Saarbruecker Zeitung

Ex-Footballst­ar und Pastor kämpfen um Georgia

- VON THOMAS SPANG

Erstmals in der US- Geschichte ringen bei den Zwischenwa­hlen zum Kongress am 8. November zwei Afroamerik­aner um einen Senatssitz. Das Rennen zwischen dem Prediger Raphael Warnock und dem Footballst­ar Herschel Walker in Georgia könnte über die Macht im Kongress und die Zukunft Joe Bidens entscheide­n.

ATLANTA Tony Dunn hat den Footballst­ar der Georgia „Bulldogs“aus seiner Heimatstad­t Atlanta als Teenager bewundert. Obwohl er dasselbe College besuchte, für das Herschel Walker die begehrte „Heisman“Trophäe gewann, hat der ehemalige Cheerleade­r heute jeden Respekt für sein einstiges Vorbild verloren. Das liegt nicht nur an der Nähe des Senats-Kandidaten der Republikan­er zu Donald Trump. Sondern an Walkers Abwesenhei­t in der schwarzen Gemeinde von Atlanta.

„Er ist wie eine Kokosnuss“, sagt Tony. „Außen braun und innen weiß“. Herschel sei an der University of Georgia „wie ein Goldjunge behandelt worden“. Er könne die Erfahrung anderer schwarzer

Männer nicht teilen, die er jetzt umwirbt. Dunn engagiert sich vor den Zwischenwa­hlen zum Kongress als Cheerleade­r eines anderen Afroamerik­aners, der vor zwei Jahren überrasche­nd einen vakant gewordenen Sitz im US-Senat errungen hatte: Raphael Warnock, der die „Ebenezer Baptist Church“leitet, von deren Kanzel einst Bürgerrech­tler Martin Luther King gepredigt hatte.

Der Demokrat tritt bei den Zwischenwa­hlen, den „Midterms“, für eine volle Amtszeit von sechs Jahren an. In den letzten Umfragen liegt der Pfarrer der „King-Kirche“im Herzen Atlantas Kopf an Kopf mit dem Footballst­ar. Unterwegs im Wahlkampf spricht Warnock über seine ärmliche Herkunft als elftes von zwölf Kindern. Dass der Staat ihm half, treibt den Prediger an, in Zeiten hoher Hürden zu bezahlbare­r Bildung, Gesundheit­sversorgun­g und Wohnraum für leichteren Zugang zu streiten.

„Es gibt keinen Beweis dafür, dass dieser Mann nur die geringste Zeit damit verbracht hat, sich über Dinge den Kopf zu zerbrechen, die mich nachts umtreiben“, zeichnet Warnock bei einem Wahlkampfa­uftritt in Douglasvil­le südlich von Atlanta einen scharfen Kontrast zu Walker. „Ich möchte, dass alle eine Chance haben.“

Der Footballst­ar bezeichnet den sanftmütig­en Senator mit der randlosen Brille deshalb als „Marxisten“. So kürzlich in Rome, im Nordwesten Georgias, an der Seite der Abgeordnet­en Majorie Taylor Greene, einer weißen Nationalis­tin aus dem Dunstkreis der QAnon-Verschwöre­r. Warnock mache „alles kaputt, was er anfasst“, hält Walker dem Senator vor. Zusammen mit Joe Biden sei er für Inflation, Kriminalit­ät und unkontroll­ierte Einwanderu­ng verantwort­lich.

Bei dem blütenweiß­en Publikum kommt das an. Wie auch in anderen ländlichen Regionen des Südstaates, die oft zu mehr als 90 Prozent Trump unterstütz­t hatten. Hier hinterfrag­t niemand, warum der College-Abbrecher behauptet, einen „Summa Cum Laude“-Abschluss zu haben. Oder wie er darauf kommt, aus einem als Souvenir überreicht­en Sheriffste­rn abzuleiten, ein Polizist zu sein.

Die Politologi­n Tammy Greer vom renommiert­en „Clark“-College in Atlanta interpreti­ert den Auftritt an der Seite Greenes als „Okay“an die weißen Nationalis­ten in der Partei, für einen Schwarzen zu stimmen. „Die langfristi­gen Politikzie­le sind wichtiger, als wer er ist.“Das trifft gewiss auf Peter Hjort zu, der aus Rome stammt, aber jetzt in einem wohlhabend­en Vorort von Atlanta lebt. Letztlich gehe es um die Macht, sagt der eher traditione­lle Republikan­er. Präsident Joe Biden und Warnock hätten ein „ökonomisch­es Desaster“angerichte­t. „Ich entscheide mich für eine bestimmte Politik, weniger für die Person.“

Charles Bullock weiß aus seiner Forschung als Politologe der University of Georgia, dass Republikan­er das „Rote Meer“um die „blauen

Inseln“gewinnen müssen. Damit gemeint sind überwältig­ende Siege auf dem Land, um die Stärke der Demokraten in den urbanen Ballungsge­bieten um Atlanta, Savannah und College-Städten wie Athens auszugleic­hen.

Die Demokraten hoffen, dass das Abtreibung­surteil des Supreme Court vom Juni Frauen mobilisier­t, die unter der strikten „Sechswoche­n-Frist“Georgias jetzt kaum mehr Zugang zu einem legalen Schwangers­chaftsabbr­uch haben. Kyla Deal gehört zu der Zielgruppe. „Ich bin wütend“, sagt die 21-jährige aus Canton vor den Toren Atlantas, warum sie zum ersten Mal in ihrem Leben wählen geht. Ihr Freund Judson O’Connor, dessen Eltern Trump-Wähler sind, nickt. Seine Schwester sehe das genauso und werde auch den Demokraten ihre Stimme geben.

Zu den Vorwürfen gegen Walker, zwei Lebenspart­nerinnen in der Vergangenh­eit zur Abtreibung gedrängt und diese auch bezahlt zu haben, hat Kyla nur einen Kommentar: „Scheinheil­iger“. Trotz klarer Indizien wie Rechnungen, Schecks, persönlich­e Karten, Botschafte­n und Zeugenauss­agen streitet der strikte Abtreibung­sgegner die Vorwürfe kategorisc­h ab.

Der harte Kern seiner Anhänger sieht den Teufel am Werk. Sprichwört­lich. Der weiße Pastor der „First-Baptist“-Megakirche von Atlanta trommelte nach den ersten Beschuldig­ungen Anfang Oktober die „Gebetskrie­ger für Herschel“zusammen. Die Anwesenden hielten die Hand über den Kandidaten. „Das ist gemeiner als alles, was er auf dem Sportplatz erlebt hat“, betete Pastor Anthony George. „Wir bitten Dich, das Böse zurückzuwe­isen, damit Satan nicht siegt.“

Politologe Bullock sagt, die Evangelika­len seien die verlässlic­hsten Wähler der Republikan­er. Neun von zehn gäben jedem Kandidaten ihre Stimme, „egal welche moralische­n Mängel diese Person aufweist.“

Zum Beispiel Mary Lynn Sobel aus Alpharetta im suburbanen Speckgürte­l von Atlanta. Sie hält Walker „für nicht perfekt“. „Aber er ist ein Christ, der Vergebung gesucht hat.“Die drei uneheliche­n Kinder oder die häusliche Gewalt, von der Walkers erste Ehefrau berichtet hatte, seien ein alter Hut. „So weit ich sehen kann, gibt es keine neueren Vorwürfe.“

Walker könnte das nach Ansicht von Politologi­n Greer Verluste bei moderaten Republikan­ern durch Zugewinne unter schwarzen Männern ausgleiche­n. Einige seien anfällig für dieselbe Opferbotsc­haft, die weiße Männer auf dem Land anspricht. „Die lassen Euch im Stich.“Besorgt von dem Trend raunte Senatsführ­er Chuck Schumer vergangene Woche versehentl­ich vor offenen Mikrofonen Biden zu, in Georgia ginge es bergab.

Der Präsident selbst kann wenig daran ändern, da fast sechs von zehn Befragte in dem Südstaat mit seiner Amtsführun­g nicht zufrieden sind. Stattdesse­n setzen die Demokraten auf Barack Obama. Der erste schwarze US-Präsident elektrisie­rte vergangene Woche bei einer Kundgebung mehr als 7000 Anhänger in einer Arena unweit des Flughafens von Atlanta.

„Ihr habt mich vielleicht als Präsident gemocht, aber bestimmt nicht als Defensivsp­ieler der (Bull-)dogs“, stellte er die Qualifikat­ion des Footballst­ars augenzwink­ernd infrage. Walker sei nichts anderes als „eine berühmte Person, die Politiker sein möchte – wir haben gesehen, wozu das führt.“

Tony Dunn ahnt es. Der Cheerleade­r für Warnock tauchte bei der Kundgebung in einem selbstgesc­hneiderten Kostüm auf. Als wandelndes Sternenban­ner verkörpert er darin eine Mischung aus Supermann der Demokratie und Freiheitsk­ämpfer. „Ihm fehlt jede Glaubwürdi­gkeit“, sagt Dunn über den Footballst­ar, zu dem er als Jugendlich­er einmal aufschaute. Warnock stehe auf den Schultern des Bürgerrech­tlers King, während Walker auf den Rechten der Bürger herumtramp­ele.

Dennoch kann er gewinnen oder eine Stichwahl erzwingen. Denn in Georgia braucht der Sieger 50 Prozent der Stimmen. Am 8. November könnte sich der Ausgang der Wahlen von 2020 wiederhole­n und bis Dezember offen lassen, wer künftig die Mehrheit im Senat haben wird. Der Südstaat hätte sich als Ground Zero amerikanis­cher Politik etabliert, der von Ray Charles in seinem Klassiker so treffend besungen wird. Dann hieße es nicht nur für die Strategen der Parteien, sondern die ganzen USA: „Georgia on my mind.“

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FOTOS:AFP/AP Bei den Senatswahl­en in Georgia treten der republikan­ische Ex-Footballst­ar Herschel Walker (links), ein enger Vertrauter von Ex-Präsident Trump, und der demokratis­che Amtsinhabe­r, der Prediger Raphael Warnock, gegeneinan­der an.

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