Der Druck auf den Bundestrainer wächst
Hansi Flick ist nach dem 1:2 gegen Japan als Krisenmanager gefragt. Gegen Spanien droht das erneute Vorrunden-Aus.
sid) Der besorgte Präsident Bernd Neuendorf suchte nach einer kurzen Nacht das Gespräch mit der Mannschaft, doch jetzt muss vor allem Krisenmanager Hansi Flick die richtigen Worte finden. Während die selbsternannten Titeljäger um Kapitän Manuel Neuer ihren schmerzhaften Katar-Kater nach dem krachenden WM-Fehlstart im Kreise ihrer Familien bekämpften, versuchte der Bundestrainer die aufkommenden Dämonen von 2018 zu vertreiben – schon am Sonntag droht gegen das furios ins Turnier gestartete Spanien das zweite Vorrunden-Aus in Folge.
„Wir haben keinen Schuss mehr frei. Wir müssen die Mannschaft so hinkriegen, dass sie den Glauben hat, das Ding in die richtige Richtung zu schieben“, sagte der sichtlich angespannte Flick bei einer außerplanmäßigen Videoschalte nach dem 1:2-Schock gegen Japan beschwörend. Alle Augen sind auf den am Donnerstag müde wirkenden Nachfolger von Joachim Löw gerichtet. Abwehrchaos, Sturmprobleme, Wechselärger – Flick muss bis zum Alles-oder-Nichts-Spiel am Sonntag (20.00 Uhr MEZ/ZDF und MagentaTV) viele Baustellen schließen. Die Forderung an seine Stars: „Wir müssen Charakter zeigen!“
Die DFB-Auswahl ist gegen den Weltmeister von 2010 fast zum Siegen verdammt. Bei einer weiteren Niederlage wäre der viermalige Champion wie in Russland ausgeschieden, wenn Japan zuvor gegen Costa Rica punktet. „Wir brauchen zwei Siege, aber zwei Siege kann
man nicht einfach so bestellen“, sagte Thomas Müller und stellte mit Blick auf die Ausgangslage nach dem spanischen 7:0-Triumph gegen Costa Rica fest: „Die K.o.-Runde hat für uns schon früher begonnen.“
Gleich zwei böse Erinnerungen werden wach. Das historische Debakel 2018 begann mit einer Auftaktpleite gegen Mexiko, gegen Spanien setzte es zuletzt ein 0:6.„Am Ende
kommt hoch, dass die Situation eine ähnliche ist und die Situation fühlt sich nicht gut an“, sagte Müller in Bezug auf das erste deutsche Aus in einer WM-Gruppenphase.
Allerdings eine mit großen Problemen. Trotz bester Möglichkeiten traf nur Ilkay Gündogan (33., Foulelfmeter). „Wir hätten den Gegner killen müssen“, klagte Joshua Kimmich. Doch Kai Havertz war im Sturm kein
Faktor, Pech bei Aluminiumtreffern (Gündogan und Serge Gnabry) sowie Unkonzentriertheiten bei den Abschlüssen ( Jamal Musiala und Jonas Hofmann) gesellten sich hinzu. Das gilt erst recht für die Wackel-Abwehr. Niklas Süle patzte als rechter Verteidiger beim Ausgleich und hob beim 1:2 das Abseits auf.
Innenverteidiger Nico Schlotterbeck leistete sich viele Unsicherheiten und kam beim entscheidenden Gegentreffer nicht mehr in den Zweikampf. „Ich muss als Abwehrspieler mit jeder Gier das Tor verteidigen“, bemängelte Flick nach einer intensiven Analyse mit seinem Stab.
Daher schloss der Bundestrainer eine Rückversetzung von Kimmich in die Viererkette nicht mehr kategorisch aus, ein Systemwechsel zu einer Dreierkette ist aber kein Thema: „So weit sind wir noch nicht.“Den Vorwurf Gündogans, nicht jeder Spieler habe sich gezeigt, konnte Flick nachvollziehen. Gegen Spanien hofft Flick auch auf einen Einsatz von Leroy Sané (Knieprobleme).
Flick muss die richtige Personalauswahl treffen. Wer hält dem immensen Druck stand? „Wir werden uns wieder aufrappeln“, versprach Müller, „wir haben eine gute Truppe“, ergänzte Flick. Davon war bei Großveranstaltungen zuletzt nichts zu sehen. Deutschland eine Turniermannschaft? Von den jüngsten neun Spielen bei Europa- und Weltmeisterschaften wurden nur zwei gewonnen, aber sechs verloren. Immer gab es mindestens ein Gegentor.