Marine Le Pen bringt ihre „Soldaten“in Stellung
Rassemblement National in Frankreich wählt einen neuen Vorsitzenden. Erstmals tritt bei dieser Abstimmung kein Mitglied der Familie Le Pen an.
PARIS Der Sitz des Rassemblement National ist in einem Neubau im schicken 16. Arrondissement von Paris untergebracht. Marine Le Pen ließ ihre Partei im vergangenen Jahr aus der Vorstadt Nanterre in die Hauptstadt ziehen, um zu zeigen, dass ihre Rechtspopulisten keine Randpartei mehr sind. Wer künftig in der Parteizentrale bestimmt, entscheiden rund 40 000 Mitglieder diese Woche in einer Online-Abstimmung. Le Pen, die den Vorsitz 2011 von ihrem Vater JeanMarie übernommen hatte, will sich lieber ihrer Aufgabe als Chefin der größten Oppositionsfraktion widmen. Die Nationalversammlung ist für sie eine Bühne, auf der sie ihre nächste Präsidentschaftskandidatur vorbereitet. Die Partei überlässt sie voraussichtlich Interimschef Jordan Bardella, dem gegen den bisherigen Vize Louis Aliot die größeren Chancen vorhergesagt werden.
Dass zwei Kandidaten zur Abstimmung stehen, suggeriert eine demokratische Alternative. Aber sowohl Le Pens Schützling, der erst 27 Jahre alte Bardella, als auch ihr früherer Lebensgefährte Aliot stehen der einstigen Parteichefin nahe. Auch wenn die Anwältin keine Präferenz erkennen lässt, ist doch bekannt, dass sie Jordan Bardella als neuen Parteichef bevorzugt. Sie selbst entdeckte den hochgewachsenen jungen Mann, der aus der Pariser Problemvorstadt Drancy kommt und machte ihn 2019 zum Spitzenkandidaten bei der Europawahl.
Die Zeitung Le Monde nennt den stets perfekt gestylten Nachwuchspolitiker „den besten Soldaten“Le Pens. Offiziell will Bardella den Kurs der „Normalisierung“fortsetzen, den seine Förderin 2011 einleitete, als sie den Parteivorsitz von ihrem Vater übernahm. Gleichzeitig zeigt sich Bardella, der mit einer Nichte Le Pens liiert ist, allerdings mit deutlich extremeren Positionen. So flirtet er offen mit dem rechtsextremen Politiker Éric Zemmour, dessen Wähler er als „aufrichtige Patrioten“bezeichnet. Die Verschwörungstheorie vom „großen Bevölkerungsaustausch“, der zufolge eine weiße, christliche Bevölkerung durch eine muslimische ersetzt wird, passt durchaus in seine Rhetorik. „Ich nutze nicht den Ausdruck vom großen Bevölkerungsaustausch, aber ich erkenne die zutreffende Realität, die er beschreibt“, sagt er dem rechtsnationalen Magazin Valeurs actuelles.
Sein Rivale Louis Aliot warnt dagegen vor dieser Theorie, die Zemmour offen vertritt. Nach außen hin verkörpert der hemdsärmelige Bürgermeister der Stadt Perpignan den gemäßigten Flügel des RN. Er fordert seine Partei sogar auf, ein „Bad Godesberg“einzuleiten, also eine ideologische Wende hin zur Mitte, wie sie die SPD 1959 auf ihrem Parteitag in Bad Godesberg vollzog.
Die „nationale Priorität“, wie sie Marine Le Pen in ihrem Programm fordert, wird allerdings auch von Aliot vertreten. Sie sieht vor, Französinnen und Franzosen beispielsweise bei der Arbeitsplatzvergabe zu bevorzugen. Gleichzeitig distanzierte sich der 53-Jährige, der Bürochef von Le Pens Vater Jean-Marie war, nie von dessen rassistischen und antisemitischen Ausfällen.
Dennoch nahmen die Nazi-Jäger Serge und Beate Klarsfeld Mitte Oktober die Ehrenmedaille der Stadt Perpignan von Aliot entgegen. „Wenn ich in der extremen Rechten eine Entwicklung sehe, wenn ich Leute sehe, die sich unseren
Werten anschließen wie Louis Aliot, die das Gedenken an die Shoah respektieren, dann kann ich das nur konstatieren“, kommentierte Serge Klarsfeld in einem Radiointerview die hochumstrittene Entscheidung. Der Vorsitzende der Organisation SOS Racisme, Dominique Sopo, warf Klarsfeld vor, mit seiner Geste zur Banalisierung der extremen Rechten beizutragen.
Marine Le Pen gehört inzwischen zu den beliebtesten Politikern Frankreichs. Nachdem sie bei den Präsidentschaftswahlen im Frühjahr mit knapp 42 Prozent ein Rekordergebnis geschafft hatte, ist eine weitere Kandidatur 2027 ein offenes Geheimnis. Bis dahin will sie auf alle Fälle eine Spaltung ihrer Partei in einen radikalen Flügel um Bardella und einen moderaten Flügel um Aliot verhindern. Die Einheit sei die Grundlage für einen künftigen Wahlsieg, mahnte sie in einem Zeitungsinterview.