Bärenstarke Bergmänner wollte das Saarland
Forschungen zum „ Schlachtfeld der Arbeit“enthüllen neue Aspekte zum Selbst- und Fremdbild des Bergmannes im Saarland. Der musste hart und unerschrocken sein – es sei denn, es ging um Kameraden oder die Familie.
SAARBRÜCKEN/NEUNKRICHEN Der „Redener Hannes“vor dem Haupteingang der ehemaligen Grube ist ein markiger Bursche, die Skulptur von Fritz Koelle aus dem Jahr 1937 hat was Heroisches. Zeittypisch, wie man meint, schließlich dominierte damals die von Arno Breker geprägte „mannhafte“NS-Ästhetik. Doch im vergangenen Jahr ließen sich zwölf ehemalige Bergmänner im denkmalgeschützten Erlebnisbergwerk Velsen ebenfalls in männlich-markiger Haltung ablichten, für einen guten Zweck. Mitglieder des Trägervereins Velsen zeigten ihre nackten, mitunter Muskel-bepackten Oberkörper, posierten wie Models für den Bergmannskalender „Kohle und nackte Haut“.
Was für ein Konzept von Männlichkeit hat sich da verfestigt? Mit Fragen wie diesen beschäftigen sich Historiker erst seit wenigen Jahren in Zusammenhang mit dem Bergbau. Forschung zum Saar-Bergbau unter dem Gender-Aspekt? Die gibt es, wenn auch erst in Ansätzen, das spiegelte eine Tagung, die die Arbeitskammer, die Stiftung Demokratie Saar und die Saar-Universität unter dem Titel „Eine Welt der Kohle“kürzlich veranstalteten. Zwei Vorträge näherten sich auch dem Thema Bergarbeiter-Männlichkeit. Wobei Sebastian Knoll-Jung von der Universität Heidelberg einen sehr originellen Zugang wählte: Er untersuchte das „Schlachtfeld der Arbeit“– Versicherungsakten zu Arbeitsunfällen und Publikationen über präventive Arbeitsschutzmaßnahmen.
Er stellte fest: Obwohl der Bergbau zu Beginn der Industrialisierung als eine der gefährlichsten und unfallträchtigsten Branchen galt, tauchen bei Streiks auffällig wenige Gesundheitsschutz-Forderungen auf. Woran lag das?
Unter dem Eindruck von permanenter Gefahr entwickelten die Bergleute – ähnlich wie Soldaten – überall Fatalismus. Unfälle galten als unausweichlich. Die von den Gruben-Betreibern herausgegebenen „Unfallverhütungskalender“bewirkten nicht etwa eine Schärfung des Problembewusstseins, sondern erzeugten eher eine Abstumpfung und Gewöhnung an die Unfallgefahr.
Unter den Saar-Bergleuten, die stark christlich geprägt waren, war diese Haltung besonders ausgeprägt, mit Gottvertrauen und Gottergebenheit „trotzte“man den Gefahren. Die Bedrohungslage wurde mitunter auch durch abergläubische Vorstellungen umgedeutet oder verklärt. So gerieten technische Unzulänglichen oder die eigene Unvorsichtigkeit als Gründe für Verletzungen oder Unglücke aus dem Fokus. Vorherrschend waren verharmlosende Narrative, so der Heidelberger Historiker, sodass präventive Maßnahmen kaum Beachtung fanden.
Die Berufsgefahren führten vielmehr zu Berufsstolz, es bildete sich das Leitbild vom harten, starken Mann heraus. Vor allem deshalb stieß die Einführung von Schutzausrüstungen oder von Regeln für den Gesundheitsschutz auf Ablehnung, auch verzichteten viele Bergleute, die sich verletzten, auf Arztbesuche, weil alles ja nur halb so schlimm war für einen „ganzen Kerl“. Außerdem herrschte unter den Kameraden ein großer Gruppenzwang, sich möglichst Schmerz-unempfindlich und unerschrocken zu verhalten.
Andererseits erwies sich die Kollegenschaft als solidarische Schutzund Hilfsgemeinschaft, wurde ein Bergmann Invalide. Eine emotionale Heimat fanden die Bergleute ebenfalls in ihrer Männer-Gruppe, in der starke Gefühle etwa bei Trauerfeiern durchaus zugelassen, ja geradezu Teil des Rituals waren.
In den1920er Jahren versuchten es die Gruben-Betreiber jedenfalls mit einer neuen Art der Unfallverhütungspropaganda. „Hab Acht! Denk an deine Mutter!“stand beispielsweise auf der Lohntüte, es wurde also an den Familiensinn appelliert und die Rolle des fürsorglichen Ernährers hervorgehoben. Solche „soften“Eigenschaften gehörten also durchaus auch zum Männlichkeits-Konzept.
Die Formung des Idealbildes begann mit 14 Jahren. Dann nahmen die Bergleute ihre Lehrlings-Arbeit auf und wurden ab 1947 von der Régie des Mines de la Sarre – der französischen Verwaltung der Saar-Gruben – mit der Lehrlingszeitung „Der junge Bergmann der Saargruben“versorgt. Charlotte Ullmert von der Universität des Saarlandes hat Ausgaben bis in die1960er Jahre unter die Lupe genommen. Ihre Untersuchungen bestätigen das Erwartbare: Wie stark sich die Bergarbeiter als homogene soziale Gruppe begriffen, die sich beispielsweise durch Inititationsriten gegenüber anderen Berufsgruppen abgrenzten. Die erste Seilfahrt galt als Mutprobe, ebenso das „Priemche“, der erste KautabakKonsum, der viele Lehrlinge zum Erbrechen brachte.
Hier wie dort steht die stabile Gesundheit und körperliche Leistungsfähigkeit der Männer im Vordergrund, gilt als Grundvoraussetzung für die Berufsausübung. Deshalb wurden die Neuzugänge in der Lehrlingszeitung auch mit Slogans wie „Sport formt den Charakter“zum Sporttreiben in der Freizeit aufgefordert. „Ein Schwächling taugt nicht zum Bergmann“, heißt es. Wobei es wohl kaum ein Zufall ist, dass in der saarländischen Lehrlingszeitung durchgängig vom „Bergmann“gesprochen wird, was die Geschlechtsidentität betont.
60 000 Männer arbeiteten in den besten Zeiten in saarländischen Gruben. Aber nicht nur ihre Arbeitgeber, auch sie selbst schufen ihr kühn-kerniges Rollenbild, wie die Wissenschaft nachweisen kann. Das Heldenhafte gehört bis heute zum kollektiven Erinnern, wenn es um die Arbeit auf den Gruben geht. Doch was passierte, als der Bergbau vor zehn Jahren endete? Führt die Deindustrialisierung womöglich auch zu einer Krise der Männlichkeit? – Fragen für eine innovative Geschichtsforschung.