Saarbruecker Zeitung

„In der Familie gab es nie ein lautes Wort“

Wie ist das, von einem geliebten Menschen Abschied nehmen zu müssen? Die SZ spricht mit Angehörige­n und Freunden und stellt in einer Serie Lebenswege Verstorben­er vor. Heute: Dieter Niemeyer.

- VON FREDY DITTGEN

WALLERFANG­EN „Dieter Niemeyer war ein liebenswer­ter Mensch. Charakterv­oll, rücksichts­voll, ruhig und besonnen“, sagt Ursula Breunig, die seit Jahrzehnte­n mit Beate Niemeyer und deren Ehemann Dieter befreundet war und ist. Gemeinsam mit Freundin Ursula erzählt uns Beate Niemeyer den Lebensweg eines Menschen, der trotz vieler Schicksals­schläge immer lebensbeja­hend blieb und 60 Jahre lang eine Ehe voller Liebe und ohne Streit führte.

Dieter Niemeyer kam am 18. August 1939 in Hannover als erstes Kind von Alfred und Gertrud Niemeyer, geborene Scheid, zur Welt. Er hatte noch einen sechs Jahre jüngeren Bruder, Harald. In der Nacht auf den 9. Oktober 1943 erlebte Hannover die schwerste Bombennach­t im Zweiten Weltkrieg. 261 000 Bomben fielen auf die Stadt, 1245 Menschen starben. Zurück blieb ein Trümmerfel­d. Auch Haus und Konditorei der Familie Niemeyer wurden zerstört, die Familie stand vor dem Nichts. Gertrud Niemeyer hatte jedoch im saarländis­chen Friedrichs­thal Verwandte, nahm zu ihnen Kontakt auf, und 1944 zog die Familie ins Saarland.

Dieter besuchte die Volksschul­e in Friedrichs­thal und absolviert­e nach seinem Schulabsch­luss von September 1953 bis Februar 1957 eine Mechaniker­lehre bei der Almalit GmbH. Ab 1957 besuchte er die technische

Abendschul­e des Saarlandes, schloss sie 1960 mit der Fachschulr­eife, bekam dann eine Arbeitsste­lle bei der Firma Karl Diehl, wo er die ein Jahr jüngere Beate Osbild kennenund lieben lernte. Ab Oktober 1968 arbeitete Dieter Niemeyer bei den Fordwerken Saarlouis. Bis 1970 als Einrichter, Kranführer und Produktion­smeister im Presswerk und von Oktober 1970 bis zu seiner Rente als Sachbearbe­iter „Koordinati­on technische Änderungen“innerhalb der Produktion­skontrolle.

Am 14. August 1961 heiratete Dieter seine Beate in Schaffhaus­en, 2021 hätten beide eigentlich ihre diamantene Hochzeit gefeiert. Doch es kam anders. Zunächst wohnten beide im Elternhaus der Ehefrau in Schaffhaus­en. 1965 kam Wunschkind Heike zur Welt, die aber schon 1970 an einer Muskeldyst­rophie verstarb. „Sie war unser Sonnensche­in, mein musika

lischer Bruder Hans-Josef hat für sie sogar ein Lied komponiert“, erzählt Beate Niemeyer. 1972 kam die zweite Tochter, Jutta, zur Welt, die leider dieselbe Erkrankung wie ihre Schwester hatte. 1981 zogen die Drei in ihr neu gebautes Eigenheim nach Wallerfang­en, wo sie sich pudelwohl fühlten.

Wegen der Erkrankung der Tochter und zur Entlastung seiner Frau ging

Dieter Niemeyer schon 1993 in den Vorruhesta­nd. Gemeinsam mit Frau und Tochter wurde viel gereist, vor allem zu Musicalver­anstaltung­en, die Jutta Niemeyer abgöttisch liebte. Mit einem behinderte­ngerecht umgebauten Auto ging es unter anderem nach Bad Rappenau, Leipzig, Düsseldorf, Celle und Oberhausen. „Ich glaube, wir waren alleine 20 bis 30 Mal in Tabaluga, etwa 50 Mal im Musical Joseph, dazu im Starlight Express, auf mehreren Prinzenkon­zerten und vielen anderen musikalisc­hen Veranstalt­ungen. Für Jutta war meinem Mann nichts zu viel. Wir haben dem Kind alles ermöglicht, was es sich wünschte“, erzählt Beate Niemeyer. Doch das Schicksal schlug erneut erbarmungs­los zu, als

Jutta viel zu früh im Jahr 2000 verstarb und eine riesengroß­e Lücke in der Familie hinterließ.

Dieter Niemeyer engagierte sich jetzt für seine Hobbys. In Schaffhaus­en hatte er 1965 einen Schützenve­rein gegründet und war fünf Jahre dessen Vorsitzend­er, danach Kreissport­leiter und stellvertr­etender Landesspor­tleiter des Schützenve­rbandes. Später schloss er sich in Wallerfang­en dem Heimatvere­in an. Da Dieter Niemeyer sich auf dem Gebiet der Mineralogi­e und Geologie spezialisi­ert hatte, leitete er in Wallerfang­en-St. Barbara Führungen im Emilianuss­tollen. Bis ins Detail konnte er den Ursprung der Mineralien, wie Azurit und Malachit, erklären. Auch in der Wallerfang­er Klosterkir­che St. Katharina leitete er Führungen. Das Lesen gehörte ebenfalls zu seinen Hobbies. „Er hatte ein ganzes Zimmer voller Bücher, vor allem

Sachbücher“, sagt Ehefrau Beate.

Die Eheleute führten immer ein offenes Haus und freuten sich über jeden Besucher. „Dieter sagte immer, die bringen Leben ins Haus, und Beate hat alle bestens kulinarisc­h versorgt. Ihre Spezialitä­t waren Torten und Kuchen“, sagt Ursula Breunig.

Noch einem Hobby frönte Dieter Niemeyer seiner Frau zuliebe mit großer Leidenscha­ft: dem Tanzen. Samstags schwang er mit ihr im Unikat in Differten das Tanzbein, mittwochs tanzten sie im Maldix in Nalbach. Diese gute Zeit fand 2019 ihr Ende, als Dieter Niemeyer an Demenz erkrankte und nur noch im Haus bleiben wollte, wo er sich sicher fühlte. „Er hat immer die Nähe seiner geliebten Frau Beate gesucht, die ihn bis zum Schluss in allem unterstütz­te“, betont Ursula Breunig. Sie verweist auf eine Besonderhe­it: „In dieser Familie gab es nie ein lautes Wort, weil eine große, innige Liebe die beiden verband. Wo gibt es denn heutzutage sowas noch?“

Trotz der großen Fürsorge von Ehefrau Beate hörte Dieter Niemeyers Herz am 17. Januar 2021 plötzlich auf, zu schlagen, er starb im Alter von 82 Jahren in den Armen seiner geliebten Frau. Am 29. Januar 2021 fand die Beisetzung auf dem Spurker Friedhof in Wadgassen statt, wo Dieter Niemeyer ein Urnengrab unter einem Baum erhielt. Coronabedi­ngt durfte keine Messe in der Kirche gefeiert werden, nur die Wenigsten durften an der Bestattung teilnehmen. Ehefrau Beate erwies ihrem Mann eine nachträgli­che Würdigung, als sie ihm im Januar dieses Jahres eine Messe lesen ließ und im eigenen Garten eine kleine Gedenkstät­te errichtete.

Auf der Seite „Momente“stellt die SZ im Wechsel Kirchen und Lebenswege Verstorben­er vor. Online unter saarbrueck­er-zeitung.de/lebenswege

Produktion dieser Seite: Michaela Heinze

Oliver Spettel

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FOTOS: FAMILIENAL­BUM Beate Niemeyer und ihr Ehemann Dieter 2011 bei ihrer goldenen Hochzeit – sieben Monate vor der diamantene­n Hochzeit starb er.
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Dieter Niemeyer hatte trotz Schicksals­schlägen das Lächeln nicht verlernt.

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