Michael Sen startet als Chef von Fresenius
BAD HOMBURG (dpa) Er kann sich an der Spitze von Fresenius beweisen: Michael Sen (53) soll den Gesundheitskonzern und größten privaten Krankenhausbetreiber Deutschlands aus der Dauerkrise führen. Nach Gewinnwarnungen, einem Verfall des Börsenwertes von Fresenius und der Dialysetochter Fresenius Medical Care (FMC) mit Werk in St. Wendel sowie langen Debatten über die Konzernstrategie steht er vor enormen Aufgaben. Auch bei FMC folgt mit Carla Kriwet eine neue Chefin, so dass mit Beginn des Oktober eine Doppelspitze bei dem Bad Homburger Konzern am Start ist.
Sens Berufung kam nicht überraschend, sondern eher der Zeitpunkt: Schon bei seinem Antritt als Vorstand der Flüssigmedizinsparte Fresenius Kabi im April 2021 wurde er als Nachfolger des glücklosen
Vorstandschefs Stephan Sturm gehandelt. Sen ist ein ausgewiesener Finanzexperte und war schon öfter der Mann für die großen Deals. Als Finanzvorstand von Eon 2016 war er für die Abspaltung der Kraftwerkssparte Uniper mitverantwortlich.
Bei Siemens verantwortete er 2018 den Börsengang der Medizintechniktochter Healthineers. Dabei wurden ihm immer wieder Ambitionen für Größeres nachgesagt.
Fresenius mit mehr als 300 000 Beschäftigten weltweit und über 37 Milliarden Euro Umsatz aus der Krise zu führen, wird Sens bisher größte Aufgabe. Ehrgeiz bringt er mit: Bei Siemens stieg der Sohn indischer Einwanderer nach einer Lehre zum Industriekaufmann und späterem BWL-Studium bis in den Vorstand auf. Mit dem Healthineers-Börsengang gab es Spekulationen, er könnte ein Kandidat für die Nachfolge des damaligen Siemens-Chefs Joe Kaeser sein. Doch später kam es offenbar zum Zerwürfnis. Sen warf hin. Fresenius kommt nun seine Erfahrung mit Transformationen gelegen. Schon Vorgänger Sturm stieß eine unglücklich verlaufene
Debatte über die Aufstellung von Fresenius an.
So betonte er die Vorteile eines breiten Konzerns, doch läutete er zugleich die Suche nach Investoren für eine Beteiligung an der Kliniktochter Helios ein und schloss auch einen Helios-Börsengang nicht aus.
Sen, der eloquent, aber zurückhaltend auftritt, genießt an der Börse einen guten Ruf. „Er weiß, wie der Kapitalmarkt tickt und ist in der Kommunikation sicher sehr gut“, sagt Ingo Speich, Nachhaltigkeitschef der Fondsgesellschaft Deka. Neu für ihn sei aber die Rolle als Vorstandschef. „Sen muss zeigen, dass er ein Unternehmen prägen kann.“Er müsse eine Strategie gestalten und umsetzen können und dabei die Prognosen von Fresenius verlässlich machen, meint Speich. Eine Bürde sei die hohe Verschuldung, während der Aktienkurs mit zuletzt einem Zehn-Jahres-Tief eine dankbare Ausgangsbasis sei.
An Sens Seite startet zeitgleich bei FMC Carla Kriwet (51), die zuletzt Chefin der Bosch-Tochter BSH Hausgeräte war. Sie folgt auf den langjährigen FMC-Chef Rice Powell, der in Rente geht. Die promovierte Betriebswirtin, die in Essen geboren wurde, stammt aus einer Managerfamilie. Ihr Vater Heinz Kriwet war langjähriger Vorstandschef des Stahlkonzerns Thyssen. „Übermäßiger Respekt vor wichtigen Managern wurde mir nicht gerade in die Wiege gelegt“, sagte Kriwet einmal der Süddeutschen Zeitung.
Kriwet, die als durchsetzungsstark bekannt ist, gilt als Wunschkandidatin Sturms. Er lobte sie als erfahren und empathisch sowie ihre Fähigkeiten für Transformationen und Umstrukturierungen. Diese wird Kriwet brauchen. FMC leidet darunter, dass immer noch viele chronisch Nierenkranke am Coronavirus sterben. Im vergangenen Jahr brach der Gewinn ein. Die Prognose für dieses Jahr musste FMC unter anderem wegen Personalmangels in den USA senken. Zugleich lässt die Verschuldung des Fresenius-Konzerns wenig Spielraum für größere Übernahmen. Die Startbedingungen für Kriwet könnten angenehmer sein.
Die Managerin, die sich als Vorstand der Hilfsorganisation „Save the Children“in der Entwicklungshilfe engagierte, hat sich nach Stationen beim Industriegasspezialisten Linde, dem Medizintechnikkonzern Dräger und dem niederländischen Gesundheitsunternehmen Philips einen guten Ruf erworben. Bei FMC landet Kriwet nun in der obersten Börsenliga auf dem Chefposten – mit der Chance und Bürde, sich bei einem Sanierungsfall zu beweisen.