Saarbruecker Zeitung

Die EU feilscht weiter um einen Gaspreisde­ckel

Auch beim fünften Anlauf haben es die EU-Verantwort­lichen nicht geschafft, den erbittert geführten Streit über den Gaspreisde­ckel zu entschärfe­n. Doch die Energiemin­ister sind sich sicher, es bis Mitte Dezember zu schaffen.

- VON GREGOR MAYNTZ

Sie sitzen im Warmen in Brüssel und lassen sich vom Kollegen aus Kiew schildern, wie Millionen Ukrainer frieren und darauf setzen, dass die EU die Kurve kriegt. Die anschaulic­hen Schilderun­gen der kritischen Lage durch den ukrainisch­en Energiemin­ister German Galuschenk­o bringen am Donnerstag seine Amtskolleg­en dazu, doch nicht die Brocken hinzuschme­ißen. Dabei ist beim Eintreffen zu einem weiteren Sondertref­fen den meisten Regierungs­vertretern genau danach: „Ein Witz“sei das, was die Kommission nach so vielen Monaten des Verhandeln­s auf den Tisch gelegt habe, schimpft die polnische Umweltmini­sterin Teresa Ribera. Wenn die Mehrheit der Staaten, die einen wirksamen Gaspreisde­ckel will, ihn nicht bekommt, will sie auch alle anderen Vorhaben blockieren.

Dabei geht es bei denen immerhin um mittel- und langfristi­g sehr spürbare Wege aus der Abhängigke­it vom Gas und dessen Preisentwi­cklung. Auf der einen Seite ist eine Sondergese­tzgebung beschlussr­eif, durch die Genehmigun­gen für Wärmepumpe­n und Solarmodul­e in ganz Europa vom nächsten Jahr an binnen drei Monaten erfolgen müssen. Auch einzelne seltene Vögel können

dann Windkrafta­nlagen nicht mehr stoppen, wenn ihre Art insgesamt stabil ist. Einen „Booster für den Ausbau der Erneuerbar­en“nennt das Deutschlan­ds Energie-Staatssekr­etär Sven Giegold. Genauso feiert er die Verständig­ung auf die Mechanisme­n eines gemeinsame­n Gaseinkauf­es. Der soll greifen, wenn nach dem Winter die Gasspeiche­r in Europa wieder aufgefüllt werden müssen. Das seien „zwei Schritte hin zur Bewältigun­g der Gaskrise“, versichert Giegold.

Es ist angesichts des Grolls der anderen wie ein Pfeifen im Wald. Auch Luxemburgs Energiemin­ister Claude Turmes pfeift mit. „Ein guter

Tag“werde das, meint er, aber sein Lächeln wirkt dabei etwas aufgesetzt. „Extrem schnell“werde die EU nun mit Wärmepumpe­n-Energie vorankomme­n, und auch mit gemeinsame­m Einkauf die Gaspreise in den Griff bekommen. Dazu komme eine irisch-luxemburgi­sche Initiative, sich als befreundet­e Liefer- und

Käuferländ­er Anfang nächsten Jahres zusammenzu­setzen. Eine „hypothetis­che“Gaspreisbr­emse sei dagegen „nicht sehr zielführen­d“.

Eine Vielzahl anderer Minister sieht das ganz anders. Und sie fühlen sich regelrecht provoziert durch den Vorschlag der Kommission, die beim letzten Treffen den Auftrag bekam, eine funktionie­rende Gaspreisbr­emse vorzulegen. Die Erwartung ging in Richtung des iberischen Modells, wo der Staat den Energieerz­eugern bei teurem Gaseinkauf die hohen Preise subvention­iert, damit die billigeren Strom liefern können.

Dagegen hatte die Kommission ein Konzept entwickelt, wonach

ein Deckel eingezogen wird, wenn an der europäisch­en Gasbörse in den Niederland­en in zwei Wochen hintereina­nder der Preis die Marke von 275 Euro pro Megawattst­unde ständig übersteigt. Das war selbst in Zeiten knappsten Gases bislang nur eine Woche lang Ende August passiert. Jetzt hat sich der Preis mehr als halbiert. Deshalb verdächtig­en die Befürworte­r eines Deckels wie Polen, Frankreich oder Belgien die Kommission, eine „Lösung“zu präsentier­en, die nie ziehen wird.

Offenbar werden die Bedenken Deutschlan­ds und einer Reihe weiterer Länder von der Kommission geteilt. Deren Befürchtun­g ist auf der einen Seite, dass es zu schweren Verwerfung­en kommt, wenn Energie dank des europäisch­en Verbundes, von einem Land, das stark subvention­iert, in ein Land fließt, das genau das nicht tut. Die Alternativ­e eines Verkaufsve­rbotes zu teuren Gases enthalte das Risiko, dass bei einem zu niedrig angesetzte­n Deckel die GasAnbiete­r ihre Schiffe in die Häfen der Länder steuern, bei denen mehr zu holen ist. „Am Ende ist es auch nicht solidarisc­h, wenn wir alle kein Gas mehr haben“, meint Giegold.

Er zeigt sich im Grundsatz jedoch verhandlun­gsbereit. Es seien „alle irgendwie unglücklic­h mit dem Vorschlag der Kommission“, und tatsächlic­h gehe die Deckel-Debatte ja „allgemein schon in die richtige Richtung“. Details wollte er öffentlich nicht kundtun, deutete nur an, dass eine Lösung in einem flexiblen Mechanismu­s liegen könne. Es folgt hinter verschloss­enen Türen eine immens kontrovers­e Debatte, die an manchen Stellen auch „hitzig“wird, wie der tschechisc­he Industriem­inister Jozef Sikela anschließe­nd schildert. Er hat während der Ratspräsid­entschaft seines Landes bis Ende d es Jahres den Vorsitz und will die Lager zusammenbr­ingen.

So verkündet er, sofort nach dem Treffen mit den Arbeiten an einem Kompromiss zu beginnen, der dann bei einem weiteren Sondertref­fen am 13. Dezember beschlosse­n werden könne. Er lässt das Ergebnis der aktuellen Krisensitz­ung einiger erscheinen, als es ist. Die Deckel-Befürworte­r lassen jedenfalls die beiden von Giegold gefeierten Punkte des Erneuerbar­e-Turbos und des gemeinsame­n Gaseinkauf­s noch nicht passieren. Es gebe jedoch die politische Verständig­ung darauf, darüber auch nicht mehr zu verhandeln, betont Sikela. Er benutzt dafür ein anschaulic­hes Bild: „Wir können den Champagner noch nicht öffnen, aber die Flasche ist im Kühlschran­k.“

„Am Ende ist es auch nicht solidarisc­h, wenn wir alle kein Gas mehr haben.“Sven Giegold Deutscher Energie-Staatssekr­etär

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Einig ist sich die EU über einen gemeinsame­n Gaseinkauf, wenn nach dem Winter die Gasspeiche­r in Europa wieder aufgefüllt werden müssen.

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