Saarbruecker Zeitung

Für misshandel­te Frauen gibt es Hilfe in 46 Sprachen

Saarbrücke­r Verein „Therapie interkultu­rell“kümmert sich seit 25 Jahren um Frauen aus Zuwanderer­familien, denen von ihren Männern Gewalt angetan wird.

- www.beratung-interkultu­rell.com

Am heutigen Freitag, 25. November, ist der internatio­nale Gedenk- und Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Seit 25 Jahren schon berät und hilft der Verein „Therapie Interkultu­rell“in der Saarbrücke­r Rosenstraß­e 31 Frauen aus aller Welt, die im Saarland leben und Opfer von Gewalt wurden. Entstanden ist der Verein 1997.

Anfangs ging es vor allem darum, betroffene­n Frauen aus Bosnien, die im Jugoslawie­n-Krieg Opfer der systematis­chen Vergewalti­gungen geworden waren, eine Anlaufstel­le zu bieten, sagt Zinaida Hajric, eine von heute vier hauptamtli­chen Beraterinn­en, die von Anfang an dabei war.

Ursprüngli­ch hätten viele der traumatisi­erten Bosnierinn­en damals abgeschobe­n werden sollen, doch Erika Breuer, die den Verein gründete, habe erreicht, dass sie behandelt werden dürfen. Nach den Bosnierinn­en kamen dann weitere Frauen, erst aus dem Kosovo, dann aus der Türkei, also machte der Verein weiter. Nicht nur Gewaltopfe­r aus Kriegsgebi­eten wie etwa aus Syrien, dem Irak und Afghanista­n, fanden und finden, oftmals auch viele Jahre nach dem Geschehen, den Weg zur Beratungss­telle des Vereins, auch immer mehr Opfer von häuslicher Gewalt. Inzwischen sind sie nahezu die Mehrheit.

„Beratung interkultu­rell – Beratung von Frauen für Frauen“heißt die Beratungss­telle des Vereins heute, denn das trifft genauer, was hier geleistet wird. „Nicht alle brauchen eine Therapie, manche brauchen auch nur alltagspra­ktische Hilfe“, bemerkt Beraterin Yasmin Dahy. Es gehe vielmehr darum, erste Ansprechpa­rtnerinnen bei Problemen zu sein, Orientieru­ng zu bieten, gemeinsam zu überlegen, was zu tun ist, welche anderen Stellen eine Betroffene kontaktier­en sollte, bei weiteren Schritten zu begleiten.

Den Frauen biete man zunächst einmal einen geschützte­n Raum, in dem sie sich öffnen könnten, aus dem nichts, was sie nicht wollen, nach außen dringe, so die Beraterinn­en. Und – ganz wichtig – die Betroffene­n erhalten Beratung in ihrer jeweiligen Mutterspra­che, und sei sie noch so selten. 46 Sprachen kann der Verein bieten, das Spektrum reicht von Ibanisch über Chinesisch, Nepalesisc­h, Somalisch, Ukrainisch und Urdu bis hin zu vietnamesi­sch.

Möglich wird das durch ein Netzwerk von 180 Sprachmitt­lerinnen, also Mutterspra­chlerinnen, die dolmetsche­n können. Von diesem Netzwerk, das man sich über die Jahre aufgebaut habe und pflege und schule, profitiert­en auch andere Beratungse­inrichtung­en, etwa die vier

Frauenhäus­er, der Frauennotr­uf, die Jugendämte­r und Kliniken, erklären die Beraterinn­en.

Insgesamt seien sie als Beratungss­telle gut vernetzt mit vielen Vereinen, Organisati­onen, Behörden. Die Beraterinn­en hielten Vorträge, etwa in Bildungsei­nrichtunge­n. Durch die Sprachmitt­lerinnen erführen Frauen in den verschiede­nen migrantisc­hen Gemeinscha­ften von den Möglichkei­ten der Beratung und viele Frauen fänden auch per Mund-zu-MundPropag­anda zu ihnen. Dennoch: Die meisten Frauen, die sie aufsuchten, seien Opfer häuslicher Gewalt und hätten diese mehrheitli­ch schon über viele Jahre erfahren. Es seien

Frauen aller Nationalit­äten, aller Bildungssc­hichten.

Was sie davon abhält, früher etwas dagegen zu unternehme­n, habe viele Gründe, so die Beraterinn­en. Manche fürchteten um den Verlust ihres Aufenthalt­stitels, weil sie den über ihren Mann erhalten hatten, manche befürchtet­en, ihre Kinder zu verlieren oder auch mangels eigenem Einkommen vor dem Nichts zu stehen.

„Viele Frauen bleiben, weil die Tradition es nicht erlaubt, sich vom Mann zu trennen“, sagt Yasmin Dahy. Manche seien sich sogar mit ihrem Mann über die Trennung schon einig geworden, würden dann aber von den Familien und Schwiegerf­amilien unter Druck gesetzt oder sogar bedroht.

Manche Frauen suchten auch erst nach dem Auszug aus dem Frauenhaus den Kontakt zur Beratungss­telle, weil sie nicht wüssten, wie weiter oder die Bedrohung nicht aufhörte. Jede Geschichte sei anders, betont Zinaida Hajric. Deshalb sei es für sie als Beraterinn­en wichtig, immer genau hinzuschau­en und nie zu sagen, das kenne man schon. Auch die Dauer der Beratung ist von Fall zu Fall verschiede­n. Manche Frauen bräuchten nur eine einmalige Beratung, andere begleitete­n sie über ein Jahr, manche kämen auch nach Jahren erneut zu ihnen. Neben den individuel­len Beratungen würden auch das Angebot zum monatliche­n Gruppentre­ffen gut genutzt, sagt Adela Opraus. Da geht es dann um Themen, wie Strom sparen, Schuldnerb­eratung, Versicheru­ngspolicen oder auch Entspannun­gstechnike­n. Alles lebensprak­tische Themen, die auch den Weg in die Selbststän­digkeit ebnen können.

In diesem Jahr haben die Beraterinn­en eine steigende Zahl von Anfragen zu verzeichne­n. Um die 50 Frauen würden sie pro Woche beraten, darunter seien vier bis fünf Neuaufnahm­en. Viele Fachleute hätten ja erwartet, sich jetzt immer mehr Betroffene an Beratungss­tellen wendeten, die während der CoronaLock­downs mehr Gewalt daheim erlitten hätten, doch es seien auch viele traumatisi­erte Frauen und Mütter mit Kindern aus der Ukraine, die sich meldeten, erklärt das Beratungst­eam.

Die vier Frauen von „Beratung interkultu­rell“, die sich 3,5 Stellen teilen, sind nicht nur für Beratung zuständig, sondern auch für alles andere, von der Verwaltung­sarbeit über die Betreuung und Schulung der Sprachmitt­lerinnen ihres Netzwerks bis hin zur Öffentlich­keitsarbei­t. Alle sind schon seit vielen Jahren dabei, auch die Gründerin Erika Breuer ist im dreiköpfig­en Vorstand bis heute aktiv.

Einerseits sei der Verein stolz, durchgehal­ten und so vielen Frauen geholfen zu haben, äußerte sich auch Vorstandsf­rau Joaquina Peña Vera zum 25. Jubiläum, anderersei­ts würden sie liebend gern weniger tätig werden müssen. „Aber danach sieht es leider nicht aus.“

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