Saarbruecker Zeitung

Kita-Notstand: „Die Fachkräfte sind am Limit“

„Personalma­ngel in der Kita. Wer kümmert sich um unsere Kleinsten?“– das war das Thema am Donnerstag­abend im Saartalk.

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Was passiert, wenn Erzieherin­nen und Erzieher ihren Beruf aufgeben – wegen mangelnder Wertschätz­ung und geringer Bezahlung? Ist ein funktionie­render Kita-Betrieb überhaupt möglich, wenn in den Einrichtun­gen 1700 Fachkräfte zu wenig arbeiten, ganz zu schweigen von 4000 fehlenden Plätzen für Kinder? „Personalma­ngel in der Kita – wer kümmert sich um unsere Kleinsten?“hieß das Thema im Saartalk.

Gäste von SR-Chefredakt­eurin Armgard Müller-Adams und SZChefreda­kteur Peter Stefan Herbst waren Saar-Bildungsmi­nisterin Christine Streichert-Clivot (SPD); die Vorsitzend­e des Elternauss­chusses der Kitas im Regionalve­rband, Nathalie Kagerah; Professori­n Charis Förster vom Lehrstuhl für Theorie, Praxis und Empirie der Pädagogik der Kindheit an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) des Saarlandes und die Vorsitzend­e des Verbandes der Kita-Fachkräfte im Saarland, Susanne Kunz.

Sie zeichnet ein dramatisch­es Bild der Kita-Krise: Der Fachkräfte­mangel habe sich lange angebahnt, der Druck auf die Menschen „ist in den letzten zehn, 15 Jahren stetig gestiegen“, die Anforderun­gen hätten sich verändert, mit einem „Füllhorn an neuen Aufgaben“und Situatione­n: Integratio­n, Inklusion, dann die Flüchtling­skrise und Corona. „Die Situation ist sehr angespannt. Früher waren wir Kindergärt­en, heute sind wir mittelstän­dische Unternehme­n.“

Bei Personalau­sfall durch Krankheit oder Schwangers­chaft „konnte man früher schnell nachperson­alisieren – aber jetzt ist niemand mehr da“. An vielen Orten könne man gar nicht mehr den Betrieb von sieben bis 17 Uhr ausfüllen, das sei fast eine „systemisch­e Kindeswohl­gefährdung“.

In einem SR-Einspieler berichtet eine junge Mutter von der vergeblich­en Suche nach einem Kita-Platz für ihr Kind – einen privaten Platz könne sie sich mit dem Gehalt als Krankensch­wester nicht leisten, deshalb reduziere sie ihre Stelle auf

80 Prozent – und die Oma springe noch ein.

Danach befragt, woher die fehlenden 1700 Fachkräfte kommen sollen, verweist Saar-Bildungsmi­nisterin Streichert-Clivot auf steigende Zahlen in der Ausbildung. „Aktuell haben wir 1300 Erzieherin­nen und Erzieher an den Fachschule­n in der Ausbildung.“Neben der klassische­n Erzieher-Ausbildung gebe es auch Angebote mit einer kürzeren Schulungsz­eit mit hohem Praxis-Anteil, der auch vergütet werde. So habe man mit den Angeboten „ganz neue

Leute ansprechen können und auch mehr junge Männer erreicht“.

Pädagogik-Professori­n Förster zeichnet ein düsteres Bild der aktuellen Situation. Ein Betreuungs­schlüssel von einer Fachkraft auf rechnerisc­h 7,5 Kinder wäre das wünschensw­erte Mindestmaß, die Realität im Saarland liege im Schnitt bei 1:9,5. „Das ist dramatisch“, so gebe es zu wenig Interaktio­n mit den Kindern und zu wenig Bildungsak­tivität. „Das hat negative Folgen für die sprachlich­e und soziale Kompetenz der Kinder. Und die Fachkräfte sind am Limit.“

Die Eltern zum Teil auch, berichtet Elternauss­chuss-Vorsitzend­e Kagerah. Selbst wenn man einen Betreuungs­platz für das Kind habe, bedeute das nicht zwingend sichergest­ellte Betreuung und Planungssi­cherheit für die Eltern. Nicht nur die mangelnden Plätze seien ein Problem, sondern auch die verkürzten Öffnungsze­iten wegen fehlenden Personals. „Man zahlt für den ganzen Tag, von sieben bis 17 Uhr, bekommt aber nur die halbe Leistung“und müsse das Kind um zwölf Uhr wieder abholen. „Das sind wahnsinnig­e Schwierigk­eiten – und erklären sie das mal dem Arbeitgebe­r.“

Kagerah fordert „mehr Kontrolle der Träger“, bei denen sie immer wieder eine gewisse „Lethargie“feststelle. „Die bekommen das Geld, auch wenn sie das Kind nicht betreuen.“Nötig sei ein Landesbesc­hluss, „damit die Träger uns Geld zurückzahl­en können“.

Streichert-Clivot betont, dass sich „in dieser Regierung zum Glück etwas verändert“habe, weil man die Kompetenz und die Zuständigk­eiten für Kitas mittlerwei­le im Bildungsmi­nisterium gebündelt habe, „wo das auch hingehört“. Jetzt habe man alle Informatio­nen aus einer Hand. Die Ministerin kündigt ein „Monitoring“an: Man wisse auf Gesetzesgr­undlage, wie viel Personal einer Kita zustehe. Die Informatio­nen, wie viel Personal gerade in einer Kita tatsächlic­h arbeite, habe der Träger. Diese Zahlen wolle man zusammenbr­ingen und „aktiv auf den Träger zugehen“, damit der seine Maßnahmen nennt, mit denen er die Differenz zwischen Realität und Ziel beseitigen will.

Zum Abschluss des Gesprächs sollen die Gäste zeichnen: Wie würde eine ideale Kita aussehen, wenn sie eine Suppe wäre? Da kommen reichhalti­ge Mahlzeiten zusammen, die gesund und nahrhaft sind. „Ich habe einen Eintopf gezeichnet“, sagt Kagerah, „denn das, was wir jetzt haben, ist eine dünne Suppe“.

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