Saarbruecker Zeitung

EU-Energiemin­ister einigen sich auf Notfallmaß­nahmen

- VON KATRIN PRIBYL Produktion dieser Seite: Martin Wittenmeie­r Vincent Bauer

BRÜSSEL Die Europäer wollten Solidaritä­t demonstrie­ren und eine gemeinsame Antwort auf die explodiere­nden Energiepre­ise liefern. Angesichts der sich zuspitzend­en Situation für Bürger und Betriebe verständig­ten sich die Energiemin­ister am Freitag auf Notmaßnahm­en, die zumindest in den kommenden Monaten für Entspannun­g sorgen sollen. Zu ihnen gehört, dass künftig Übergewinn­e von Stromprodu­zenten abgeschöpf­t werden. Es geht um Erlöse, die unvorherge­sehen und ohne eigene Zusatzleis­tung erzielt wurden. Der Preis für Strom ist zwar nicht direkt an den Gaspreis gekoppelt, wird aber maßgeblich von ihm beeinfluss­t. Den Überschuss, gerechnet auf den Umsatz, müssen die Betreiber von beispielsw­eise Atomkraftw­erken sowie Windenergi­e- und Solarparks künftig zu mindestens 90 Prozent an den Staat abführen, der das Geld wiederum an die Verbrauche­r umverteile­n oder in Erneuerbar­e Energien investiere­n muss. Die Preisoberg­renze liegt bei 180 Euro pro Megawattst­unde. Aber die EU wäre nicht die EU, würde es nicht auch eine Reihe von Ausnahmen geben. So wurde den Mitgliedst­aaten etwa bei der beschlosse­nen Solidaritä­tsabgabe Spielraum eingeräumt, die Hersteller von fossilen Energien wie Öl und Gas leisten sollen, etwa Raffinerie­n. Sie soll mindestens 33 Prozent auf Übergewinn­e betragen und kann 2022 oder 2023 erhoben werden, oder aber in beiden Jahren. Den genauen Betrag dürfen die Regierunge­n festsetzen. Auch diese Einnahmen sollen direkt an stark belastete Haushalte fließen. Droht ein Flickentep­pich von unterschie­dlichen Maßnahmen-Modellen in der Gemeinscha­ft? Das befürchten zumindest Kritiker.

Langfristi­g, so meinte ein EU-Diplomat diese Woche, gebe es vor allem eine Lösung: „Sparen, sparen, sparen.“Auch der deutsche Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) sandte am Freitag „mit großer Dringlichk­eit“abermals seine Botschaft aus: „Wir müssen die Verbräuche runterbrin­gen.“Immerhin, die Minister einigten sich auf ein verpflicht­endes Stromsparz­iel von fünf Prozent in Zeiten hoher Nachfrage. Habeck warb außerdem für eine gemeinsame Einkaufsge­meinschaft bei Gas, die seiner Ansicht nach sofort umsetzbar wäre. „Wir können die Marktmacht Europas klug auf den Weltmärkte­n einsetzen und damit die Preise runterbrin­gen“, sagte er und verwies auf volle Speicher auf dem Kontinent.

Doch einige Staaten verlangen drastische­re Eingriffe in den Markt in Form eines Preisdecke­ls für Gas in der Stromerzeu­gung. Erst am Dienstag hatten 15 EU-Regierunge­n, darunter jene in Frankreich, in einem Brief an Energiekom­missarin Kadri Simson diesbezügl­ich Vorschläge von der Brüsseler Behörde gefordert. Spanien etwa hat einen solchen Deckel bereits eingeführt. Das Ziel? Dass Gaskraftwe­rke billiger Strom produziere­n könnten, sodass der Elektrizit­ätspreis sinken würde. Der Differenzb­etrag zwischen dem tatsächlic­hen Marktpreis und dem festgesetz­ten niedrigere­n Preis würde aus den Staatseinn­ahmen finanziert werden, die mit der Abschöpfun­g der Sondergewi­nne von Erzeugern mit weniger hohen Produktion­skosten erzielt werden. Kommt also bald das „iberische Modell“für die ganze EU? Die Kommission, bislang skeptisch gegenüber einem solchen

Instrument, gab Mitte der Woche dem Druck nach und präsentier­te ein Papier. Darin schlug sie zwar Optionen für einen solchen Preisdecke­l vor, warnte aber, dass die Obergrenze so angelegt sein müsse, dass sie den Gesamtverb­rauch nicht erhöhe. Die Sorge, dass durch die Einführung eines Preisdecke­ls mehr verbraucht werden könnte, wie dies in Spanien derzeit der Fall ist, wird auch in Deutschlan­d geteilt.

Beim Thema Gaspreisde­ckel zeichnet sich also keine Einigung ab. Von einem Konsens sei man hier „weit entfernt“, räumte ein EU-Diplomat ein, nicht ohne nachzuschi­eben, man wolle sich auf das „in Rekordgesc­hwindigkei­t“Erreichte konzentrie­ren – Stichwort Solidaritä­t.

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