„Da laufen mir die Tränen“
Es war das schwerste Grubenunglück in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland: die mutmaßliche Schlagwetterexplosion in Luisenthal am 7. Februar 1962. Ludwig Schmitz war als Mitglied der Grubenwehr Jägersfreude ein Teil davon – noch heute stockt ihm der Atem, wenn er sich zurückerinnert.
Die Helden sind müde“– so wurden Ludwig Schmitz und seine Kumpel in ihrer Grube empfangen, als sie nach mehreren Tagen harter Bergungsarbeit wieder zurück waren. Schmitz fing 1950 auf der Grube Hirschbach an, wurde aber 1956 nach Jägersfreude versetzt, wo er seinerzeit eine Wohnung fand und wo er auch heute noch lebt. Er selbst, seinerzeit 27 Jahre alt und Kohlebauer, war 1958 der dortigen Grubenwehr beigetreten. Am 7. Februar 1962 kam es gegen 7.45 Uhr in der Grube Luisenthal in einer Teufe von mehr als 600 Metern zu einer Explosion, die unter anderem den Schachtdeckel des Alsbachschachts in die Luft hob, der sich dann im Fördergerüst verkeilte.
Das war zu dem Zeitpunkt so noch nicht klar, wie Ludwig Schmitz sich erinnert. Er weiß nur, dass die Grubenwehren zum Einsatz gerufen wurden. Da es seinerzeit keine Handys und noch nicht viele Telefone gab, wurden die Wehr-Mitglieder von einem Grubenmitarbeiter persönlich aufgesucht. Diese wussten, wo die Leute wohnten, fuhren dort vorbei und gaben ihnen Bescheid, zum Einsatzort zu fahren. „In Luisenthal war alles abgesperrt“, erinnert er sich. Um die Mittagszeit fuhr er mit einem Truppführer und weiteren Kameraden zum ersten Mal die Unglücksgrube hinunter. Da wurde ihm das Ausmaß bewusst. „Ich hatte noch nie einen Toten gesehen“, sagt er mit stockender Stimme.
Bilder, die ihn nie mehr loslassen
299 Bergleute kamen bei dieser Katastrophe ums Leben. Manche waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, andere waren durch das Gas aufgebläht, Glieder waren abgetrennt. Heute würde man das wohl „mechanische Verletzung“nennen, wie er sagt. „Man kann sich ja vorstellen, wie das ausgesehen hat“, sagt er zurückhaltend. Dennoch sind das Bilder, die ihn niemals mehr losließen. Vor wenigen Jahren sah er einen Bericht über ein Grubenunglück in Chile. „Da laufen mir die Tränen“, erzählt er. Je älter man werde, desto mehr scheine einen das mitzunehmen. Die Helfer waren damals nur mit Sauerstoff für zwei Stunden ausgestattet, was man natürlich auf den Wegen unter Tage immer im Hinterkopf behalten musste. Das heißt, wenn man einen Weg 30 Minuten hineinging, konnte man im Endeffekt nur eine Stunde arbeiten, weil man dann auch wieder eine halbe Stunde zurückgehen musste. Am Abend des Folgetages fuhr er ein weiteres Mal hinab. Ein letztes Mal dann vier Tage nach dem Unglück, am 11. Februar. „An meinem Geburtstag“, sagt er. „Viele sind vermutlich friedlich eingeschlafen“, mutmaßt Schmitz, da die meisten durch Sauerstoffmangel das Bewusstsein verloren hatten.
Die Ursache für die Katastrophe ist bis heute ungeklärt. Es wird unter anderem angenommen, dass ein Bergmann verbotenerweise unter Tage rauchte, da bei den Aufräumarbeiten Zigaretten gefunden wurden. Auch eine defekte Grubenlampe könnte die Ursache gewesen sein. Vermutlich gab es eine Schlagwetterexplosion, also eine fatale Mischung aus Methan und Luft, die zu einer Kohlenstaubexplosion führte und die 299 Kumpel aus dem Leben riss. Nach dem Unglück kam es zu einer Welle der Hilfsbereitschaft für die Hinterbliebenen auch aus dem Ausland. Unter anderem wurden viele Überlebende von den Amerikanern ins Militärkrankenhaus nach Ramstein gebracht, wie Schmitz sich erinnert. Viele der Opfer seien wohl nur durch die Markennummern auf ihren Grubenlampen identifizierbar gewesen. Er selbst hatte eine „40/17“, sagt er.
Noch heute kann er sich gut daran
erinnern, wie er half, die Körper zu bergen. Wie er und weitere Kameraden die Körper aus dem Schutt zogen oder unter Laufbändern hervorholten. Das Leben unter Tage war tatsächlich kein einfaches, wie er zugibt. Doch die Kameradschaft – die war einmalig. „Da musste und konnte sich einer auf den anderen verlassen“, sagt er. Auch wenn der Ton rau war, konnte man sich doch immer in die Augen schauen. Diese raue Herzlichkeit nahm Ludwig Schmitz auch mit, als er 1972 die Bergbauarbeit hinter sich lassen musste, als die Grube Jägersfreude dichtgemacht wur
de. Er wurde später Bademeister in den Dudweiler Schwimmbädern.
Im Jahr seines Ausstiegs gründete er auch die Grubenwehrkameradschaft Jägersfreude, die sich immer wieder aktiv ins Leben des kleinen Ortes einbrachte. Mit einer spontanen Gesangseinlage beim Waldfest auf dem Pfaffenkopf fing alles an, danach war man gern gebuchter „Showact“bei vielen Ge
legenheiten, von der Jägersfreuder Kirmes bis hin zu Auftritten in der Staatskanzlei. Doch diese, seine eigene kleine Erfolgsgeschichte nähert sich nun dem Ende. Denn durch Überalterung werde es immer schwerer, die Haudegen zu Konzerten zusammenzuholen – die Grubenwehr Jägersfreude ist sozusagen aufgelöst. Doch der „Bürgermeister von Jägersfreude“, wie er dank seines kommunikativen Talents gerne mal genannt wird, bleibt zumindest der Dudweiler Alterswehr erhalten. Er sagt: „Ich habe ein lachendes und ein weinendes Auge.“
Gründung der Grubenwehrkameradschaft