„Es muss ein Ruck durch alle politischen Ebenen gehen“
Der SPD-Vorsitzende spricht über die deutsche Einheit und wie die Regierung den Sorgen im Land begegnen will.
BERLIN Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil ist gerade viel unterwegs im Land. Dabei begegnet er auch zunehmendem Unmut über die Regierung. Nun hofft er, dass das 200-Milliarden-Paket die erhoffte Wirkung entfaltet – und setzt vor der Ministerpräsidentenkonferenz auf überparteiliche Lösungen.
Herr Klingbeil, wir begehen den
Tag der Deutschen Einheit. Wie steht es Ihrer Einschätzung nach um die Einheit im Land? KLINGBEIL Was die Ost-West-Frage betrifft, sind wir vorangekommen. Wir haben eine stärkere Deutsche Einheit als es etwa vor zehn Jahren noch der Fall war. Der Osten ist attraktiv, das zeigen die Industrieansiedlungen von Intel und Tesla. Und auch zu Recht deutlich selbstbewusster. Aber unser Land befindet sich gerade insgesamt in einer Zeit der starken Polarisierung. Zwei Jahre Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, die Klimakrise
– das macht was mit den Menschen.
Es brodelt, immer stärker auch montags auf den Straßen, gerade noch beschränkt auf Ostdeutschland. Die Menschen treiben auch ihre Sorgen auf die Straße. KLINGBEIL Bei diesen Protesten muss man sehr genau trennen. Es gibt viele, die haben große Sorgen, wie sie bei den massiven Preissteigerungen über die Runden kommen sollen. Das nehme ich sehr ernst. Um diejenigen muss Politik sich kümmern und das tun wir. Wir haben drei Entlastungspakete geschnürt, wir erhöhen in diesem Monat den Mindestlohn auf zwölf Euro, davon profitieren viele Millionen Menschen vor allem im Osten, wir nehmen 200 Milliarden Euro in die Hand, um die Energiepreise deutlich zu senken. Aber es gibt eben unter den Protestlern auch solche, die schon gegen Flüchtlinge, gegen Corona-Maßnahmen, für Russland unterwegs waren und jetzt versuchen, die berechtigten Sorgen zu instrumentalisieren und unser Land zu spalten. Das dürfen wir nicht zulassen. Das ist auch keine Frage von Ost/West.
An diesem Dienstag treffen sich Bund und Länder. Die Länder haben bei ihrer letzten Zusammenkunft eine Liste von finanziellen Wünschen an den Bund gerichtet. Was ist Ihre Botschaft an die Ministerpräsidentenkonferenz? KLINGBEIL Ich habe in den letzten Tagen immer wieder gesagt, es muss jetzt ein Ruck durch alle politischen Ebenen gehen. Es muss Schluss sein mit dem Klein-Klein, mit Streit und mit Blockaden. Diesen Ruck spüren wir jetzt mit dem 200-MilliardenEuro-Paket, mit der Strom- und Gaspreisbremse. Die Ampel hat geliefert. Und ich erwarte, dass jetzt auch die Konservativen auf Länderebene diesen Ruck nicht ausbremsen. Am Ende geht es doch darum, dass wir uns alle der Wucht der Krise bewusst sind, zusammenstehen und gemeinsam unser Land durch diese Zeit bringen.
Die Länder beklagen unter anderem, dass mit ihnen nicht vorab gesprochen wurde…
KLINGBEIL Es gibt nicht „die Länder“. Es gibt konservative Ministerpräsidenten wie Markus Söder oder Hendrik Wüst, die lehnen sich gerade nur zurück und zeigen mit dem Finger auf den Bund. Damit offenbaren sie, dass sie als Landesvater der Krise nicht gewachsen sind. Während Stephan Weil in Niedersachsen gerade eigene Milliarden für Entlastungen in die Hand nimmt und sehr schnell große LNG-Terminals für die Energieversorgung in ganz Deutschland bauen lässt, passiert in Bayern sehr wenig. Das wird einem Land wie Bayern, das eigentlich wirtschaftlich stark ist, auf die Füße fallen, wenn der eigene Ministerpräsident die Arbeit verweigert und nur bockig auf die Ampel im Bund zeigt.
Muss Bundeskanzler Olaf Scholz da ein Machtwort sprechen?
KLINGBEIL Das 200-MilliardenEuro-Paket der Bundesregierung unter Führung von Olaf Scholz ist ein Durchbruch. Ein Machtwort, wenn Sie so wollen. Es ist das klare Zeichen: Diese Regierung wird alles tun, was notwendig ist, um die Preise wieder runter zu bekommen und Arbeitsplätze zu sichern. Von dieser gigantischen Summe werden alle profitieren: Familien, Studierende, Rentnerinnen und Rentner genauso wie kleine und große Unternehmen. Und es wird helfen, unser Land durch eine schwierige Zeit zu bringen. Denn vor uns liegt ein Winter, der für sehr viele Menschen herausfordernd werden kann. Die Gaspreisbremse und die Strompreisbremse sind für mich der richtige Schritt. Es muss nun schnell ein konkretes Modell für den Eingriff in den Gasmarkt her. Die finanziellen
Mittel stehen jetzt umfassend bereit.
Mit Blick auf den russischen Krieg in der Ukraine, der Auslöser für die meisten Probleme ist: Die USA haben gerade neue Hilfen angekündigt für die Ukraine. Muss Deutschland noch mehr machen, mit Blick auf Kampfpanzer etwa?
KLINGBEIL Deutschland hat sich von Tag eins an die Seite der Ukraine gestellt und die jahrzehntelange Zurückhaltung etwa bei Waffenlieferungen aufgegeben. Wir sind heute der drittgrößte Waffenlieferant in die Ukraine. Unsere Waffen, die wir liefern, leisten einen Beitrag zum militärischen Erfolg der Ukraine und setzen Russlands Präsident Wladimir Putin unter Druck. Über den Ringtausch ermöglichen wir die Lieferung von über 100 Kampf- und Schützenpanzer osteuropäischer Bauart an die Ukraine. Diesen Weg müssen wir auch unbedingt weitergehen, wir dürfen uns an keiner Stelle von Putin unter Druck setzen lassen.
Produktion dieser Seite: