Er streitet mit den Chefs auf Augenhöhe
Tobias Wolfanger ist der neue Geschäftsführer der Gewerkschaft NahrungGenuss- Gaststätten. Nebenbei ist er noch Ortsvorsteher und tanzt im Männerballett seines Karnevalsvereins. Das alles fügt sich aus seiner Sicht gut zusammen.
SAARBRÜCKEN Tobias Wolfanger sieht erholt aus. Der 30-Jährige ist frisch verheiratet und kommt gerade erst aus den Flitterwochen von den Malediven. Beim Gespräch in seinem Gewerkschafts-Büro in der Trierer Straße in Saarbrücken schwärmt er bei einer Tasse Kaffee vom weißen Strand und vom Schnorcheln im klar blauen Wasser: „Ich habe ganz viel nachgedacht“, sagt er. Auch über das was vor ihm liegt. Zum 15. September hat er das Amt seines Vorgängers Mark Baumeister als Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-GenussGaststätten (NGG) im Saarland übernommen. An diesem Freitag wurde offiziell der Staffelstab übergeben, verbunden mit einem kleinen Fest.
Tobias Wolfanger ist Saarländer durch und durch. Das verrät nicht nur sein Dialekt. Das sagt er aus Überzeugung. „Ich gehe hier nicht weg!“Hier ist er vernetzt. Nicht zuletzt durch jahrelanges Engagement in der Jugendarbeit. Acht Jahre war er im Vorstand des Landesjugendrings, vier davon Vorsitzender. Jetzt, mit 30, ist die Jugendarbeit für ihn
abgeschlossen. „Das Netzwerk kann ich nutzen, um gute Gewerkschaftsarbeit zu machen.“Und welche andere Gewerkschaft als die NGG passte besser zum Saarland, wo das Credo „Hauptsach gudd gess“lautet? So sieht das jedenfalls Wolfanger. Die größten Betriebe in seinem Bereich sind entsprechend Wagner-Pizza, Ludwig Schokolade und die Karlsberg Brauerei. Mit ihnen wird er künftig am Verhandlungstisch sitzen.
Seit ein paar Monaten ist das SPDMitglied außerdem Ortsvorsteher von Wiebelskirchen-Hangard-Münchwies. Das ergänzt sich in seinen Augen ganz gut. Als Ortsvorsteher kümmert er sich um die Probleme der Bürger, als Gewerkschafter hört er sich die Probleme der Arbeitnehmer an. Und in seiner Freizeit engagiert er sich im Karneval. Mit 18 hat er vom Fußball zum Gardetanz gewechselt. Konnte sogar Spagat. „Das war vor 30 Kilo“, lacht er. Dass ihn einige amüsiert „Hupfdohle“nannten, hat er abgeschüttelt. „Das ist Leistungssport“und Tanzen einfach das, was ihm Spaß macht. Dank der offensiven Haltung hat dann auch schnell niemand mehr gelacht. Heute tanzt er im Männerballett des Karnevalsvereins in Wiebelskirchen, dessen Vorsitzender er ist. Ein Hansdampf in allen Gassen. Der Fokus ist aber ganz klar. „Das eine ist Ehrenamt. Gewerkschaft ist mein Beruf. Und der geht vor.“
Der Weg dorthin war nicht einfach. Nach Abitur und Studium der Sportökonomie war Wolfanger kurze Zeit selbstständig im Bereich Marketing. „Das ging richtig in die Hose“, sagt er. Aber er kann der Misere etwas Positives abgewinnen: „Ich weiß, wie man richtig scheitern kann. Ich habe gelernt, was prekäre Beschäftigung ist.“Und das habe ihn letztlich zur
Gewerkschaftsarbeit gebracht. Zunächst beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Kaiserslautern und vor zweieinhalb Jahren dann zur NGG nach Saarbrücken.
Sein Vorgänger, Mark Baumeister, ist oft angeeckt. Trat eher impulsiv auf. Tobias Wolfanger wirkt dagegen eher ruhig. „Mark und ich sind zwei unterschiedliche Charaktere. Wer uns kennt, der weiß das.“Er sieht darin aber weder Vor- noch Nachteil. „Keine Wertung“, sagt er. Bei dem einen komme die eine Art besser an, bei dem anderen eine andere. „Man muss hart in der Sache sein, aber fair zum Menschen“, betont er. Er sieht sich als Lobbyist für Arbeitnehmer.
Nicht jeder könne in die direkte Konfrontation mit dem Chef gehen, der meist am längeren Hebel sitzt, sagt Wolfanger. „Dafür gibt es Gewerkschaften. Ich kann Waffengleichheit herstellen.“Gerade in kleinen Gewerkschaften wie der NGG sei das wichtig: „In der Industrie gehst du mit Tausend Leuten auf die Straße. Da bist du einer von vielen. In der Bäckerei bist du einer von dreien und da sollst du morgens den Mut haben, die Tür abzuschließen und dich mit einem Schild vor den Laden stellen?“Dass er sich vom Rechtsschutz bis zur Mitgliederbetreuung um alles kümmern muss, macht für ihn den Reiz seiner neuen Tätigkeit aus.
Das erfordert Kraft und Engagement. Zum einen sind die Arbeitszeiten entgrenzt. Wolfanger erinnert sich an die Calypso-Pleite. „Wir haben von der Insolvenz aus den Medien erfahren. An Christi Himmelfahrt. Das war‘s mit dem langen Wochenende.“
Zudem ist die Arbeit mental fordernd. An dem kleinen runden Tisch, an dem er jetzt sitzt, sitzen sonst die Arbeiter, die mit ihren Problemen zu ihm kommen und um Rat bitten. „Hier ist man an der Front. Es kommen Leute, wie ein Häufchen Elend, fertig gemacht vom Arbeitgeber.“Ein Balanceakt. Zum einen muss er sich für die Geschichten der einzelnen
Leute interessieren, ihnen zuhören, ihnen helfen. Gleichzeitig darf er aber nicht jedes Schicksal emotional mit nach Hause nehmen. „Für den Job muss man gemacht sein“, sagt er deshalb. Seine Frau ist seine Stütze. Als Gewerkschaftssekretärin bei Verdi kennt sie die Schicksale und Probleme, mit denen Wolfanger hadert.
Hinter ihm an der Wand im Regal reihen sich Schubladenboxen an
„Hier ist man an der Front. Es kommen Leute, wie ein Häufchen Elend, fertig gemacht vom Arbeitgeber.“Tobias Wolfanger
einander. Unterschiedliche Farben. Das sind, nach Branche sortiert, die Tarifverträge, die für saarländische Unternehmen gelten. Viele Arbeitnehmer wüssten einfach nicht, was ihnen zusteht. Er nennt ein Beispiel: Ein Hotel ist Mitglied im Dehoga. Muss also nach Tarif bezahlen. Ein Koch verdient seit sechs Jahren Mindestlohn, obwohl er eigentlich viel mehr verdienen müsste. „Der ist in Tränen ausgebrochen.“Nicht alle entscheiden sich dann aber, ihr Recht auch durchzusetzen oder den Arbeitgeber zu wechseln. „Ganz ehrlich, das kann ich nicht nachvollziehen“, sagt er mit Unverständnis in der Stimme. Jedenfalls nicht immer. Und am Ende versuche er solche Schicksale eher als Ansporn zu nehmen. „Dann kommt der Betrieb auf meine Agenda. Die können wir nicht davonkommen lassen“, sagt er kämpferisch.