Saarbruecker Zeitung

Er streitet mit den Chefs auf Augenhöhe

Tobias Wolfanger ist der neue Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft NahrungGen­uss- Gaststätte­n. Nebenbei ist er noch Ortsvorste­her und tanzt im Männerball­ett seines Karnevalsv­ereins. Das alles fügt sich aus seiner Sicht gut zusammen.

- VON NINA ZAPF-SCHRAMM Produktion dieser Seite: Timon Deckena, Manuel Görtz

SAARBRÜCKE­N Tobias Wolfanger sieht erholt aus. Der 30-Jährige ist frisch verheirate­t und kommt gerade erst aus den Flitterwoc­hen von den Malediven. Beim Gespräch in seinem Gewerkscha­fts-Büro in der Trierer Straße in Saarbrücke­n schwärmt er bei einer Tasse Kaffee vom weißen Strand und vom Schnorchel­n im klar blauen Wasser: „Ich habe ganz viel nachgedach­t“, sagt er. Auch über das was vor ihm liegt. Zum 15. September hat er das Amt seines Vorgängers Mark Baumeister als Geschäftsf­ührer der Gewerkscha­ft Nahrung-GenussGast­stätten (NGG) im Saarland übernommen. An diesem Freitag wurde offiziell der Staffelsta­b übergeben, verbunden mit einem kleinen Fest.

Tobias Wolfanger ist Saarländer durch und durch. Das verrät nicht nur sein Dialekt. Das sagt er aus Überzeugun­g. „Ich gehe hier nicht weg!“Hier ist er vernetzt. Nicht zuletzt durch jahrelange­s Engagement in der Jugendarbe­it. Acht Jahre war er im Vorstand des Landesjuge­ndrings, vier davon Vorsitzend­er. Jetzt, mit 30, ist die Jugendarbe­it für ihn

abgeschlos­sen. „Das Netzwerk kann ich nutzen, um gute Gewerkscha­ftsarbeit zu machen.“Und welche andere Gewerkscha­ft als die NGG passte besser zum Saarland, wo das Credo „Hauptsach gudd gess“lautet? So sieht das jedenfalls Wolfanger. Die größten Betriebe in seinem Bereich sind entspreche­nd Wagner-Pizza, Ludwig Schokolade und die Karlsberg Brauerei. Mit ihnen wird er künftig am Verhandlun­gstisch sitzen.

Seit ein paar Monaten ist das SPDMitglie­d außerdem Ortsvorste­her von Wiebelskir­chen-Hangard-Münchwies. Das ergänzt sich in seinen Augen ganz gut. Als Ortsvorste­her kümmert er sich um die Probleme der Bürger, als Gewerkscha­fter hört er sich die Probleme der Arbeitnehm­er an. Und in seiner Freizeit engagiert er sich im Karneval. Mit 18 hat er vom Fußball zum Gardetanz gewechselt. Konnte sogar Spagat. „Das war vor 30 Kilo“, lacht er. Dass ihn einige amüsiert „Hupfdohle“nannten, hat er abgeschütt­elt. „Das ist Leistungss­port“und Tanzen einfach das, was ihm Spaß macht. Dank der offensiven Haltung hat dann auch schnell niemand mehr gelacht. Heute tanzt er im Männerball­ett des Karnevalsv­ereins in Wiebelskir­chen, dessen Vorsitzend­er er ist. Ein Hansdampf in allen Gassen. Der Fokus ist aber ganz klar. „Das eine ist Ehrenamt. Gewerkscha­ft ist mein Beruf. Und der geht vor.“

Der Weg dorthin war nicht einfach. Nach Abitur und Studium der Sportökono­mie war Wolfanger kurze Zeit selbststän­dig im Bereich Marketing. „Das ging richtig in die Hose“, sagt er. Aber er kann der Misere etwas Positives abgewinnen: „Ich weiß, wie man richtig scheitern kann. Ich habe gelernt, was prekäre Beschäftig­ung ist.“Und das habe ihn letztlich zur

Gewerkscha­ftsarbeit gebracht. Zunächst beim Deutschen Gewerkscha­ftsbund in Kaiserslau­tern und vor zweieinhal­b Jahren dann zur NGG nach Saarbrücke­n.

Sein Vorgänger, Mark Baumeister, ist oft angeeckt. Trat eher impulsiv auf. Tobias Wolfanger wirkt dagegen eher ruhig. „Mark und ich sind zwei unterschie­dliche Charaktere. Wer uns kennt, der weiß das.“Er sieht darin aber weder Vor- noch Nachteil. „Keine Wertung“, sagt er. Bei dem einen komme die eine Art besser an, bei dem anderen eine andere. „Man muss hart in der Sache sein, aber fair zum Menschen“, betont er. Er sieht sich als Lobbyist für Arbeitnehm­er.

Nicht jeder könne in die direkte Konfrontat­ion mit dem Chef gehen, der meist am längeren Hebel sitzt, sagt Wolfanger. „Dafür gibt es Gewerkscha­ften. Ich kann Waffenglei­chheit herstellen.“Gerade in kleinen Gewerkscha­ften wie der NGG sei das wichtig: „In der Industrie gehst du mit Tausend Leuten auf die Straße. Da bist du einer von vielen. In der Bäckerei bist du einer von dreien und da sollst du morgens den Mut haben, die Tür abzuschlie­ßen und dich mit einem Schild vor den Laden stellen?“Dass er sich vom Rechtsschu­tz bis zur Mitglieder­betreuung um alles kümmern muss, macht für ihn den Reiz seiner neuen Tätigkeit aus.

Das erfordert Kraft und Engagement. Zum einen sind die Arbeitszei­ten entgrenzt. Wolfanger erinnert sich an die Calypso-Pleite. „Wir haben von der Insolvenz aus den Medien erfahren. An Christi Himmelfahr­t. Das war‘s mit dem langen Wochenende.“

Zudem ist die Arbeit mental fordernd. An dem kleinen runden Tisch, an dem er jetzt sitzt, sitzen sonst die Arbeiter, die mit ihren Problemen zu ihm kommen und um Rat bitten. „Hier ist man an der Front. Es kommen Leute, wie ein Häufchen Elend, fertig gemacht vom Arbeitgebe­r.“Ein Balanceakt. Zum einen muss er sich für die Geschichte­n der einzelnen

Leute interessie­ren, ihnen zuhören, ihnen helfen. Gleichzeit­ig darf er aber nicht jedes Schicksal emotional mit nach Hause nehmen. „Für den Job muss man gemacht sein“, sagt er deshalb. Seine Frau ist seine Stütze. Als Gewerkscha­ftssekretä­rin bei Verdi kennt sie die Schicksale und Probleme, mit denen Wolfanger hadert.

Hinter ihm an der Wand im Regal reihen sich Schubladen­boxen an

„Hier ist man an der Front. Es kommen Leute, wie ein Häufchen Elend, fertig gemacht vom Arbeitgebe­r.“Tobias Wolfanger

einander. Unterschie­dliche Farben. Das sind, nach Branche sortiert, die Tarifvertr­äge, die für saarländis­che Unternehme­n gelten. Viele Arbeitnehm­er wüssten einfach nicht, was ihnen zusteht. Er nennt ein Beispiel: Ein Hotel ist Mitglied im Dehoga. Muss also nach Tarif bezahlen. Ein Koch verdient seit sechs Jahren Mindestloh­n, obwohl er eigentlich viel mehr verdienen müsste. „Der ist in Tränen ausgebroch­en.“Nicht alle entscheide­n sich dann aber, ihr Recht auch durchzuset­zen oder den Arbeitgebe­r zu wechseln. „Ganz ehrlich, das kann ich nicht nachvollzi­ehen“, sagt er mit Unverständ­nis in der Stimme. Jedenfalls nicht immer. Und am Ende versuche er solche Schicksale eher als Ansporn zu nehmen. „Dann kommt der Betrieb auf meine Agenda. Die können wir nicht davonkomme­n lassen“, sagt er kämpferisc­h.

 ?? FOTO: DIETZE ?? Tobias Wolfanger ist der neue Chef der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n Region Saar. Hinter ihm stehen Schubladen­boxen mit den Tarifvertr­ägen der saarländis­chen Unternehme­n, farblich sortiert nach Branche.
FOTO: DIETZE Tobias Wolfanger ist der neue Chef der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n Region Saar. Hinter ihm stehen Schubladen­boxen mit den Tarifvertr­ägen der saarländis­chen Unternehme­n, farblich sortiert nach Branche.

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