Anker lichten und Segel setzen
Die Sea Cloud Spirit kreuzt zwischen den Kanarischen Inseln. Neben dem Segelerlebnis erfahren Mitreisende viel über die Eilande.
MASPALOMAS Der letzte Knoten sperrt sich etwas. Nochmals kurz an der Schnur gezogen: Das eingerollte Segel ist jetzt frei. Beinahe synchron verlaufen die Arbeiten an den drei Masten des Großseglers. Mit Karabinern und Gurten gut gesichert, verrichten Matrosen und Matrosinnen ihre Arbeit in luftiger Höhe. Dazu gehören nicht nur Sportlichkeit, sondern auch eine große Portion Mut. Nicht jedem behagt es in nahezu 60 Metern über der Wasserlinie 28 Segel zu hissen beziehungsweise wieder einzuholen.
Der Windjammer Sea Cloud Spirit hat den Hafen von Gran Canaria verlassen und nimmt Kurs auf La Palma. Sie ist die nordwestlichste aller kanarischen Inseln im Atlantik. Wie alle anderen der Inselgruppe ist sie vulkanischen Ursprungs.
Noch vor wenigen Monaten Schauspiel für Touristen, atmen die Einheimischen wieder auf. Der Vulkan Cumbre Vieja hat seinen mehrwöchigen Ausbruch eingestellt. Verlorene Häuser und zerstörte Ernten werden die Menschen auf der Insel noch lange beschäftigen.
„Haben Sie eine Genehmigung für den Nationalpark?“Streng kontrolliert wird der Besuch des Nationalparks Caldera de Taburiente. Eine andere Welt empfängt die Besucher in etwa 1000 Meter Höhe. Weit ausladende Kiefern säumen die abenteuerliche Straße. Manche weisen schwarze Stellen am Stamm auf, Hinterlassenschaften vergangener Waldbrände. Doch schon nach kurzer Zeit sprießt aus den Narben
frisches Grün. Einige Wanderwege sind gesperrt. Ständige leichte Erdbeben lösen immer wieder Erdrutsche aus. Geologisch ist La Palma die jüngste Insel der Kanaren. Und mit 40 Prozent Wald auch eine der grünsten.
Waberten vor wenigen Minuten noch Nebelschwaden durch das grüne Dickicht, bringen aufkommende Sonnenstrahlen abertausende Tautropfen an Spinnweben zum Glitzern. Etwa im Inselinnern von La Gomera befindet sich der Nationalpark Garajonay, mit moosbewachsenen Lorbeerbäumen und anderen feuchtigkeitsliebenden
Pflanzen. Seinen Namen verdankt er dem 1487 Meter hohen Garajonay. Gegensätzlich dazu die im Süden liegende Hauptstadt San Sebastián. Sie ist von einer wüstenähnlichen Landschaft umgeben.
Das Wetter ändert sich. Bedrohliche Wolken ziehen auf. Die Windstärke nimmt zu. Der Kapitän der Sea Cloud Spirit entscheidet, dass im geschützten Hafen übernachtet wird. Das Meer hat sich noch nicht völlig beruhigt, als am nächsten Morgen die Fahrt fortgesetzt wird. Teneriffa, mit dem höchsten Berg Spaniens, ist wohl die am meisten besuchte Insel. Mit Blick auf Bettenburgen und andere Bausünden lässt sich das auch nicht verleugnen. Bei einem Ausflug auf die Hochebene, rund um den 3715 Meter hohen Pico del Teide, bleiben Hotels und Geschäfte bald zurück. „Seht ihr die Terrassen dort am Hang? Nur so konnten Bauern dem steilen Gelände Anbaufläche abringen.“Der Reiseleiter zeigt auf unzählige Treppenstufen, die sich den Hang entlang ziehen. Nur noch wenige werden für den Anbau von Gemüse genutzt. Die Natur nimmt sie wieder in Besitz. Kakteen und Agaven mit zum Himmel strebenden Blüten, hin und wieder ein Busch: Taginasten und
Aloepflanzen, mit ihrem heilsamen Blättersaft; aber auch rot leuchtende Weihnachtssterne. Eng ist die Straße hinauf ins Gebirge, doch verkehrsarm. Dann taucht der Bus bei etwa 1000 Metern Höhe in dichte Nebelschwaden. „Jetzt habt ihr zwar keine Aussicht mehr, aber die Feuchtigkeit dieser Passatwolken ist unglaublich wichtig für die Pflanzen.“
Oben auf etwa 2000 Metern Höhe angekommen ist der Himmel klar. „Ich glaube nicht, dass heute die Seilbahn fährt, es ist viel zu windig.“Im Restaurant am Parque National del Teide herrscht emsiges Treiben. Zurückkehrende Bergsteiger genießen einen kühlen Drink. Bizarre Felsformationen prägen die Landschaft der Cañadas, der Caldera eines einstigen Vulkans.
Das Meer hat sich beruhigt. Leichter Wind kommt auf. Da heißt es: Segel hissen. Fast lautlos gleitet das Schiff durchs Wasser Richtung Lanzarote. Jeder verbringt an Deck die Überfahrt auf seine Weise: mit einem Buch, beim Fotografieren oder einfach diese besonderen Momente genießend. Weiße Häuser auf der Insel bilden einen schönen Kontrast zu der weitgehend schwarzen Umgebung aus Vulkangestein. Nur wenige sind höher als zwei Stockwerke. Diese Einheitlichkeit, und die dadurch vermiedenen architektonischen Auswüchse wie auf anderen Inseln, sind einem ehemaligen Inselbewohner zu verdanken: César Manrique. Eine schillernde Künstlerpersönlichkeit, dessen Werke und Philosophie auch heute noch auf dem ganzen Eiland zu spüren sind.
Lanzarotes Topografie geht auf eine lange Geschichte aktiven Vulkanismus‘ zurück. Der letzte Ausbruch geschah im 19. Jahrhundert. Jederzeit könnte die dünne Erdkruste wieder dem Druck aus dem Erdinnern nachgeben.
Unterwegs mit einem Shuttle-Bus im Nationalpark Timanfaya, erlebt der Besucher eine wahre Farborgie von unterschiedlichen Rot- und Ockertönen. Kaum verwittert sind die Folgen der letzten Vulkanausbrüche. Dazu braucht es wohl noch ein paar 100 Jahre.