitalmärkte, dass wir unseren stabilitätspolitischen Kurs nach der Krise insgesamt aufnehmen.
Ist mit dem Abwehrschirm endgültig auch für SPD und Grüne klar, dass die Schuldenbremse 2023 eingehalten wird?
„Wir mobilisieren unsere wirtschaftliche Stärke, damit keine Existenzen vernichtet werden.“Christian Lindner (FDP) Finanzminister
LINDNER Da bin ich Realist. Teile der Sozialdemokraten und vor allem die Grünen, auch manche in der Union, sind prinzipiell gegen die Schuldenbremse. Sie wird dämonisiert als angebliche Investitions- und Zukunftsbremse. Dabei drückt sie nur die Notwendigkeit aus, Prioritäten zu setzen. Man kann nicht alles gleichzeitig wollen, sagt die Schuldenbremse, entscheidet euch. Bei mir können die Leute sicher sein: Ich tue das, was notwendig ist, wie jetzt mit dem Abwehrschirm. Aber ich weiß genau, dass die Schulden von heute schon morgen mit Zins und Tilgung bedient werden müssen. Ich will nicht in die Lage kommen, dass wir für alte Schulden in Zukunft bei Bildung, Digitalisierung, Innovationen sparen oder sogar Steuern erhöhen müssen.
Sie geben Ihr Wort, dass die Schuldenbremse 2023 hält?
LINDNER Der Entwurf des Haushalts 2023 verbindet Rekordinvestitionen, Entlastungen und die Schuldenbremse. Der Kernhaushalt wird gewissermaßen wie die Bürger und die Wirtschaft ebenfalls vom Abwehrschirm geschützt.