Bürgergeld: Schlusspunkt nach langem Ringen
Die Mehrheit kann sich nun hinter dem Hartz-IV-Nachfolger versammeln. Zwei Abstimmungen sind noch nötig.
(dpa) In einem hitzigen Schlagabtausch zum geplanten Bürgergeld hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) den Bundestag zur Zustimmung beim finalen Votum aufgerufen. Nach den Parlamentariern sollen an diesem Freitag die Länder im Bundesrat über die Sozialreform abstimmen. Der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat billigte am Mittwochabend einen von Union und Ampel ausgehandelten Kompromiss. Mit der Reform soll zum 1. Januar die staatliche Hilfe für mehr als sieben Millionen Menschen in Deutschland steigen.
Positionen im Parlament: Heil nannte als Motto der Regierung am Donnerstag „Chancen und Schutz“. Wichtiger als Leitmotive sei aber der Blick auf die Lebenswirklichkeit der Menschen. „Und die verbessern wir mit unserer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik Schritt für Schritt, und jetzt machen wir einen großen Schritt mit dem Bürgergeld, und morgen haben Sie alle die Chance, zuzustimmen.“Heil sagte: „Wer arbeiten will, soll unterstützt werden, wer arbeiten kann, muss die Chance in Deutschland bekommen.“
Der CSU-Sozialexperte Stephan Stracke kündigte Zustimmung der Unionsfraktion an – und verwies auf Änderungen an Heils Entwurf. „Der Freischuss bei Pflichtverletzungen ist vom Tisch“, sagte Stracke. Die Grünen nahmen Vorwürfe gegen die Union auf, sie habe ihre Kritik an Heils Plänen mit Übertreibungen und falschen Details untermauert. Der Grünen-Sozialexperte Frank Bsirske sprach mit Blick auf CDU-Chef Friedrich Merz und CSUChef Markus Söder von einem „mit Ignoranz und Lügen durchtränkten Schäbigkeitswettbewerb, in den uns in den vergangenen Wochen die Herren Merz und Söder gestürzt
haben, mit der AfD“. AfD und Linke kritisierten die Pläne aus gegensätzlicher Richtung. „Das Bürgergeld lädt zu Missbrauch ein und ist ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die jeden Tag aufstehen und sich ihr Einkommen selbst erarbeiten“, sagte die AfD-Abgeordnete Ulrike Schielke-Ziesing.
Gesine Lötzsch von der Linken meinte: „Das Vermittlungsverfahren hat das Gesetz nicht besser, sondern schlechter gemacht.“Im Einklang mit dem Paritätischen Sozialverband warb sie für eine Regelsatzerhöhung auf 725 Euro – statt 502 Euro, die ab Neujahr tatsächlich an alleinstehende Bedürftige fließen sollen.
Vorgeschichte mit Vermittlung:
Zuerst hatte die Union Widerstand gegen Heils Pläne geleistet. Im Bundestag fanden diese trotzdem eine Mehrheit der Ampel. Der Bundesrat stoppte den Entwurf dagegen. In der Folge handelten Fachpolitikerinnen und -politiker von CDU/CSU und Ampel-Koalition über mehrere Tage einen Kompromiss aus. Zur verfassungsgemäßen Beendigung des Streits trat am Mittwoch dann der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat zusammen. Die 16 Vertreterinnen und Vertreter beider Häuser saßen eineinhalb Stunden zusammen.
Sanktionen und Schonvermögen:
Die Union setzte härtere Sanktionsandrohungen durch. Gestrichen wurde eine von Heil geplante „Vertrauenszeit“: In den ersten sechs Monaten sollten Leistungsbeziehenden ursprünglich Bezüge nicht gekürzt werden können, wenn sie etwa Job-Bewerbungen unterlassen. Nun sollen solche Sanktionen sofort möglich sein. Die Kürzungen sollen beim ersten Mal 10 Prozent, beim zweiten Mal 20 Prozent und dann 30 Prozent betragen können. Zudem sollten laut Ursprungsentwurf in einer „Karenzzeit“von zwei Jahren Kosten für Miete und Heizung übernommen werden. Erspartes bis 60 000 Euro sollte nicht aufgebraucht werden müssen. Diese Schwelle wurde auf 40 000 Euro gesenkt. Bei jeder weiteren Person in sogenannten Bedarfsgemeinschaften sollen zusätzlich 15 000 Euro erlaubt sein. Die „Karenzzeit“soll nur ein Jahr dauern.
Kernziele der Reform: Weitgehend unangetastet blieben die Teile der Reform, die zu stärkerem Kümmern der Jobcenter führen sollen. Sie sollen am 1. Juli starten. Individuell soll ausgelotet werden, welche Qualifizierung Betroffene oder Umschulung machen müssen. Gestrichen werden soll der Vorrang der Vermittlung in Arbeit – beendet werden soll so der „Drehtüreffekt“von Jobcenter zum Helferjob und zurück.
Nicht nur Arbeitslose betroffen:
Gibt es an diesem Freitag grünes Licht, fließt mehr Geld an verschiedene Gruppen: an die rund 5,4 Millionen Menschen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende, darunter gut 3,8 Millionen erwerbsfähige und gut 1,5 Millionen nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Dieselben Sätze erhalten zudem die zuletzt 215 000 Menschen mit Hilfe zum Lebensunterhalt und die zuletzt rund 1,1 Millionen Personen mit Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.