Vom Albtraum in die Sicherheit
Heute ist Internationaler Tag gegen Gewalt an Frauen. Ein Opfer berichtet über ihr Leben und die Hilfe im Frauenhaus.
Als die Coronapandemie begann, wurde Finias Familienleben zum Albtraum. „Mein Mann hat sich in Telegram (Soziales Netzwerk und Kurznachrichtendienst) verloren. Dort hat er nach immer mehr Informationen zum Virus und den Coronamaßnahmen gesucht, die er alle sehr kritisch sah. Für ihn ist Corona eine große Lüge“, sagt Finia und erklärt, wie ihr Mann mehr und mehr zum Coronaleugner und Verschwörungstheoretiker wurde. Er begann, die Familie zu tyrannisieren. Finia erzählt, wie die Geschichten ihres Mannes immer verrückter wurden, spricht davon, wie ihr Mann immer öfter von Bevölkerungskontrolle durch das Virus, tödliche Covid-Schnelltests und -Impfungen und implantierten Kontrollchips redete. „Dabei wurde er immer aggressiver, und im Zusammenleben konnte ich ihm nichts mehr recht machen“, sagt die Frau.
Finia, die eigentlich anders heißt, lebt heute zusammen mit ihrem Sohn im Frauenhaus der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Saarbrücken. Für die Frau von Mitte Vierzig war der Schutz des Frauenhauses der letzte Ausweg aus einem Leben voller Gewalt. Keiner körperlichen Gewalt! Finia und ihr Sohn wurden nicht geschlagen. Sie ist das Opfer des ständigen Drucks, der Manipulation, der psychischen Gewalt ihres Mannes. Eines Mannes, der das gesamte Leben seiner Familie zu kontrollieren versuchte und seiner Familie jeden Eigenschutz gegen Covid verbot.
„Nicht nur Opfer körperlicher Gewalt kommen zu uns ins Frauenhaus. Wir sind auch für Frauen mit psychischen Gewalterfahrungen da“, erklärt Mascha Nunold, Leiterin des Saarbrücker Frauenhauses und Bereichsleiterin aller vier Awo-Frauenhäuser im Saarland. „Alle Frauen, die zu uns kommen, haben eins gemein: Sie sind an einem Punkt, an dem es für sie nicht mehr weitergeht. In einer Situation, in der sich die Beziehung so zuspitzt, dass das nicht mehr ertragbar ist“, erklärt die 46-jährige Sozialarbeiterin und Pädagogin.
So war es auch bei Finia. Sie ist schwer krank und zählt zur CoronaRisikogruppe. „Mein Mann hat mir und meinem Sohn verboten, uns impfen zu lassen, wir durften kei
ne Masken tragen, und mein Sohn durfte in der Schule keine Coronatests machen. Teilweise hat mein Mann ihm verboten, in die Schule zu gehen, weil er dachte, unser Sohn wird dort totgeimpft. Mir selbst hat er sogar verboten, wählen zu gehen.“Finias Mann isolierte die Familie immer mehr von ihrem Umfeld und terrorisierte Frau und Sohn mit seinen verbalen Ausbrüchen und fortwährender Kontrolle.
Der Tag, an dem Finia nicht mehr konnte, begann mit einem Anruf der Schule ihres Sohnes. Der Sohn hatte, aufgrund des Verbotes des Vaters, im Unterricht gefehlt und der Vater selbst hatte Lehrer mehrfach bedroht. Die Schule kündigte an, das Jugendamt einzuschalten. „Ich hatte Angst, mein Kind zu verlieren“, sagt die Mittvierzigerin. Zunächst über eine Freundin nahm sie Kontakt zum Frauenhaus auf. Heimlich bereitete sie sich vor und plante zusammen mit Freunden eine Flucht aus den
eigenen vier Wänden. Als ihr Mann den Sohn aus der Schule abholen wollte, verließ Finia die gemeinsame Wohnung. Gleichzeitig brachte eine Lehrerin den Sohn in Sicherheit. Nachdem zuvor ein GPS-Tracker aus der Tasche des Sohnes entfernt wurde, mit dem der Vater diesen überwachte. Für Finia und ihren Sohn ging es nach Saarbrücken ins Awo-Frauenhaus.
„Es ist oft so, dass Frauen sehr viel sehr lange aushalten und erst dann einen Schnitt machen, wenn es für die Kinder eng wird“, sagt Frauenhausleiterin Nunold. Pro Jahr kommen rund 200 Frauen und genau so viele Kinder in die vier Einrichtungen der Awo, die oft voll belegt sind. „Gewalt geht dabei durch alle Schichten. Beziehungsgewalt betrifft genauso die Ärztin wie Frauen, die ohne Schulabschluss dastehen. Nur oft haben Frauen, die besser gestellt sind, andere Möglichkeiten, sich Unterstützung zu holen und unterzukommen“, erklärt Mascha Nunold.
Wenn von Gewalt betroffene Frauen in der Hilfseinrichtung ankommen, geht es zunächst um Existenzielles. Wie kann sich die Betroffene finanziell über Wasser halten, wie schafft man wieder Stabilität und Sicherheit im Leben. „Oft hören wir: Hier im Haus fühle ich mich sicher. Endlich konnte ich mal wieder in Ruhe schlafen, ohne Angst zu haben, dass mich jemand aus dem Schlaf reißt“, so Nunold. Im Frauenhaus werden die Betroffenen von Sozialarbeiterinnen und einer Psychologin beraten und unterstützt. Um die Kinder kümmern sich Erzieherinnen. „Unser Team ist 24/7 für die Bewohnerinnen ansprechbar“, so die Einrichtungsleiterin.
„Der erste Tag hier war ganz furchtbar. Für mich und meinen Sohn war es ein großes Gefühlschaos“, erzählt Frauenhaus-Bewohnerin Finia. „Wir haben eine Woche gebraucht, um uns zu fangen, dann war es eine große Erleichterung. Ich wusste, ich bin sicher, mir kann hier nichts passieren“, sagt Finia. Seit neun Monaten wohnen sie und ihr Sohn in der Saarbrücker Einrichtung. Von der Psyche her gehe es ihr viel besser. Sie habe durch die gute soziale und psychologische Betreuung im Frauenhaus viel an Kraft gewonnen. „Ich bin sehr froh, dass ich den Schritt gemacht habe und hierher gekommen bin“, sagt die Frau. In der Sicherheit des Frauenhauses planen Finia und ihr Sohn die Zukunft: Eine neue Wohnung in einem neuen Umfeld. „Wir schaffen uns jetzt ein neues, schönes und selbstbestimmtes Leben“, sagt Finia mit einem Lächeln.