„Es muss nicht klein, bunt und moralisch sein“
Die künstlerische Leiterin des Festivals Loostik spricht über Kindertheater und die sich vergrößernde Spielort-Misere in Saarbrücken.
SAARBRÜCKEN Das deutsch-französische Kindertheaterfestival Loostik ist aus dem Grundschulalter raus. Zehn Jahre alt wird es in diesem Jahr. Von Anfang an dabei ist Martha Kaiser. Gemeinsam mit dem jeweiligen Leiter der Forbacher Nationalbühne Le Carreau hat sie die künstlerische Leitung des liebenswerten Festivals. Ein Gespräch über schöne Erlebnisse, die Schwierigkeiten mit zwei sehr unterschiedlichen Bildungssystemen und die (Un)Möglichkeit von Theater für Babys.
Vor zehn Jahren begann es mit gerade mal drei Produktionen. Heute hat sich Loostik, das Festival mit dem putzigen Eulen-Logo, zum üppigen Theaterfest gemausert. Hätten Sie damals damit gerechnet, dass Sie noch das Zehnjährige mitfeiern würden?
KAISER Nicht unbedingt. Auch wenn man natürlich den Wunsch hat, ein Projekt dauerhaft und nachhaltig zu entwickeln, wenn man es startet. Aber wir waren von unserem Konzept überzeugt und haben intensiv und mit Leidenschaft daran gearbeitet. Tatsächlich konnten wir aber erst nach zwei, drei Festivalausgaben wirklich abschätzen, ob das Festival eine Zukunft hat.
Was ist für Sie das Besondere an diesem Festival? Was ist Ihnen am meisten ans Herz gewachsen? KAISER Die binationalen, grenzüberschreitenden, deutsch-französischen Komponenten! Das ist das, was Loostik von anderen Theaterfestivals für Kinder und Jugendliche unterscheidet. Das ist unsere Identität, was unseren Alltag prägt. Und es ist zugleich die größte Herausforderung. Und natürlich bin ich glücklich mit unserem Publikum: Begeisterte Schul- oder Kitagruppen sowie Familien zu sehen, die nach ihrer ersten Loostik-Veranstaltung immer wieder kommen, egal, ob nach Deutschland oder Frankreich, das motiviert sehr.
Woran man heute kaum noch denkt: Ursprünglich wurde Loostik aus Mitteln des Interreg-Projekts
„Artbrücken“gegründet. Und wäre ums Haar nach dessen Ende gleich wieder gestorben. Es wurde dann zunächst mit Mitteln des Forbacher Carreau und einem Zuschuss des saarländischen Kultusministeriums gerettet. Ist Loostik damit ein schönes Beispiel dafür, dass man in der Kultur immer erstmal anfangen muss, weil die Finanzierung dann meist doch irgendwie klappt?
KAISER Ja, aber man kann nicht blauäugig davon ausgehen. Es gehört viel Überzeugungsarbeit dazu. Uns hat natürlich auch sehr geholfen, dass Loostik so schnell, so gut angenommen wurde. Aber das Risiko zu scheitern gehört auch immer dazu.
In den zehn Jahren haben Sie auch einen guten Einblick bekommen in die doch sehr unterschiedlichen Bildungssysteme der beiden Länder. Nach wie vor gehen etwa bei uns noch weitaus weniger Kinder und Jugendliche in Ganztagsschulen als in Frankreich. Hat das auch Bedeutung für die Kultur? Also besuchen zum Beispiel mehr französische Schulklassen die Loostik-Vorstellungen, und die deutschen Kinder kommen eher mit den Eltern? KAISER Die unterschiedlichen Bildungssysteme haben vor allem einen Einfluss auf die Festlegung der Uhrzeiten unserer Vorstellungen. Keine Schulgruppe aus Deutschland würde sich ein Stück um 14.30 Uhr in Forbach anschauen. In Deutschland ist 9 Uhr eine gute Uhrzeit für Schulvorstellungen, für französische Schulen ist dies zu früh. Wir versuchen bei der Festivalgestaltung, so gut es geht auf beide Systeme einzugehen, was nicht immer gelingen kann. In Frankreich kommt auch die kulturpolitische Komponente hinzu: Viele Gruppen aus Frankreich, die zu uns kommen, „müssen“dreimal pro Schuljahr ins Theater, was aber zugleich auch bedeutet, dass der Besuch öffentlich gefördert wird.
Das klingt aber, als würden französische Grundschulen insgesamt häufiger ins Theater gehen?
KAISER Nicht nur Grundschulen, auch die Älteren. Das liegt unter anderem daran, dass in Frankreich die Ganztagsschule die Norm ist. Aber das geht natürlich nur, wenn die Lehrer und Lehrerinnen selber en
gagiert und motiviert sind, Ausflüge mit Schulgruppen zu organisieren.
Nicht nur die Schulsysteme, auch die Theater-Ästhetik ist ja sehr verschieden in beiden Ländern. Gerade im Kindertheater zeigt sich das besonders. Was macht für Sie den größten Unterschied aus? KAISERDas ist schwierig zu beantworten, Grégory (Cauvin, der Leiter des Le Carreau, Anm. d. Red.) und
ich schauen uns sehr viele spannende Stücke in den unterschiedlichen Ländern an. Bei der Auswahl kommt es uns – außer dem hohen künstlerischen Anspruch – vor allem darauf an, dass die Kinder und Jugendlichen ernst genommen werden.
Aber ist es nicht immer noch so, dass in Frankreich ästhetisch anders gearbeitet wird? Das französische Kindertheater erscheint – gerade wenn man Loostik betrachtet – vielseitiger in den künstlerischen Ausdrucksformen, irgendwie üppiger und weniger, wie soll man sagen: belehrend? KAISER Das sehe ich auch so. Meiner Meinung nach sollten die besten Kindertheaterstücke die Erwachsenen genau so begeistern wie die Kinder. In Deutschland kämpfen wir viel mehr gegen Vorurteile der Erwachsenen an, die viel zu oft denken: Gut für die Kleinen, ist nicht für mich, wird eh langweilig sein. Kindertheater kann anders als klein, bunt, brav und moralisch sein. Genau das wollen wir bei Loostik beweisen. Und es gibt einige tolle Beispiele aus Frankreich sowie aus Belgien. Aber in beiden Ländern gibt es auch belehrende Stücke. Aber die laden wir nicht ein.
In den letzten Jahren hatten Sie öfter Theater auch für die ganz Kleinen im Programm. Ja sogar einen Macbeth für Einjährige gab es. Diesmal geht es erst ab drei Jahren los. War das Kleinkind-Theater doch nicht so sinnvoll?
KAISER Nein, auf keinen Fall. Wir mussten damals aber feststellen, dass ein Gruppenausflug für die ganz Kleinen in Deutschland nicht so einfach ist, was mit der Betreuungssituation zu tun hat. Beim Familienpublikum ist es sehr gut angekommen, aber da muss viel mehr Arbeit im Vorfeld geleistet werden, was aktuell für unser doch recht kleines Team nicht möglich ist. Ich halte diese besondere Sparte weiterhin für sehr sinnvoll.
„Saarbrücken braucht einfach eine zweite Alte Feuerwache für die freie Szene!“Martha Kaiser
„In Deutschland kämpfen wir viel mehr gegen Vorurteile der Erwachsenen an.“Martha Kaiser
Die großen Produktionen von Loostik finden mittlerweile eigentlich alle im Le Carreau in Forbach statt. In Saarbrücken wird nur im kleinen Theater im Viertel, im Theater Überzwerg und einmal in der Stadtbücherei gespielt. Wieso gibt es nicht mal eine große Loostik-Produktion in der Alten Feuerwache oder sogar im Großen Haus? KAISER Ja, Theater für junges Publikum muss unbedingt auf großen Bühnen gezeigt werden. Die Säle vom Saarländischen Staatstheater eignen sich super, und wir haben auch schon in der Alten Feuerwache gastiert. Aber die Räumlichkeiten sind natürlich auch heiß begehrt. Saarbrücken braucht einfach eine zweite Alte Feuerwache für die freie Szene!
Es ist ja ein riesiges Problem in der Landeshauptstadt, dass es keine größeren Spielorte für freie Kultur gibt. Das kennen Sie ja bereits vom Festival Perspectives, dessen Organisations-Chefin Sie ebenfalls sind. Stimmt der Eindruck, dass es eher sogar schwieriger geworden ist, passende Räume zu finden? KAISER Ja, das stimmt. Wir sind immer auf der Suche, es gibt nicht mehr viel. Und selbst, wenn wir passende Räume finden, dann sind diese technisch (fast) nicht ausgestattet. Einen solchen Raum in ein Theater zu verwandeln kostet viel, unser aktuelles Budget gibt das nicht her.
Was meinen Sie? Feiert Loostik dereinst mal 40. Geburtstag wie das Festival Perspectives?
KAISER (lacht) Oh ja! Das wünsche ich dem Festival. Es gibt noch so viel Potential in der Region!