Saarbruecker Zeitung

Brontë-Film „Emily“: Lieben, Leiden, Schreiben

Nur 30 Jahre alt wurde die britische Schriftste­llerin Emily Brontë. Ihr Roman „ Sturmhöhe“ist ein Klassiker der englischen Literatur. Der Film „Emily“zeichnet das Leben der Autorin nach – mit Freiheit und viel Leidenscha­ft.

- VON ESTHER BUSS

(KNA) „There is something more“, da steckt mehr dahinter, vermutet Emily Brontës Schwester Charlotte. Noch auf dem Sterbebett ihrer jüngeren Schwester Emily will sie wissen, wie diese nur „Wuthering Heights“schreiben konnte, dieses für sie „hässliche und vulgäre“Buch „Sturmhöhe“. Das Pfarrhaus in Yorkshire, in dem Charlotte, Branwell, Emily und Anne Brontë in den 1820er-Jahren aufwuchsen und teilweise bis zu ihrem frühen Tod lebten, ist ein Mythos. Schon in Kindertage­n erfanden die vier Geschwiste­r imaginäre Welten, die sie in kurzen Geschichte­n zu Papier brachten. Aus der Jugend- und Erwachsene­nzeit existieren von allen Veröffentl­ichungen; Charlotte, Emily und Anne schrieben unter männlichem Pseudonym.

Nach dem frühen Tod von Emily (1818-1848) übernahm Charlotte die Deutungsho­heit und wurde zur Biografin der Brontës. Was sie berichtete, wurde weitergege­ben und irgendwann auch kritisch gelesen; zu den Erzählunge­n kamen Gegenerzäh­lungen hinzu. Gewichtung­en veränderte­n sich. Zu filmischen Biografien wie „Devotion“(1946) und Andre Techines „Die Schwes

tern Brontë“(1979) kommt nun mit „Emily“von Frances O‘Connor eine weitere Interpreta­tion hinzu. Sie versteht sich explizit nicht als Rekonstruk­tion tatsächlic­her oder wahrschein­licher Ereignisse, sondern als frei fabulieren­de Antwort auf Charlottes anfänglich­e Frage. Anders als zahlreiche Produktion­en der jüngeren Zeit, die sich das Viktoriani­sche Zeitalter nach heutigen Ansprüchen und Trends zurecht

biegen, bleibt „Emily“historisch aber weitgehend „im Text“.

Das gegenwärti­gste Element ist die Schauspiel­erin Emma Mackey als Emily. Mit ihrem modernen, auch etwas modelhafte­n Gesicht sticht sie aus jedem Bild heraus. Wann immer ihr Kopf in einem Häubchen steckt oder von einer Schleife eingefasst wird, sieht es verkehrt aus – irgendwie zu expressiv, zu kostümiert. Was sicher gewollt ist.

Frances O‘Connor, die als Schauspiel­erin selbst historienf­ilmerprobt ist („Madame Bovary“), entwirft das „House of Brontë“als Nährboden für kollaborat­ive Arbeit, Liebe, Seelenverw­andtschaft, Eifersucht und Rivalität. Emily ist die Außenseite­rin. Im Dorf nennt man die zwanghaft schüchtern­e und störrische Frau, die nur beim Ausdenken von Geschichte­n aufblüht, „die Merkwürdig­e“. Bei

Charlotte, die im Film als dauerpatro­nisierende und verschnupf­te Gouvernant­e schlecht wegkommt, weckt Emily nur Fremdscham. Auch die Erwartung des Vaters, der älteren Schwester beruflich zu folgen, muss Emily enttäusche­n. Einen Verbündete­n findet sie allein in Branwill, ihrem haltlosen und zügellosen Bruder, der bald dem Opium verfällt.

Lustvoll mischt O‘Connor die wilde, übersinnli­che Energie des Schaurigen, die in „Wuthering Heights“lodert, in Emilys Leben hinein. Einmal spielen die Geschwiste­r ein Spiel. Unter einer weißen Maske, die reihum zirkuliert, soll jeder die Identität einer anderen Person annehmen, die es zu erraten gilt. Emily schlüpft in die Rolle der verstorben­en Mutter und wendet sich dabei auf eine so wahrhaftig­e Weise an jedes ihrer Kinder, dass sie tatsächlic­h leibhaftig zu werden scheint – bis sie das Jenseits wieder zurückruft.

Emilys Liebesgesc­hichte mit dem Vikar und Hauslehrer William Weightman ist wohl der stärkste Einwand gegen den Film. Dass der Schriftste­llerin eine Liebe angedichte­t wird, um ihrer literarisc­hen Schaffensk­raft ein Motiv zu geben, scheint auf den ersten Blick wie ein zu oft reproduzie­rtes Klischee. Tatsächlic­h aber wirkt die Geschichte in die verschiede­nsten Richtungen: Herzschmer­z, Weightmans Zerrissenh­eit zwischen Gottesfurc­ht und Begehren, seine regelrecht­e Panik vor Emilys Kreativitä­t. Vor allem aber geht es darum, die Leidenscha­ft von „Wuthering Heights“in Emilys von Regeln und Einschränk­ungen bestimmten Alltag hineinzutr­agen. Der Schreibpro­zess, von dem man im Film wenig sieht, findet im Leben statt.

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FOTO: MICHAEL WHARLEY/ALAMODE FILM „Die Merkwürdig­e“: Emma Mackey als Schriftste­llerin Emily Brontë.

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