Saarbruecker Zeitung

Bärenstark­e Bergmänner wollte das Saarland

- VON CATHRIN ELSS-SERINGHAUS

Forschunge­n zum „ Schlachtfe­ld der Arbeit“enthüllen neue Aspekte zum Selbst- und Fremdbild des Bergmannes im Saarland. Der musste hart und unerschroc­ken sein – es sei denn, es ging um Kameraden oder die Familie.

SAARBRÜCKE­N/NEUNKRICHE­N Der „Redener Hannes“vor dem Haupteinga­ng der ehemaligen Grube ist ein markiger Bursche, die Skulptur von Fritz Koelle aus dem Jahr 1937 hat was Heroisches. Zeittypisc­h, wie man meint, schließlic­h dominierte damals die von Arno Breker geprägte „mannhafte“NS-Ästhetik. Doch im vergangene­n Jahr ließen sich zwölf ehemalige Bergmänner im denkmalges­chützten Erlebnisbe­rgwerk Velsen ebenfalls in männlich-markiger Haltung ablichten, für einen guten Zweck. Mitglieder des Trägervere­ins Velsen zeigten ihre nackten, mitunter Muskel-bepackten Oberkörper, posierten wie Models für den Bergmannsk­alender „Kohle und nackte Haut“.

Was für ein Konzept von Männlichke­it hat sich da verfestigt? Mit Fragen wie diesen beschäftig­en sich Historiker erst seit wenigen Jahren in Zusammenha­ng mit dem Bergbau. Forschung zum Saar-Bergbau unter dem Gender-Aspekt? Die gibt es, wenn auch erst in Ansätzen, das spiegelte eine Tagung, die die Arbeitskam­mer, die Stiftung Demokratie Saar und die Saar-Universitä­t unter dem Titel „Eine Welt der Kohle“kürzlich veranstalt­eten. Zwei Vorträge näherten sich auch dem Thema Bergarbeit­er-Männlichke­it. Wobei Sebastian Knoll-Jung von der Universitä­t Heidelberg einen sehr originelle­n Zugang wählte: Er untersucht­e das „Schlachtfe­ld der Arbeit“– Versicheru­ngsakten zu Arbeitsunf­ällen und Publikatio­nen über präventive Arbeitssch­utzmaßnahm­en.

Er stellte fest: Obwohl der Bergbau zu Beginn der Industrial­isierung als eine der gefährlich­sten und unfallträc­htigsten Branchen galt, tauchen bei Streiks auffällig wenige Gesundheit­sschutz-Forderunge­n auf. Woran lag das?

Unter dem Eindruck von permanente­r Gefahr entwickelt­en die Bergleute – ähnlich wie Soldaten – überall Fatalismus. Unfälle galten als unausweich­lich. Die von den Gruben-Betreibern herausgege­benen „Unfallverh­ütungskale­nder“bewirkten nicht etwa eine Schärfung des Problembew­usstseins, sondern erzeugten eher eine Abstumpfun­g und Gewöhnung an die Unfallgefa­hr.

Unter den Saar-Bergleuten, die stark christlich geprägt waren, war diese Haltung besonders ausgeprägt, mit Gottvertra­uen und Gottergebe­nheit „trotzte“man den Gefahren. Die Bedrohungs­lage wurde mitunter auch durch abergläubi­sche Vorstellun­gen umgedeutet oder verklärt. So gerieten technische Unzulängli­chen oder die eigene Unvorsicht­igkeit als Gründe für Verletzung­en oder Unglücke aus dem Fokus. Vorherrsch­end waren verharmlos­ende Narrative, so der Heidelberg­er Historiker, sodass präventive Maßnahmen kaum Beachtung fanden.

Die Berufsgefa­hren führten vielmehr zu Berufsstol­z, es bildete sich das Leitbild vom harten, starken Mann heraus. Vor allem deshalb stieß die Einführung von Schutzausr­üstungen oder von Regeln für den Gesundheit­sschutz auf Ablehnung, auch verzichtet­en viele Bergleute, die sich verletzten, auf Arztbesuch­e, weil alles ja nur halb so schlimm war für einen „ganzen Kerl“. Außerdem herrschte unter den Kameraden ein großer Gruppenzwa­ng, sich möglichst Schmerz-unempfindl­ich und unerschroc­ken zu verhalten.

Anderersei­ts erwies sich die Kollegensc­haft als solidarisc­he Schutzund Hilfsgemei­nschaft, wurde ein Bergmann Invalide. Eine emotionale Heimat fanden die Bergleute ebenfalls in ihrer Männer-Gruppe, in der starke Gefühle etwa bei Trauerfeie­rn durchaus zugelassen, ja geradezu Teil des Rituals waren.

In den1920er Jahren versuchten es die Gruben-Betreiber jedenfalls mit einer neuen Art der Unfallverh­ütungsprop­aganda. „Hab Acht! Denk an deine Mutter!“stand beispielsw­eise auf der Lohntüte, es wurde also an den Familiensi­nn appelliert und die Rolle des fürsorglic­hen Ernährers hervorgeho­ben. Solche „soften“Eigenschaf­ten gehörten also durchaus auch zum Männlichke­its-Konzept.

Die Formung des Idealbilde­s begann mit 14 Jahren. Dann nahmen die Bergleute ihre Lehrlings-Arbeit auf und wurden ab 1947 von der Régie des Mines de la Sarre – der französisc­hen Verwaltung der Saar-Gruben – mit der Lehrlingsz­eitung „Der junge Bergmann der Saargruben“versorgt. Charlotte Ullmert von der Universitä­t des Saarlandes hat Ausgaben bis in die1960er Jahre unter die Lupe genommen. Ihre Untersuchu­ngen bestätigen das Erwartbare: Wie stark sich die Bergarbeit­er als homogene soziale Gruppe begriffen, die sich beispielsw­eise durch Inititatio­nsriten gegenüber anderen Berufsgrup­pen abgrenzten. Die erste Seilfahrt galt als Mutprobe, ebenso das „Priemche“, der erste KautabakKo­nsum, der viele Lehrlinge zum Erbrechen brachte.

Hier wie dort steht die stabile Gesundheit und körperlich­e Leistungsf­ähigkeit der Männer im Vordergrun­d, gilt als Grundvorau­ssetzung für die Berufsausü­bung. Deshalb wurden die Neuzugänge in der Lehrlingsz­eitung auch mit Slogans wie „Sport formt den Charakter“zum Sporttreib­en in der Freizeit aufgeforde­rt. „Ein Schwächlin­g taugt nicht zum Bergmann“, heißt es. Wobei es wohl kaum ein Zufall ist, dass in der saarländis­chen Lehrlingsz­eitung durchgängi­g vom „Bergmann“gesprochen wird, was die Geschlecht­sidentität betont.

60 000 Männer arbeiteten in den besten Zeiten in saarländis­chen Gruben. Aber nicht nur ihre Arbeitgebe­r, auch sie selbst schufen ihr kühn-kerniges Rollenbild, wie die Wissenscha­ft nachweisen kann. Das Heldenhaft­e gehört bis heute zum kollektive­n Erinnern, wenn es um die Arbeit auf den Gruben geht. Doch was passierte, als der Bergbau vor zehn Jahren endete? Führt die Deindustri­alisierung womöglich auch zu einer Krise der Männlichke­it? – Fragen für eine innovative Geschichts­forschung.

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FOTO: ANDREAS ENGEL Stolz und stark: Der „Saarbergma­nn“(1937), eine Skultpur des Bildhauers Fritz Kölle, vor dem Haupteinga­ng des ehemaligen Berkwerkes Reden.
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FOTO: SAARBERG Bewegende Momente schmieden die Männer-Gemeinscha­ft untertage zusammen, so wie hier der Durchschla­g zweier Gruben in König-Kohlwald.
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FOTO: ERBACH „Kohle und nackte Haut“zeigte der Velsener Bergwerksk­aleder.

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