Junge ukrainische Kunst im Arrival Room
Visuelle Tagebücher aus dem Leben in der Ukraine. Bilder von Danyil Semenschuk und Mykyta Baganeta in der Saarbrücker Galerie.
SAARBRÜCKEN Drei junge ukrainische Künstler stellt die Galerie Arrival Room in der Großherzog-Friedrich-Straße bis zum 16. November vor. Das Ganze folgt einem bemerkenswerten Konzept.
Die Fotografin Iryna Yeroshko (28), die vor einem Jahr, also schon vor dem Krieg nach Saarbrücken kam, um hier Kuratieren an der Hochschule der Bildenden Künste Saar zu studieren, hat den Arrival Room zunächst genutzt, um hier eigene Arbeiten auszustellen. Jetzt, als zweites Projekt, hat die gelernte Fotografenmeisterin Arbeiten von zwei jungen Ukrainern, die sie online unterrichtet hat, zu einer Doppelausstellung vereint, die es ohne ihr Gespür wohl nie gegeben hätte.
Danyil Semenschuk und Mykyta Baganeta, sind beide um die 20, wohnen in Großstädten in entgegengesetzten Himmelsrichtungen in der Ukraine. Gegensätzlich ist auch ihr Lebenstil, den sie in alltäglichen Fotografien vorstellen. Semenschuk, der sich selbst als introvertierten Menschen bezeichnet, hat ein symbiotisches Verhältnis zu seinem Jugendzimmer und es bis zum Wechsel auf die Universität kaum verlassen. „Da ich nur wenig Kontakt zur Außenwelt habe, wurde die Fotografie auch zu einem Beweis dafür, dass ich existiere“, schreibt er dazu.
Wie einen Teppich aus vielen Mosaiksteinchen sieht man Semenschuks kleine Fotos, die mal nüchtern dokumentarisch, mal offenbar mit Effekten nachbearbeitet, die Suche nach dem „Wer bin ich und was bin ich“wiedergeben, an der Galeriewand arrangiert.
„Die Zeit, die ich für die Pflege meiner inneren Welt aufwenden kann, hat sich verringert“, schreibt Semenschuk dazu, welchen Einschnitt es für ihn bedeutet, die geliebte Wohnung verlassen und erwachsen werden zu müssen. „Und vielleicht besteht meine größte Angst darin, dass ich befürchte, meinen Infantilismus und meine Verträumtheit zu verlieren. Ich möchte so lange wie möglich Kind bleiben“, gibt er verbal Einblick in sein Inneres.
Richtig reizvoll wird Semenschuks visuelles Tagebuch erst durch die Gegenüberstellung mit den Mosaik-Steinchen von Baganeta, der dazu schreibt, dass er sich in seiner elterlichen Wohnung maximal unwohl fühlte. Seit Kriegsbeginn ist er permanent unterwegs und wohnt mal hier, mal dort, bei Freunden und allein.
Erstaunlich ist, wie nah man den beiden durch die Fotos zu kommen scheint oder meint. „Sonder“, nicht vom Ukrainischen, sondern von der
Iryna Yeroshko hat eine textile Russland-Karte genäht, auf der sie die Wege der Deportationen ihrer Landsleute durch die russische Armee nachzeichnet.
deutschen Sprache abgeleitet, haben sie die Ausstellung überschrieben. „Sonder ist die Erkenntnis, dass jeder sein eigenes kompliziertes Leben hat“, schreiben sie dazu. Explizite Kriegsbilder kommen in ihrer Ausstellung nicht vor. Das ist in diesen Tagen etwas Besonderes, vielleicht sogar hilfreich, um ukrainische Menschen einmal anders wahrzunehmen.
Auch Iryna Yeroshko Ausstellungsprojekt, das vorher zu sehen war, entstand zwar zu Kriegszeiten,
zeigte aber auch Bilder jenseits der täglichen Nachrichten. Sie hatte die Zettel und Zeichen im Öffentlichen Raum in den Blick genommen, mit denen die Ukrainer, weil die üblichen Kommunikationsmedien wie Telefon und Internet wegen der Zerstörungen nicht funktionierten, Angehörige und Freunde über ihre Lage und ihren Verbleib informierten. Darüber hinaus hatte die Künstlerin eine textile RusslandKarte genäht, auf der sie die Wege der Deportationen ihrer Landsleute
durch die russische Armee nachgezeichnet hat.
Möglich geworden ist das Gesamtprojekt nicht zuletzt durch ein Förderprogramm des Goethe-Instituts für Künstlerresidenzen für Ausländer in Galerien im Inland, erfährt man von Eugen Georg, dem Geschäftsführer des Arrival Rooms. Ein Programm wie geschaffen für den Arrival Room, den Georg zusammen mit dem gleichnamigen Verein ins Leben rief, um Künstler und Künstlerinnen, die erst neu angekommen
sind, einen Raum zur Verwirklichung ihrer Ideen und Projekte anbieten zu können. Dennoch musste Georg das Goethe-Institut erst mühsam davon überzeugen – und zwar davon, dass Saarbrücken eine richtige Großstadt ist und somit genügend Kulturpublikum hat, so dass sich eine Förderung auch lohnt.