Atomwaffen, Badehosen, Tempolimit: Das war 1957
Am Morgen des 1. Januar 1957 wachen die Saarländerinnen und Saarländer in einem neuen Land auf. Am Vortag lebten sie noch in einem formal eigenständigen Staat, nun sind sie, wie sie das knapp 15 Monate zuvor beschlossen haben, Bürger der Bundesrepublik De
Es ist ein Dienstag, als vielen Menschen, denen Kunst wichtig ist, der Atem stockt: Im Pariser Louvre wirft ein Besucher einen Stein auf Leonardo da Vincis Mona Lisa. Es ist der erste Tag des Jahres 1957. Das Museum teilt mit, dass das Bild leicht beschädigt ist. Rund 400 Kilometer weiter östlich, in Saarbrücken, wird die Nachricht vermutlich kaum Beachtung gefunden haben. Dort beginnt etwas Großes im Kleinen: Das Saarland wird zum zehnten deutschen Bundesland. Und knapp drei Monate später wird es damit auch Teil der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, der Vorläufer-Organisation der Europäischen Union, zu der am 25. März 1957 Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg, die Niederlande und die Bundesrepublik Deutschland zusammengefunden haben.
Für den 1. Januar 1957 standen aber noch einige andere Dinge im Kalender: Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wurden in der Bundesrepublik von drei auf zwei Prozent gesenkt. Die Rentenreform trat in Kraft. Das bedeutete: Die Rentenversicherung war zu einem auf dem Generationenvertrag beruhenden, lohnbezogenen und beitragsbezogenen Versicherungssystem umgebaut worden. In der Bundesrepublik und in West-Berlin gab es zu diesem Stichtag 13,8 Millionen Radiohörer, über ein Autoradio verfügten 230.000 Bundesbürger. Die Zahl der Fernsehzuschauer lag bei 682.000. Im Nachbarland Österreich begann an diesem Tag der regelmäßige Fernsehbetrieb. Und in der Schweiz trat der Politiker Hans Streuli sein Amt als Bundespräsident an.
Das Jahr entwickelte sich so ereignisreich, wie es begonnen hatte: Bei einer Unglückswelle von insgesamt acht Flugzeugabstürzen in den USA, Frankreich und Italien starben vom 1. auf den 2. Januar 39 Menschen, 70 wurden verletzt. Am 18. Januar gelang es drei US-amerikanischen Langstreckenbombern vom Typ Boing B-52, in Rekordzeit die Erde ohne Zwischenlandung zu umfliegen. Ebenfalls im Januar und ebenfalls in den USA wurden die ersten kommerziell hergestellten Frisbees verkauft.
Am 6. Februar kam es in Portugal zu einer Neuregelung für Schwimmer: Nachdem Männern bis dahin nur Badeanzüge gestattet waren, durften die Herren nun offiziell auch in Badehosen schwimmen. Für Frauen war nach wie vor der Badeanzug das einzige erlaubte Badetextil. Zweiteilige Badeanzüge waren ihnen nicht gestattet.
Am 28. Februar verloren die deutschen Ein- und Zweimark-Banknoten ihre Gültigkeit. Sie waren durch Münzen ersetzt worden.
Am 15. März gab die USA bekannt, dass ihre in der Bundesrepublik stationierten Truppen über Atomwaffen verfügen.
Am 16. März teilte die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft mit, dass nach ihren Informationen jede fünfte Frau in der Bundesrepublik berufstätig ist.
Am 1. April begannen die ersten Wehrpflichtigen der Bundeswehr ihren Dienst.
Am 31. Mai verabschiedete der Bundestag ein Gesetz über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Am 7. Juli kam es auf einem Kirchenfest in Liverpool zu einer fol
genschweren Begegnung: Dort trafen sich zufällig John Lennon und Paul McCartney. Mit George Harrison und Ringo Starr gründeten sie später eine der bekanntesten Bands der Musikgeschichte: The Beatles.
Am 3. August strahlte die ARD anlässlich der Funkausstellung in Frankfurt am Main die erste Sendung „Zum Blauen Bock“aus.
Am 1. September wurde in der Bundesrepublik Deutschland für alle Fahrzeuge innerorts das Tempolimit von 50 km/h verbindlich.
Am 3. Oktober wurde Willy Brandt zum Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt.
Am 4. Oktober brachte die Sowjetunion den ersten Satelliten in die Erdumlaufbahn, den Sputnik. Einen knappen Monat später, am 3. November, flog die russische Hündin Laika mit dem Sputnik 2 in den Orbit.
Am 8. Oktober zerbrach im bayerischen Landtag die Viererkoalition, Ministerpräsident Wilhelm
Hoegner tritt zurück. Seitdem stellt die CSU in Bayern den Ministerpräsidenten.
Am 31. Oktober ging in Garching bei München der erste bundes
deutsche Kernreaktor in Betrieb. Die DDR zog nach: Am 16. Dezember nahm in Rossendorf bei Dresden das erste Kernkraftwerk in Ostdeutschland die Arbeit auf.
Am 13. November forderte der Physiker Otto Hahn in seinem „Wiener Appell“die Einstellung der weltweiten Atomwaffenversuche – vergebens.
Am 29. Dezember gewann der FC Bayern München zum ersten Mal den DFB-Pokal. Der deutsche Meister von 1932 bezwang im Finale im
Rosenaustadion in Augsburg den deutschen Meister von 1933, Fortuna Düsseldorf.
1957 war auch das Jahr, in dem u.a. der österreichische Musiker Johann Hölzel alias Falco, der deutsche Entertainer Harald Schmidt, der britische Schriftsteller Nick Hornby, der finnische Regisseur
Aki Kaurismäki, Schriftsteller Frank Schätzing, der Fußballer Hansi Müller, Schauspieler Ulrich Tukur und der Terrorist Osama bin Laden geboren wurden.