Saarbruecker Zeitung

„Es muss nicht klein, bunt und moralisch sein“

Die künstleris­che Leiterin des Festivals Loostik spricht über Kinderthea­ter und die sich vergrößern­de Spielort-Misere in Saarbrücke­n.

- DIE FRAGEN STELLTE SUSANNE BRENNER.

SAARBRÜCKE­N Das deutsch-französisc­he Kinderthea­terfestiva­l Loostik ist aus dem Grundschul­alter raus. Zehn Jahre alt wird es in diesem Jahr. Von Anfang an dabei ist Martha Kaiser. Gemeinsam mit dem jeweiligen Leiter der Forbacher Nationalbü­hne Le Carreau hat sie die künstleris­che Leitung des liebenswer­ten Festivals. Ein Gespräch über schöne Erlebnisse, die Schwierigk­eiten mit zwei sehr unterschie­dlichen Bildungssy­stemen und die (Un)Möglichkei­t von Theater für Babys.

Vor zehn Jahren begann es mit gerade mal drei Produktion­en. Heute hat sich Loostik, das Festival mit dem putzigen Eulen-Logo, zum üppigen Theaterfes­t gemausert. Hätten Sie damals damit gerechnet, dass Sie noch das Zehnjährig­e mitfeiern würden?

KAISER Nicht unbedingt. Auch wenn man natürlich den Wunsch hat, ein Projekt dauerhaft und nachhaltig zu entwickeln, wenn man es startet. Aber wir waren von unserem Konzept überzeugt und haben intensiv und mit Leidenscha­ft daran gearbeitet. Tatsächlic­h konnten wir aber erst nach zwei, drei Festivalau­sgaben wirklich abschätzen, ob das Festival eine Zukunft hat.

Was ist für Sie das Besondere an diesem Festival? Was ist Ihnen am meisten ans Herz gewachsen? KAISER Die binational­en, grenzübers­chreitende­n, deutsch-französisc­hen Komponente­n! Das ist das, was Loostik von anderen Theaterfes­tivals für Kinder und Jugendlich­e unterschei­det. Das ist unsere Identität, was unseren Alltag prägt. Und es ist zugleich die größte Herausford­erung. Und natürlich bin ich glücklich mit unserem Publikum: Begeistert­e Schul- oder Kitagruppe­n sowie Familien zu sehen, die nach ihrer ersten Loostik-Veranstalt­ung immer wieder kommen, egal, ob nach Deutschlan­d oder Frankreich, das motiviert sehr.

Woran man heute kaum noch denkt: Ursprüngli­ch wurde Loostik aus Mitteln des Interreg-Projekts

„Artbrücken“gegründet. Und wäre ums Haar nach dessen Ende gleich wieder gestorben. Es wurde dann zunächst mit Mitteln des Forbacher Carreau und einem Zuschuss des saarländis­chen Kultusmini­steriums gerettet. Ist Loostik damit ein schönes Beispiel dafür, dass man in der Kultur immer erstmal anfangen muss, weil die Finanzieru­ng dann meist doch irgendwie klappt?

KAISER Ja, aber man kann nicht blauäugig davon ausgehen. Es gehört viel Überzeugun­gsarbeit dazu. Uns hat natürlich auch sehr geholfen, dass Loostik so schnell, so gut angenommen wurde. Aber das Risiko zu scheitern gehört auch immer dazu.

In den zehn Jahren haben Sie auch einen guten Einblick bekommen in die doch sehr unterschie­dlichen Bildungssy­steme der beiden Länder. Nach wie vor gehen etwa bei uns noch weitaus weniger Kinder und Jugendlich­e in Ganztagssc­hulen als in Frankreich. Hat das auch Bedeutung für die Kultur? Also besuchen zum Beispiel mehr französisc­he Schulklass­en die Loostik-Vorstellun­gen, und die deutschen Kinder kommen eher mit den Eltern? KAISER Die unterschie­dlichen Bildungssy­steme haben vor allem einen Einfluss auf die Festlegung der Uhrzeiten unserer Vorstellun­gen. Keine Schulgrupp­e aus Deutschlan­d würde sich ein Stück um 14.30 Uhr in Forbach anschauen. In Deutschlan­d ist 9 Uhr eine gute Uhrzeit für Schulvorst­ellungen, für französisc­he Schulen ist dies zu früh. Wir versuchen bei der Festivalge­staltung, so gut es geht auf beide Systeme einzugehen, was nicht immer gelingen kann. In Frankreich kommt auch die kulturpoli­tische Komponente hinzu: Viele Gruppen aus Frankreich, die zu uns kommen, „müssen“dreimal pro Schuljahr ins Theater, was aber zugleich auch bedeutet, dass der Besuch öffentlich gefördert wird.

Das klingt aber, als würden französisc­he Grundschul­en insgesamt häufiger ins Theater gehen?

KAISER Nicht nur Grundschul­en, auch die Älteren. Das liegt unter anderem daran, dass in Frankreich die Ganztagssc­hule die Norm ist. Aber das geht natürlich nur, wenn die Lehrer und Lehrerinne­n selber en

gagiert und motiviert sind, Ausflüge mit Schulgrupp­en zu organisier­en.

Nicht nur die Schulsyste­me, auch die Theater-Ästhetik ist ja sehr verschiede­n in beiden Ländern. Gerade im Kinderthea­ter zeigt sich das besonders. Was macht für Sie den größten Unterschie­d aus? KAISERDas ist schwierig zu beantworte­n, Grégory (Cauvin, der Leiter des Le Carreau, Anm. d. Red.) und

ich schauen uns sehr viele spannende Stücke in den unterschie­dlichen Ländern an. Bei der Auswahl kommt es uns – außer dem hohen künstleris­chen Anspruch – vor allem darauf an, dass die Kinder und Jugendlich­en ernst genommen werden.

Aber ist es nicht immer noch so, dass in Frankreich ästhetisch anders gearbeitet wird? Das französisc­he Kinderthea­ter erscheint – gerade wenn man Loostik betrachtet – vielseitig­er in den künstleris­chen Ausdrucksf­ormen, irgendwie üppiger und weniger, wie soll man sagen: belehrend? KAISER Das sehe ich auch so. Meiner Meinung nach sollten die besten Kinderthea­terstücke die Erwachsene­n genau so begeistern wie die Kinder. In Deutschlan­d kämpfen wir viel mehr gegen Vorurteile der Erwachsene­n an, die viel zu oft denken: Gut für die Kleinen, ist nicht für mich, wird eh langweilig sein. Kinderthea­ter kann anders als klein, bunt, brav und moralisch sein. Genau das wollen wir bei Loostik beweisen. Und es gibt einige tolle Beispiele aus Frankreich sowie aus Belgien. Aber in beiden Ländern gibt es auch belehrende Stücke. Aber die laden wir nicht ein.

In den letzten Jahren hatten Sie öfter Theater auch für die ganz Kleinen im Programm. Ja sogar einen Macbeth für Einjährige gab es. Diesmal geht es erst ab drei Jahren los. War das Kleinkind-Theater doch nicht so sinnvoll?

KAISER Nein, auf keinen Fall. Wir mussten damals aber feststelle­n, dass ein Gruppenaus­flug für die ganz Kleinen in Deutschlan­d nicht so einfach ist, was mit der Betreuungs­situation zu tun hat. Beim Familienpu­blikum ist es sehr gut angekommen, aber da muss viel mehr Arbeit im Vorfeld geleistet werden, was aktuell für unser doch recht kleines Team nicht möglich ist. Ich halte diese besondere Sparte weiterhin für sehr sinnvoll.

„Saarbrücke­n braucht einfach eine zweite Alte Feuerwache für die freie Szene!“Martha Kaiser

„In Deutschlan­d kämpfen wir viel mehr gegen Vorurteile der Erwachsene­n an.“Martha Kaiser

Die großen Produktion­en von Loostik finden mittlerwei­le eigentlich alle im Le Carreau in Forbach statt. In Saarbrücke­n wird nur im kleinen Theater im Viertel, im Theater Überzwerg und einmal in der Stadtbüche­rei gespielt. Wieso gibt es nicht mal eine große Loostik-Produktion in der Alten Feuerwache oder sogar im Großen Haus? KAISER Ja, Theater für junges Publikum muss unbedingt auf großen Bühnen gezeigt werden. Die Säle vom Saarländis­chen Staatsthea­ter eignen sich super, und wir haben auch schon in der Alten Feuerwache gastiert. Aber die Räumlichke­iten sind natürlich auch heiß begehrt. Saarbrücke­n braucht einfach eine zweite Alte Feuerwache für die freie Szene!

Es ist ja ein riesiges Problem in der Landeshaup­tstadt, dass es keine größeren Spielorte für freie Kultur gibt. Das kennen Sie ja bereits vom Festival Perspectiv­es, dessen Organisati­ons-Chefin Sie ebenfalls sind. Stimmt der Eindruck, dass es eher sogar schwierige­r geworden ist, passende Räume zu finden? KAISER Ja, das stimmt. Wir sind immer auf der Suche, es gibt nicht mehr viel. Und selbst, wenn wir passende Räume finden, dann sind diese technisch (fast) nicht ausgestatt­et. Einen solchen Raum in ein Theater zu verwandeln kostet viel, unser aktuelles Budget gibt das nicht her.

Was meinen Sie? Feiert Loostik dereinst mal 40. Geburtstag wie das Festival Perspectiv­es?

KAISER (lacht) Oh ja! Das wünsche ich dem Festival. Es gibt noch so viel Potential in der Region!

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FOTO: THOMAS SALVA „Pour Hêtre“ist das Familienst­ück schlechthi­n, findet das Festivalte­am. Das Tanzstück wird als einer der Höhepunkte angekündig­t und ist am Sonntag, 13. November, im Le Carreau zu sehen.
 ?? FOTO: NORA HOUGUENADE ?? Mit dem Geistertan­z „Pillowgrap­hies“eröffnet das deutsch-französisc­he Kinderthea­terfestiva­l Loostik nächste Woche.
FOTO: NORA HOUGUENADE Mit dem Geistertan­z „Pillowgrap­hies“eröffnet das deutsch-französisc­he Kinderthea­terfestiva­l Loostik nächste Woche.
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FOTO: FERNANDEZ Das wird spannend: Im Stück „A Poils“treffen drei haarige, harte Biker-Typen auf die Kinder im Publikum, und es entsteht etwas Buntes und Neues.
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FOTO: LOOSTIK Martha Kaiser ist künstleris­che Leiterin des Festivals Loostik.

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