EU-Energieminister einigen sich auf Notfallmaßnahmen
BRÜSSEL Die Europäer wollten Solidarität demonstrieren und eine gemeinsame Antwort auf die explodierenden Energiepreise liefern. Angesichts der sich zuspitzenden Situation für Bürger und Betriebe verständigten sich die Energieminister am Freitag auf Notmaßnahmen, die zumindest in den kommenden Monaten für Entspannung sorgen sollen. Zu ihnen gehört, dass künftig Übergewinne von Stromproduzenten abgeschöpft werden. Es geht um Erlöse, die unvorhergesehen und ohne eigene Zusatzleistung erzielt wurden. Der Preis für Strom ist zwar nicht direkt an den Gaspreis gekoppelt, wird aber maßgeblich von ihm beeinflusst. Den Überschuss, gerechnet auf den Umsatz, müssen die Betreiber von beispielsweise Atomkraftwerken sowie Windenergie- und Solarparks künftig zu mindestens 90 Prozent an den Staat abführen, der das Geld wiederum an die Verbraucher umverteilen oder in Erneuerbare Energien investieren muss. Die Preisobergrenze liegt bei 180 Euro pro Megawattstunde. Aber die EU wäre nicht die EU, würde es nicht auch eine Reihe von Ausnahmen geben. So wurde den Mitgliedstaaten etwa bei der beschlossenen Solidaritätsabgabe Spielraum eingeräumt, die Hersteller von fossilen Energien wie Öl und Gas leisten sollen, etwa Raffinerien. Sie soll mindestens 33 Prozent auf Übergewinne betragen und kann 2022 oder 2023 erhoben werden, oder aber in beiden Jahren. Den genauen Betrag dürfen die Regierungen festsetzen. Auch diese Einnahmen sollen direkt an stark belastete Haushalte fließen. Droht ein Flickenteppich von unterschiedlichen Maßnahmen-Modellen in der Gemeinschaft? Das befürchten zumindest Kritiker.
Langfristig, so meinte ein EU-Diplomat diese Woche, gebe es vor allem eine Lösung: „Sparen, sparen, sparen.“Auch der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sandte am Freitag „mit großer Dringlichkeit“abermals seine Botschaft aus: „Wir müssen die Verbräuche runterbringen.“Immerhin, die Minister einigten sich auf ein verpflichtendes Stromsparziel von fünf Prozent in Zeiten hoher Nachfrage. Habeck warb außerdem für eine gemeinsame Einkaufsgemeinschaft bei Gas, die seiner Ansicht nach sofort umsetzbar wäre. „Wir können die Marktmacht Europas klug auf den Weltmärkten einsetzen und damit die Preise runterbringen“, sagte er und verwies auf volle Speicher auf dem Kontinent.
Doch einige Staaten verlangen drastischere Eingriffe in den Markt in Form eines Preisdeckels für Gas in der Stromerzeugung. Erst am Dienstag hatten 15 EU-Regierungen, darunter jene in Frankreich, in einem Brief an Energiekommissarin Kadri Simson diesbezüglich Vorschläge von der Brüsseler Behörde gefordert. Spanien etwa hat einen solchen Deckel bereits eingeführt. Das Ziel? Dass Gaskraftwerke billiger Strom produzieren könnten, sodass der Elektrizitätspreis sinken würde. Der Differenzbetrag zwischen dem tatsächlichen Marktpreis und dem festgesetzten niedrigeren Preis würde aus den Staatseinnahmen finanziert werden, die mit der Abschöpfung der Sondergewinne von Erzeugern mit weniger hohen Produktionskosten erzielt werden. Kommt also bald das „iberische Modell“für die ganze EU? Die Kommission, bislang skeptisch gegenüber einem solchen
Instrument, gab Mitte der Woche dem Druck nach und präsentierte ein Papier. Darin schlug sie zwar Optionen für einen solchen Preisdeckel vor, warnte aber, dass die Obergrenze so angelegt sein müsse, dass sie den Gesamtverbrauch nicht erhöhe. Die Sorge, dass durch die Einführung eines Preisdeckels mehr verbraucht werden könnte, wie dies in Spanien derzeit der Fall ist, wird auch in Deutschland geteilt.
Beim Thema Gaspreisdeckel zeichnet sich also keine Einigung ab. Von einem Konsens sei man hier „weit entfernt“, räumte ein EU-Diplomat ein, nicht ohne nachzuschieben, man wolle sich auf das „in Rekordgeschwindigkeit“Erreichte konzentrieren – Stichwort Solidarität.