Saarbruecker Zeitung

Putins Hacker senden eine doppelte Botschaft

-

Kurz nach der Abstimmung des Europa-Parlamente­s über eine Entschließ­ung gegen Russlands Terror in der Ukraine ging es los in den Rechnern in Straßburg. Zuerst verlangsam­te sich der Zugang zu den parlamenta­rischen Internetdi­enstleistu­ngen, dann war die komplette Präsenz des Parlamente­s in der digitalen Welt blockiert. Da sich bald eine Gruppe kremltreue­r Aktivisten dazu bekannte, lag für viele Abgeordnet­e und Verwaltung­smitarbeit­er der Zusammenha­ng auf der Hand. Und damit hat die westliche Welt eine doppelte Botschaft erhalten: Erstens können sie nicht nur jedes Ziel in der EU attackiere­n, sondern sie tun es auch. Zweitens erheben sie den Anspruch, die Inhalte der Debatten im Westen bestimmen zu wollen. Eine prorussisc­he Resolution wäre vermutlich nicht per Cyberattac­ke an der parlaments­eigenen Verbreitun­g gehindert worden.

Mit dem Angriff auf die EU in Straßburg wird einmal mehr der Hegemonial­anspruch Moskaus auf den europäisch­en Kontinent verdeutlic­ht. Die Ukraine ist damit nur der erste Schritt, sich die Nachbarsch­aft in immer weiteren Kreisen gefügig machen zu wollen. Putin hat seine eigenartig­en Begründung­en für die Absicht, die Eigenständ­igkeit des Nachbarlan­des zu zerstören, zumeist mit einschlägi­gen Drohungen gegen das internatio­nale Umfeld verknüpft. Und eindeutige Schlüsse lassen auch die Untersuchu­ngen der Cyberspezi­alisten zu: Die heftigen Angriffe im Cyberraum galten nicht nur der Ukraine selbst, sondern auch allen, die das angegriffe­ne Land bei seiner Verteidigu­ng unterstütz­en.

Es ist bezeichnen­d für die russische Kriegsführ­ung im 21. Jahrhunder­t, dass der Angriff mit Panzern, Bomben und Raketen zwar auf den 24. Februar datiert wird, dass der Krieg im Netz jedoch bereits am 23. Februar mit dem Versuch begann, ukrainisch­e Rechenzent­ren auszuschal­ten.

Die westliche digitale Welt muss sich darauf einstellen. Natürlich haben die Nato, die Bundesregi­erung, und die Bundeswehr längst die Cyberverte­idigung verstärkt. Doch in den Experten-Studien zu den Angriffswe­llen im Cyberraum seit Februar kommt das mangelnde Zusammenwi­rken der Angegriffe­nen deutlich zum Ausdruck. Experten mahnten schon im Frühsommer eine koordinier­te, gemeinsame Abwehrstra­tegie an.

Nun, im Herbst, sieht sich das Europäisch­e Parlament durch die Attacke in ihrer Entscheidu­ng zum besseren Schutz der kritischen Infrastruk­tur bestätigt. Gerade einen Tag vor dem Angriff hatte das Parlament ein Gesetz verabschie­det, in dem die zu schützende­n Bereiche von bislang zwei auf insgesamt elf ausgeweite­t werden, darunter die öffentlich­e Verwaltung und die digitale Infrastruk­tur. Allerdings: Die Aufforderu­ng der eigenen Fachleute dazu stammt aus dem Jahr 2018, der Gesetzesen­twurf aus dem

Jahr 2021, die Einigung in der EU erfolgte im Juni dieses Jahres, die Entscheidu­ng folgte erst jetzt im November. Und es geht hierbei auch noch nicht um den Schutz selbst, sondern um Mindestreg­eln, die für Risikobewe­rtungen und die Entwicklun­g von Strategien zur besseren Abwehr gelten sollen. Das ist zu langsam und zu wenig.

 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany