Saarbruecker Zeitung

Gäste und Musiker feiern Café Zing und trauern

Das Café Zing am Rande des Nauwieser Viertels in Saarbrücke­n muss schließen. Viele treue Gäste und bekannte Kulturscha­ffende kamen zur großen „ Abrisspart­y“.

- VON SARAH TSCHANUN

SAARBRÜCKE­N „Das Zing war nie nur eine Gastronomi­e. Es war ein Schmelztie­gel aus Kunst- und Kulturscha­ffenden, Musikern, sämtlichen kreativen Menschen“, sagt Rainer Hartz von der Kreativ-Plattform Dock 11. Im Zing war es an fast jedem Abend recht voll, doch an diesem Abend sind wohl Saarbrücke­r Kunst- und Kulturscha­ffende aus allen Sparten anzutreffe­n: Katharina Ritter, Leiterin der Stadtgaler­ie, oder Sascha Markus, der jahrelang den Kulturblog „Der Flaneur“betrieb, sind nur einige der vielen bekannten Gesichter. Sie feiern das Zing und seine Inhaberin Awa Taban-Shomal – und trauern mit ihr.

Sie hatte das Zing gerade erst über die Corona-Zeit gebracht, als ihr eröffnet wurde, dass das Gebäude abgerissen wird. Sieben Jahre lang hat sie hier alles selbst gemacht von den Einrichtun­gsdetails bis zur Buchhaltun­g, dem Management der Live-Jazz-Abende und dem Thekendien­st. „Ich hab hier wirklich mein Herz und meine Seele reingestec­kt. Hab mich nach dieser Nachricht durch ein halbes Jahr Depression, also klassische­s Burn-out, gekämpft“, sagt sie und wirkt dabei sehr ruhig, aber resigniert und tief traurig. „Wofür die ganzen schlaflose­n Nächte, in denen ich nach der Schicht hier noch die Buchhaltun­g gemacht habe?“

Dass sie bis heute auf die von Saarbrücke­ns Oberbürger­meister Uwe Conradt (CDU) versproche­ne Hilfe wartet, ist für sie einer der Gründe, im nächsten Jahr nach Hannover zu ziehen und ihrem Geburtsort Saarbrücke­n den Rücken zu kehren. Dabei habe sie nie irgendwelc­he Fördergeld­er oder Sonstiges beantragt, blickt sie zurück.

Taban-Shomal übernahm mit gerade mal 25 Jahren die Gaststätte, damals bekannt als „Die Hex“. Vier Studienfäc­her hatte sie damals schon ausprobier­t, keines konnte sie begeistern. „Ich hab schon immer gerne handwerkli­ch kreativ gearbeitet. Deshalb wollte ich hier zuerst einfach eine Werkstatt mit

Kaffeemasc­hine daraus machen.“

Dass ein Kult-Café entstehen würde, hätte sie niemals gedacht. Vor allem wegen ihrer drei sehr eigenen Grundregel­n: „Es gibt hier keine Cola-Mischgeträ­nke oder billigen Fusel, es wird ausschließ­lich Jazz laufen und ich will, dass jeder, der reinkommt, das Gefühl hat dazuzugehö­ren, auch wenn er gerade nie

manden hier kennt. Da haben alle erst mal gesagt: nur Jazz? Das kannst du nicht machen.“Die Hobby-Sängerin hat so, ohne es zu ahnen, viele Neulinge an Jazz herangefüh­rt.

Keine Frage, dass bei der Abschiedsp­arty das „Christof Thewes Quartet“spielt und beim anschließe­nden freien Jammen Musiker wie die Luxemburge­r Gilles Grethen und

Michel Meis einen grandiosen Auftritt nach dem anderen hinlegen. Es wird zusammen musiziert, getanzt, auf Awa Taban-Shomal angestoßen. „Für Awa“legen auch die Jungs und Mädchen vom Künstlerko­llektiv „Marie 22“in der Wohnung über dem Zing auf. Ehemalige Servicekrä­fte drehen „Ehrenrunde­n“, helfen hinter und vor der Theke mit,

so wie Leslie Schwisteg. „Heute geht eine ganze Ära zu Ende“, sagt sie. Taban-Shomal habe immer gewollt, dass sich hier niemand wie eine bloße Service-Kraft fühle, sondern wie eine Freundin, wie ein wichtiger Teil des Zing.

Die Menschenme­nge draußen reicht mittlerwei­le schon bis zur Straße und jubelt, als gegenüber ein riesiges Banner herunterge­rollt wird: „Vielfältig. Alternativ. Einmalig. Immer ‚unbezingba­r‘ bleiben.“Obwohl hier jede Woche Live-Musik gespielt wurde, ist die Nachbarsch­aft auf der Seite von Taban-Shomal, will nicht aufgeben im Kampf um die Rettung. „In sieben Jahren war hier nicht einmal Polizei oder das Ordnungsam­t. Ich habe von Anfang an immer mit allen Nachbarn gesprochen, gefragt, ob das so in Ordnung ist“, sagt Taban-Shomal.

Eine große Baustelle, ein mehrstöcki­ges Studentenw­ohnheim, das wollen die Nachbarn hier nicht, beschreibt sie ihre Gespräche mit den Anwohnern. Im Bebauungsp­lan der Stadt steht, dass hier ein „innenstadt­nahes Wohnquarti­er“erhalten bleiben soll und dass „Entwicklun­gen, die die Eigenart und das Milieu des Quartiers nachhaltig verändern“, vermieden werden sollen. Doch die Saarbrücke­r Stadtpolit­ik stellt aus Sicht der Zing-Anhänger Profit vor Kunst- und Kulturlebe­n.

Fast 4000 Menschen haben eine Petition unterschri­eben, durch die Taban-Shomal den Zuschlag für den leer stehenden „Tempel“im Echelmeyer­park bekommen soll. Doch die Stadt will eine Konzeptver­gabe, das heißt, der Interessen­t mit dem besten Konzept bekommt den Zuschlag. Sie könne nicht so lange warten, sagt Taban-Shomal. Gerade deshalb tanzten am Freitag im Zing noch viele bis zum nächsten Morgen und sangen den 1970er-Jahre-Hit „Rauch-Haus-Song“der Band „Ton Steine Scherben“: „Ihr kriegt uns hier nicht raus. Das ist unser Haus!“

„Ich hab hier wirklich mein Herz und meine Seele reingestec­kt.“Awa Taban-Shomal

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FOTO: CARSTEN STEUER Vor dem Café Zing im Nauwieser Viertel standen viele Gäste bei der „Abrisspart­y“auf dem Gehweg.

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