Zeitlose Geschichten mit Witz, Herz und Tiefgang
Junge Frauen, die gegen Rollenbilder kämpfen, Situationskomik in der englischen Küche und Aufnahmen aus dem Tierreich, wie man sie nur mit der Kamera einfängt. Diese Filme und Bücher sind für einen kalten Herbsttag gemacht – und überzeugen auf ganzer Lini
Die feine Welt der frechen Kellner
Die Tage werden kürzer, statt Ratatouille mit Sommergemüse gibt’s Eintopf mit Wirsing. Wem das auf die Stimmung schlägt, sollte den Abend mit Humor erhellen. Geradezu prächtig gelingt das mit „Ich habe den englischen König bedient“von Bohumil Hrabal. Ob als Buch oder als von Wolfram Berger grandios gelesenes Hörbuch, ist egal. Hauptsache reinziehen. Der Roman, scheinbar eine unbedarfte, federleichte Schelmengeschichte, ist eine literarische Perle, die auch nach der Lektüre leuchtet, als könne sie ein Freudenfeuer entfachen. Es ist die magische Fabulierkunst des Autors, die einfach Spaß macht. Der Held ist Díte, ein kleinwüchsiger Kellner – im Geiste ein enger Verwandter des Soldaten Schwejk –, der sich hocharbeitet. Als er, minderjährig, es sich leisten kann, den Hintern der schönsten Dirne mit Blumen zu bekränzen, beginnt sein Höhenflug. Von da an hetzt die Geschichte durch die Welt der eleganten Hotels und piekfein verdorbenen Gäste, und damit von einer absurd explosiven Episode zum nächsten grotesken Unfall. Der IchErzähler bevölkert seine Handlung mit halb- und ganz durchgeknallten Gestalten – die sich in ihrem Taumel um Geld, Ansehen, Champagner und Ideologien mit seltsamen Einfällen und derben Macken noch gegenseitig anstacheln. Ergebnis: reihenweise Situationskomik vom Feinsten.
Aber was heiter weitschweifig vor sich hin plaudert, fußt auf knallharter Tragik. Die Geschichte beginnt in den 1930er Jahren und zieht sich bis in die 1940er. Der Horror der Nazis kreuzt auch Dítes Weg; trägt ihn sein Leichtfuß auch nun zum Überleben?
Hrabals Kunst des stilisierten Monologs, der vor Ironie und Selbstironie, vor Sprachgewandtheit und sich burlesk steigernden Einfällen nur so strotzt, liegt hier in einer Unterhaltsamkeit vor, deren Magie man sich nicht entziehen kann: Die Wärme, mit der der Ich-Erzähler von all diesen Existenzen berichtet, verleiht Flügel. Und: Man sieht Restaurants und Hotels mit anderen Augen, die beim Erinnern dieses burlesken Kosmos‘ und seiner lebensbejahenden Gewitztheit leuchten werden.
Große Gefühle auf dem Land
Der Herbst kann ja tückisch sein. Sicher, es gibt wunderbare Tage, an denen eine goldene Sonne das Laub bescheint, das langsam von den Bäumen rieselt. Aber es gibt auch nasskalte Tage des Dauerregens, die sich wegen der frühen Dunkelheit schmerzhaft kurz anfühlen. Da drohen kalte Füße und akute Melancholie, letztere noch verstärkt von der aktuellen Weltlage. Was also tun – und was schauen? Herzerwärmend ist die neue Version des britischen TV-Klassikers „Der Doktor und das liebe Vieh“, der von 1978 bis 1990 lief. Die neue Version (DVD bei Polyband erschienen) ist hinreißend und erzählt von einem ungleichen Tierärzte-Trio im Yorkshire der 1930er Jahre. Man würde sofort in dieses fiktive Städtchen Darrowby ziehen wollen, mit seinen grausteinigen Häusern, dem urigen Pub, dem Buchladen und der Tierarztpraxis. Da wird schon ein nostalgisches Traum-England präsentiert – aber Brit-Kitsch ist die Serie dann doch nicht.
In den sieben Episoden der ersten Staffel geht es mal um kleinere Dramen, etwa um ein verwöhntes und überfüttertes Hündchen, dessen Leber dem Exitus entgegen fettet – ein Handlungsstrang, der uns noch einmal ein Wiedersehen mit der unvergesslichen Diana Rigg aus „Mit Schirm, Charme und Melone“beschert. Aber es geht meist um Elementares: Von der richtigen Behandlung einer Kuh hängt die Lebensgrundlage einer Familie ab. Und die Entscheidung, ein unheilbar krankes Rennpferd einzuschläfern, stellt einen der Ärzte vor eine Gewissensentscheidung – weniger was das Tier betrifft, sondern das eigene Leben. Gewissensentscheidungen, Aufrichtigkeit, Freundschaft, Liebe, Solidarität – darum geht es in dieser Serie. Durchaus mit Humor und einiger Romantik, aber mit großer Ernsthaftigkeit. Da ist „Der Doktor und das liebe Vieh“zugleich altmodisch und fast schon wieder radikal, wenn auch auf charmant unauffällige Weise. Hier in Darrowby ist die Welt zwar noch weitestgehend in Ordnung – aber nur, weil die Menschen dafür einiges tun.
Ein bisschen Magie für den Herbst
Wden,W enn die Tage kürzer wer
werden die Abende länger und finsterer. Und somit bieten sie die optimale Gelegenheit, nicht nur ein Buch in die Hand zu nehmen, sondern gleich eine ganze Buchreihe. Auch wenn die Autorin Joanne K. Rowling durch die eine oder andere Aussage in die Kritik geraten ist, bleiben ihre „Harry Potter“-Bücher weiterhin zauberhaft. Die Geschichte des Jungen, der zu seinem elften Geburtstag erfährt, dass er ein Zauberer ist, begeistert seit knapp zweieinhalb Jahrzehnten Menschen jedes Alters. Harry besucht die Zauberschule Hogwarts, wird langsam erwachsen, erlebt fantastische Abenteuer – und stellt sich gemeinsam mit seinen Freun
nieße den
den zahlreichen Gefahren. Seine Zauberwelt ist nicht nur bunt und abenteuerlich, sondern auch düster und bedrohlich. Und wer von den Büchern nicht genug bekommt, kann sich noch den Verfilmungen und weiteren Geschichten aus dem Harry-Potter-Universum widmen.
Eine auf den ersten Blick sehr ähnliche Geschichte erzählt übrigens die Buchreihe „The Magicians“von Lev Grossman. Hier erfährt Quentin Coldwater, dass er ein Zauberer ist, und besucht daraufhin eine Zauberschule. Quentin ist allerdings deutlich älter als Harry, als er ans Brakebills College kommt. Die Geschichte drumherum ist deutlich erwachsener – sowohl die magischen Abenteuer als auch die Schulerlebnisse. Ins bewegte Bild umgesetzt wurde das Ganze, wenngleich teils mit deutlichen Abweichungen in der Handlung, mit der Serie „The Magicians“. Diese passt ohnehin ziemlich perfekt in die düstere Jahreszeit, da sie insgesamt ziemlich düster ist. Und trotzdem ist auch sie auf ihre Art herzerwärmend: Denn genau wie das Waisenkind Harry findet auch der Einzelgänger Quentin in seiner magischen Welt seinen Platz. Und echte Freunde.
Eintauchen in das Reich der Tiere
Die Artenvielfalt in der Tierwelt ist enorm. Millionen von Insekten krabbeln durch die Wälder der Erde, abertausende Fische tanzen in Schwärmen durch die Weltmeere, Affenarten leben in Familienbanden in den Bäumen der Tropen und schwingen sich von Ast zu Ast. Einen direkten Einblick in ihre Lebensräume ist für den Menschen meist nicht möglich. Zu scheu, gefährlich oder schlicht zu klein sind die Tiere. Zu sehr in ihr fein abgestimmtes Ökosystem würden Menschen eingreifen, wenn Massen diese Vielfalt in freier Wildbahn beobachten wollen würden.
Aber von zu Hause auf der Couch aus lässt es sich dank zahlreicher Tier-Dokumentationen in die vielfältigen Lebensräume unterschiedlichster Wildtiere eintauchen. Eine mit grandios klaren Aufnahmen glänzende Dokumentation ist „Unser Planet“, eine britische Naturdokumentation, die für den Streaming-Anbieter Netflix produziert wurde.
Für acht Folgen, die unter anderem das Tierreich im tiefen Dschungel, der dunklen Hochsee oder unberührten Wäldern dokumentieren, haben die Produzentinnen und Produzenten vier Jahre in über 50 Ländern gedreht. Hinter den Filmemachern verbirgt sich das Team der BBC-Naturserie „Planet Erde“. In Kooperation mit dem World Wildlife Fund ( WWF) soll „Unser Planet“auf die Erderwärmung und die Folgen für das Tierreich weltweit aufmerksam machen.
Zu sehen, welche Balztänze einige Vogelarten aufführen, um die Aufmerksamkeit ihrer Auserwählten zu erlangen oder wie Delfine ihre Intelligenz zum gezielten, kräftesparenden Jagen von Nahrung einsetzen, ist atemberaubend. Vor allem, wenn man dabei mit einer Tasse warmen Tee auf dem Sofa sitzt und aus dem Staunen über die Bilder, die ganz ohne Animationseffekte auskommen, nicht mehr rauskommt. Das Tolle an Dokumentationen: jeder wird zum Staunen gebracht. Egal ob jung oder alt – hier kann die ganze Familie zuschauen und den kalten Herbsttag gemeinsam verbringen.
Eine Geschichte über das Leben
Manche Geschichten sind zeitlos. So auch die Geschichte von vier Schwestern auf dem Weg ins Leben – alle mit einer individuellen Vorstellung, wie dieses verlaufen soll. „Little Women“, von Louisa May Alcott spielt Mitte des 19. Jahrhunderts.
Der Roman wurde bereits mehrfach verfilmt. Zuletzt 2019 von Greta Gerwig, welche die Coming-of-AgeGeschichte auf eine liebevolle und charmante Art neu umsetzt. Und dafür sechs Oscar-Nominierungen erhält. Ein zeitloses Schauspiel, das immer wieder neu interpretiert wird. Den Hauptcharakter spielt Jo March, eine junge Lehrerin in New York im Jahr 1868. Sie beginnt, ein Buch über das eigene Leben und das ihrer Schwestern zu schreiben. Und will dieses an einen renommierten, aber anfangs von ihr recht unbeeindruckten Verleger verkaufen. Bereits zu Beginn wird deutlich, dass Jo mit ihrer selbstständigen und fordernden Art gegen das damals traditionelle Rollenbild angeht – und dabei nicht nur auf Unterstützung trifft.
In ihrem Buch erinnert sich Jo an ihre ältere Schwester Meg, die früh geheiratet hat und in der Rolle als Mutter und Ehefrau aufgeht, an ihre temperamentvolle jüngere Schwester Amy, die den Traum verfolgt, reich zu heiraten, wenn die Ehe schon das einzige ist, was von Frauen erwartet wird. Und an die Jüngste der Familie, Beth, die ihren von Krankheit geplagten Weg nicht selbst bestimmen kann. Es geht um Zusammenhalt, den schmalen Grat zwischen Freundschaft und Liebe und um Lektionen fürs Leben. In Greta Gerwigs Verfilmung muss die Heldin nicht mehr heiraten, entscheidet sich für ihre Karriere und ihre persönlichen Träume, ohne dabei belehrend zu wirken.
Der Film, als auch die Literatur sind zeitlos in ihrer Erzählung und bieten eine Geschichte voller Warmherzigkeit, Tragik und humorvoller Augenblicke. Mit Saoirse Ronan, Emma Watson und Florence Pugh sind außerdem bekannte Gesichter aus Großbritanniens Schauspielszene zu sehen. Eine große Empfehlung – für Romanliebhaber und die ganze Familie.
Eine Lektion in Sachen Toleranz
Oft ist es so, dass Filme nicht an ihre literarischen Vorlagen heranreichen. „Wer die Nachtigall stört“belehrt uns eines Besseren. Sowohl der Roman von US-Schriftstellerin Harper Lee, als auch die filmische Adaption von Robert Mulligan sind Meisterwerke. Die Geschichte handelt vom weißen Rechtsanwalt Atticus Finch, der in den 1930er Jahren in Alabama einen zu Unrecht der Vergewaltigung beschuldigten Afro-Amerikaner verteidigt. Erzählt werden die Ereignisse von Finchs sechsjähriger Tochter Jean Louise, genannt Scout, die sich mit ihrem älteren Bruder Jem und einem weiteren Jungen namens Dill die Ferien mit Spielen vertreibt. In das kindliche Idyll bricht mit dem Gerichtsprozess und den Anfeindungen einiger weißer Bewohner gegen Scouts Vater der Rassenhass herein. Gleichzeitig nähren Gerüchte über den Nachbarn Arthur „Boo“Radley die Fantasie der Kinder. Am Ende ist es Boo, der in einem entscheidenden Momente der Handlung in einer stürmischen Herbstnacht zur Stelle ist.
Was „Wer die Nachtigall stört“so besonders macht? Die vielen Themen, die Lee geschickt in parallel verlaufende Erzählstränge packt und die am Ende zusammenfinden. Sie sind damals wie heute aktuell: Rassenprobleme, Vorurteile, Klassenunterschiede, Armut und Reichtum, das Erwachsenwerden und der Verlust kindlicher Unbekümmertheit, Geschlechterrollen.
Mit ihrem halb autobiografischen Buch erteilte Lee 1960 eine Lektion in Sachen Toleranz. Bis heute verkaufte sich der Roman rund 40 Millionen Mal. Lee wurde mit dem Pulitzerpreis geehrt. Robert Mulligan verfilmte vor 60 Jahren den Bestseller mit Gregory Peck in der Hauptrolle. Für das Drehbuch und die Ausstattung gab es einen Oscar. Auch Peck wurde für seine Darstellung des aufrichtigen Anwalts Atticus Finch mit einem Goldjungen belohnt. Zu Recht! Angeblich schaffte Peck, der sich für die Rechte der Schwarzen einsetzte, das neunminütige Plädoyer in nur einem Take. Die Szene gehört zu einer der besten der Filmgeschichte – absolut sehenswert!