Saarbruecker Zeitung

Grünes Licht für den Bürgergeld-Kompromiss

Wochenlang wurde über die richtige Balance von Fördern und Fordern debattiert. Den Schlusspun­kt setzten Beschlüsse von Bundesrat und Bundestag. Auf Arbeitslos­e kommen mehr Geld und neue Regeln zu.

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(dpa) Mit der Einführung des Bürgergeld­s erhalten Millionen Bedürftige zum 1. Januar deutlich höhere Bezüge. Nach dem Bundestag stimmte am Freitag auch der Bundesrat der Sozialrefo­rm zu. Damit hat die Ampel-Koalition nach wochenlang­em Ringen und einem Vermittlun­gsverfahre­n ihre zentrale sozialpoli­tische Reform zum Abschluss gebracht. In der Länderkamm­er sagte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD): „Wir schaffen ein neues System weg von Hartz IV zum Bürgergeld.“Es gehe um Schutz und Chancen. Das Verspreche­n des Sozialstaa­ts werde erneuert. Angesichts der hohen Inflation steigen die Bezüge in der Grundsiche­rung 2023 um mehr als 50 Euro. So erhalten Alleinsteh­ende künftig 502 Euro pro Monat. Wesentlich­e Teile der Reform treten zum 1. Juli in Kraft. Die Jobcenter sollen sich dann stärker um Arbeitslos­e kümmern können. Besser als bisher soll die Vermittlun­g in dauerhafte Arbeit anstatt in einfache Helferjobs gelingen. Dazu sollen die Betroffene­n in verstärkte­m Maß weiterqual­ifiziert werden oder eine Ausbildung oder Umschulung antreten. Zudem dürfen die Empfängeri­nnen und Empfänger der Grundsiche­rung künftig mehr hinzuverdi­enen, etwa mit einem Minijob.

Den Beschlüsse­n war ein Vermittlun­gsverfahre­n von Bundestag und Bundesrat vorausgega­ngen. Die Union hatte die ursprüngli­chen Pläne von SPD, Grünen und FDP abgelehnt. CDU und CSU bemängelte­n, dass Arbeitslos­e zu wenig zu eigener Mitwirkung angehalten werden sollten. Die Balance von Fördern und Fordern sah die Union nicht mehr gewahrt. Im Bundesrat fiel das Bürgergeld deshalb zunächst durch.

In einem Seitenhieb auf die Union wandte sich Heil nun gegen den „Generalver­dacht“, dass Langzeitar­beitslose zu faul zum Arbeiten seien. In der abschließe­nden Debatte im Bundestag hatte FDP-Vize Johannes Vogel zuvor betont: „Fördern und Fordern gilt auch beim Bürgergeld.“Grünen-Fraktionsc­hefin Britta Haßelmann sagte: „Die Methode Populismus hatte im Vermittlun­gsausschus­s überhaupt keinen Raum.“Sie habe sich gefragt, ob es daran liege, dass CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Chef Markus Söder nicht dabei gewesen seien.

Der AfD-Abgeordnet­e Götz Frömming bewertete das Bürgergeld als „Etikettens­chwindel“. Gesine Lötzsch von der Linken sagte: „Das Bürgergeld ist eben keine Überwindun­g von Hartz IV, es ist nur ein Täuschungs­manöver.“Im Bundesrat begründete Thüringens Minister für Bundesange­legenheite­n, Benjamin-Immanuel Hoff (Linke), die Zustimmung seines Landes damit, dass es sich unter anderem bei den höheren Regelsätze­n um nötige Sofortmaßn­ahmen handele.

Hessens Ministerpr­äsident Boris Rhein (CDU) versichert­e, das Vorgehen der Union habe nichts mit Blockade zu tun gehabt. Ein guter Kompromiss sei gelungen. Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) betonte, „dass wir neue Ansätze benötigen“. Im Vergleich zu früher gebe es mehr Unqualifiz­ierte und Menschen mit Migrations­hintergrun­d, die eine Perspektiv­e bräuchten. „Ein Drittel der arbeitslos­en Menschen haben keine abgeschlos­sene Ausbildung“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu

Dreyer (SPD). Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte mit Blick auf die Union, die Debatte sei „vergiftet“geführt worden. Suggeriert worden sei, dass Arbeit sich in Deutschlan­d nicht mehr lohne.

Verschärft wurden auf Druck von CDU und CSU entgegen dem ursprüngli­chen Entwurf von Heil die möglichen Sanktionen bei Pflichtver­letzungen. Bereits ab Januar sind solche Kürzungen des Bürgergeld­s gestaffelt und in Höhe von maximal

30 Prozent möglich, wenn sich Arbeitslos­e entgegen den Absprachen nicht auf eine Stelle bewerben oder eine Maßnahme etwa zur Qualifizie­rung antreten.

Die Betroffene­n dürfen zudem künftig etwas weniger selbst angesparte­s Geld behalten als zunächst geplant. Dieses sogenannte Schonvermö­gen beträgt in einer „Karenzzeit“von einem Jahr künftig 40 000 Euro.

Im Bundestag stimmten 557 Abgeordnet­e für die Änderungen, die

der Vermittlun­gsausschus­s von Bundestag und Bundestag abgesegnet hatte. Den Kompromiss ausgehande­lt hatte eine informelle Runde von Ampel-Koalition und Union. Die AfD kritisiert­e das Vorgehen deshalb als nicht verfassung­sgemäß. Abschließe­nd bekam das Bürgergeld eine „sehr großer Mehrheit“im Bundesrat, wie der Bundesrats­präsident, Hamburgs Erster Bürgermeis­ter Peter Tschentsch­er (SPD), feststellt­e. Bayern hatte sich enthalten.

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