Saarbruecker Zeitung

„Es muss ein Ruck durch alle politische­n Ebenen gehen“

Der SPD-Vorsitzend­e spricht über die deutsche Einheit und wie die Regierung den Sorgen im Land begegnen will.

- Martin Wittenmeie­r Vincent Bauer DIE FRAGEN STELLTE KERSTIN MÜNSTERMAN­N.

BERLIN Der SPD-Vorsitzend­e Lars Klingbeil ist gerade viel unterwegs im Land. Dabei begegnet er auch zunehmende­m Unmut über die Regierung. Nun hofft er, dass das 200-Milliarden-Paket die erhoffte Wirkung entfaltet – und setzt vor der Ministerpr­äsidentenk­onferenz auf überpartei­liche Lösungen.

Herr Klingbeil, wir begehen den

Tag der Deutschen Einheit. Wie steht es Ihrer Einschätzu­ng nach um die Einheit im Land? KLINGBEIL Was die Ost-West-Frage betrifft, sind wir vorangekom­men. Wir haben eine stärkere Deutsche Einheit als es etwa vor zehn Jahren noch der Fall war. Der Osten ist attraktiv, das zeigen die Industriea­nsiedlunge­n von Intel und Tesla. Und auch zu Recht deutlich selbstbewu­sster. Aber unser Land befindet sich gerade insgesamt in einer Zeit der starken Polarisier­ung. Zwei Jahre Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekri­se, die Klimakrise

– das macht was mit den Menschen.

Es brodelt, immer stärker auch montags auf den Straßen, gerade noch beschränkt auf Ostdeutsch­land. Die Menschen treiben auch ihre Sorgen auf die Straße. KLINGBEIL Bei diesen Protesten muss man sehr genau trennen. Es gibt viele, die haben große Sorgen, wie sie bei den massiven Preissteig­erungen über die Runden kommen sollen. Das nehme ich sehr ernst. Um diejenigen muss Politik sich kümmern und das tun wir. Wir haben drei Entlastung­spakete geschnürt, wir erhöhen in diesem Monat den Mindestloh­n auf zwölf Euro, davon profitiere­n viele Millionen Menschen vor allem im Osten, wir nehmen 200 Milliarden Euro in die Hand, um die Energiepre­ise deutlich zu senken. Aber es gibt eben unter den Protestler­n auch solche, die schon gegen Flüchtling­e, gegen Corona-Maßnahmen, für Russland unterwegs waren und jetzt versuchen, die berechtigt­en Sorgen zu instrument­alisieren und unser Land zu spalten. Das dürfen wir nicht zulassen. Das ist auch keine Frage von Ost/West.

An diesem Dienstag treffen sich Bund und Länder. Die Länder haben bei ihrer letzten Zusammenku­nft eine Liste von finanziell­en Wünschen an den Bund gerichtet. Was ist Ihre Botschaft an die Ministerpr­äsidentenk­onferenz? KLINGBEIL Ich habe in den letzten Tagen immer wieder gesagt, es muss jetzt ein Ruck durch alle politische­n Ebenen gehen. Es muss Schluss sein mit dem Klein-Klein, mit Streit und mit Blockaden. Diesen Ruck spüren wir jetzt mit dem 200-Milliarden­Euro-Paket, mit der Strom- und Gaspreisbr­emse. Die Ampel hat geliefert. Und ich erwarte, dass jetzt auch die Konservati­ven auf Ländereben­e diesen Ruck nicht ausbremsen. Am Ende geht es doch darum, dass wir uns alle der Wucht der Krise bewusst sind, zusammenst­ehen und gemeinsam unser Land durch diese Zeit bringen.

Die Länder beklagen unter anderem, dass mit ihnen nicht vorab gesprochen wurde…

KLINGBEIL Es gibt nicht „die Länder“. Es gibt konservati­ve Ministerpr­äsidenten wie Markus Söder oder Hendrik Wüst, die lehnen sich gerade nur zurück und zeigen mit dem Finger auf den Bund. Damit offenbaren sie, dass sie als Landesvate­r der Krise nicht gewachsen sind. Während Stephan Weil in Niedersach­sen gerade eigene Milliarden für Entlastung­en in die Hand nimmt und sehr schnell große LNG-Terminals für die Energiever­sorgung in ganz Deutschlan­d bauen lässt, passiert in Bayern sehr wenig. Das wird einem Land wie Bayern, das eigentlich wirtschaft­lich stark ist, auf die Füße fallen, wenn der eigene Ministerpr­äsident die Arbeit verweigert und nur bockig auf die Ampel im Bund zeigt.

Muss Bundeskanz­ler Olaf Scholz da ein Machtwort sprechen?

KLINGBEIL Das 200-Milliarden­Euro-Paket der Bundesregi­erung unter Führung von Olaf Scholz ist ein Durchbruch. Ein Machtwort, wenn Sie so wollen. Es ist das klare Zeichen: Diese Regierung wird alles tun, was notwendig ist, um die Preise wieder runter zu bekommen und Arbeitsplä­tze zu sichern. Von dieser gigantisch­en Summe werden alle profitiere­n: Familien, Studierend­e, Rentnerinn­en und Rentner genauso wie kleine und große Unternehme­n. Und es wird helfen, unser Land durch eine schwierige Zeit zu bringen. Denn vor uns liegt ein Winter, der für sehr viele Menschen herausford­ernd werden kann. Die Gaspreisbr­emse und die Strompreis­bremse sind für mich der richtige Schritt. Es muss nun schnell ein konkretes Modell für den Eingriff in den Gasmarkt her. Die finanziell­en

Mittel stehen jetzt umfassend bereit.

Mit Blick auf den russischen Krieg in der Ukraine, der Auslöser für die meisten Probleme ist: Die USA haben gerade neue Hilfen angekündig­t für die Ukraine. Muss Deutschlan­d noch mehr machen, mit Blick auf Kampfpanze­r etwa?

KLINGBEIL Deutschlan­d hat sich von Tag eins an die Seite der Ukraine gestellt und die jahrzehnte­lange Zurückhalt­ung etwa bei Waffenlief­erungen aufgegeben. Wir sind heute der drittgrößt­e Waffenlief­erant in die Ukraine. Unsere Waffen, die wir liefern, leisten einen Beitrag zum militärisc­hen Erfolg der Ukraine und setzen Russlands Präsident Wladimir Putin unter Druck. Über den Ringtausch ermögliche­n wir die Lieferung von über 100 Kampf- und Schützenpa­nzer osteuropäi­scher Bauart an die Ukraine. Diesen Weg müssen wir auch unbedingt weitergehe­n, wir dürfen uns an keiner Stelle von Putin unter Druck setzen lassen.

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FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Lars Klingbeil ist Vorsitzend­er der SPD.

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