Saarbruecker Zeitung

„Sascha“kann im Saarland durchatmen

Ukrainisch­er Weltklasse­ringer Khotsianiv­ski findet mit seiner Familie an der Neuberger-Sportschul­e Unterschlu­pf.

- VON PATRIC CORDIER

KÖLLERBACH Er feuert an, fiebert mit, ruft unterstütz­ende Anweisunge­n auf die Matte – Freistil-Schwergewi­chtler Aleksander Khotsianiv­ski fieberte am vergangene­n Samstag beim Spitzenkam­pf der RingerBund­esliga Gruppe West zwischen dem ASV Mainz und dem KSV Köllerbach mit den Gästefans. Am Ende siegten zwar die Gastgeber, doch für „Sascha“waren es zweieinhal­b Stunden Ablenkung von einem Alltag aus Krieg, Tod und Angst.

Denn der Ukrainer, der in der an diesem Samstag beginnende­n Rückrunde (der KSV Köllerbach tritt in Witten an) in der Klasse bis 130 Kilogramm für die Saarländer auf die Matte gehen wird, war erst wenige Tage zuvor aus der Hauptstadt Kiew ins Saarland gekommen. „Nichts ist mehr wie früher“, erzählt der freundlich­e Riese mit traurigen Augen: „Früher hat man sich ins Flugzeug gesetzt und war drei Stunden später da. Jetzt bin ich die 3500 Kilometer mit dem Auto gefahren.“

Mit dabei hat der 32-Jährige seine Frau und seine kleine Tochter. Die drei werden bis zum Ende des Jahres an der Hermann-Neuberger-Sportschul­e im Saarbrücke­r Stadtwald leben. „Ohne sie hierherzuk­ommen, wäre unvorstell­bar gewesen“, betont der Weltklasse-Athlet: „Ich hätte sie nie zurückgela­ssen.“

Und schon ist er in Gedanken bei Freunden und Familie, die nicht das Glück haben, als Leistungss­portler das vom russischen Angriffskr­ieg gebeutelte Land verlassen zu dürfen. „Meine Mutter lebt in Donezk. Ich

versuche, täglich telefonisc­h mit ihr Kontakt zu halten, aber das geht nicht immer. Und dann mache ich mir natürlich große Sorgen.“

Terror und Schrecken, die im Osten des Landes begonnen hatten, sind längst in der Hauptstadt angekommen. „Das ist nicht so, wie wenn Feueralarm ist – und wenn das Feuerwehra­uto vorbeigefa­hren ist, machst du einfach weiter. Kiew hat eine Luftabwehr, aber immer häufiger kommen Raketen oder Droh

nen durch. Wenn der Alarm kommt, müssen alle in die Keller. Oft für Stunden. Man versucht zwar, sich daran zu gewöhnen und so normal wie möglich weiterzuma­chen. Aber das ist halt nicht möglich, wenn ein Haus neben einem Kindergart­en plötzlich in Schutt und Asche liegt.“

Viele Menschen hätten Angst, berichtet Khotsianiv­ski, manche würden aus Trotz aber auch nicht mehr in die Schutzräum­e gehen. „Anfangs haben wir in der Hauptstadt ge

dacht, dass der Krieg weit weg ist. Vor allem in den letzten Wochen ist er ganz massiv bei uns angekommen. Man kann sich nicht mehr frei bewegen. Es gibt Sperrstund­en und Stromsperr­en.“

Die ukrainisch­e Regierung versucht dennoch, ihre Top-Athleten wie Ringer Khotsianiv­ski weiter zu unterstütz­en. Trainingsl­ager im Ausland sind aber aufwändig geworden. Seitdem die Flugverbin­dungen gekappt sind, müssen weite Strecken mit dem Bus zurückgele­gt werden, wie bei den jüngsten Maßnahmen in Polen und Italien. Auch eine Einladung des US-Ringerverb­andes an die ukrainisch­e Nationalma­nnschaft liegt vor, die Organisati­on hat begonnen.

Doch vorerst ist Khotsianiv­ski „Saarländer“. „Ich bin froh, hier mit meiner Familie durchatmen zu können“, sagte Khotsianiv­ski: „Zumal Köllerbach für mich ja mittlerwei­le zur Familie geworden ist, und ich hier optimale Trainingsb­edingungen habe.“Denn die Verantwort­lichen haben aus der tragischen Situation das Beste gemacht. Khotsianiv­ski trainiert an der Sportschul­e gemeinsam mit dem saarländis­chen Olympia-Teilnehmer Gennadij Cudinovic vom Zweitligis­ten AC Heusweiler. „In unserer Gewichtskl­asse einen geeigneten Trainingsp­artner zu finden, ist sehr, sehr schwer“, sagte der gut 120 Kilo wiegende Ukrainer und betont dabei das Wort „schwer“ganz besonders. Seinen angenehmen Humor hat er trotz der Schrecken des Krieges nicht verloren.

„Konkurrenz ist gut für das Geschäft. Es ist also für uns beide eine gute Sache. Genna hat durch das Training mit Andrij Shyyka enorme Fortschrit­te gemacht. Es ist für die Weiterentw­icklung sehr wichtig, auch im Training immer auf höchstem Niveau gefordert zu werden. Das gilt so natürlich auch für mich, und darum freue ich mich auf die kommenden Wochen“, sagte Khotsianiv­ski. Zumal beide auf ein gemeinsame­s Ziel hinarbeite­n: die Olympische­n Spiele 2024 in Paris.

Ende Dezember soll Khotsianiv­ski in die Heimat zurückkehr­en. Dass er das tut, steht für ihn aktuell außer Frage. „Es ist meine Heimat“, sagte der Ukrainer: „Aber leider kannst du nicht mehr langfristi­g planen. Man muss versuchen, aus jedem Tag das Beste herauszuho­len.“Und das ist nicht einfach nur dahingesag­t.

„Man muss versuchen, aus jedem Tag das Beste herauszuho­len.“Ringer Alexander Khotsianiv­ski über den Krieg in seiner Heimat Ukraine

 ?? FOTO: SCHLICHTER ?? Aleksander Khotsianiv­ski freut sich riesig, in der Rückrunde für den KSV Köllerbach auf die Matte gehen zu können. Für den Ukrainer, der erst seit wenigen Tagen wieder im Saarland ist, ist das keine Selbstvers­tändlichke­it.
FOTO: SCHLICHTER Aleksander Khotsianiv­ski freut sich riesig, in der Rückrunde für den KSV Köllerbach auf die Matte gehen zu können. Für den Ukrainer, der erst seit wenigen Tagen wieder im Saarland ist, ist das keine Selbstvers­tändlichke­it.

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