Ein ganz besonderer Besuch
2022 hat sich der Besuch des damaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR, Erich Honecker, am Ort seiner Kindheit und Jugend zum 35. Mal gejährt. Es war der 10. September 1987, als das kleine beschauliche Saarland plötzlich im Mittelpunkt der weltweiten Beric
Drei Tage zuvor hatte Erich Honecker den Boden der Bundesrepublik betreten. Und es war völlig klar, dass er natürlich auch der Region Neunkirchen und seinem Heimatort Wiebelskirchen einen Besuch abstatten würde. Honecker wurde am 25. August 1912 in der Neunkircher Karlstraße geboren. Es sollte dann nicht lange dauern, ehe seine Familie nach Wiebelskirchen an den Kuchenberg umzog – bis zu ihrem Tod auch der Wohnort von Honeckers Schwester Gertrud. Der später weltbekannte Mann spielte in der Schalmeienkapelle des Ortes. Er wurde später in bereits sehr jungen Jahren Kommunist und verließ schließlich seine saarländische Heimat in den 1930er-Jahren. Seine Rückkehr lief dann allerdings eher unspektakulär ab. Die Neunkircher Bevölkerung zeigte sich relativ unbeeindruckt vom Wiedersehen nach so vielen Jahren. Die Menschenmassen blieben aus. Dafür gab es eine fast schon beängstigende Invasion von Journalisten aus der ganzen Welt – schätzungsweise sollen es rund 2000 gewesen sein. Es schien, als wollte der Staatsmann möglichst viele Programmpunkte einfließen lassen – dazu gehörte auch ein Besuch am Grab seiner Eltern. Und natürlich durfte auch ein Empfang im Bürgerhaus nicht fehlen. Wie es später hieß, seien vor allem Fensterplätze entlang seines Weges bei den Journalisten aus aller Welt äußerst begehrt gewesen. Diese seien ihnen gegen teilweise viel Bargeld abgetreten worden. Vom Bürgerhaus führte Honeckers Weg an der Seite des damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine zur Dillinger Hütte. Und Honeckers Gastgeschenk war eine weiße Löwin aus dem Leipziger Zoo. Sie reiste per Zug an. Und später sollte sie kurioserweise am selben Tag wie ihr Überbringer versterben. Es war der 29. Mai 1994, als Erich Honecker in Santiago de Chile seinen letzten Atemzug machte.
Noch nie zuvor hatte Wiebelskirchen im Blickpunkt der weltweiten Berichterstattung gestanden. Und natürlich durfte auch die Schalmeienkapelle nicht fehlen, die Honecker 1971 zu ihrem Ehrenmitglied ernannt hatte. Zuvor hatten in Bonn laut Aussage von Honecker „sehr wichtige Verhandlungen“stattgefunden. „Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand die Frage des Beitrages der beiden deutschen Staaten zur Gewährleistung des Friedens. Ich denke, dass dies die wichtigste Frage war. Diese Frage bewegt alle Menschen in der Welt. Und wir wollen unbedingt dazu beitragen, dass ein atomares Inferno von der Menschheit abgewehrt wird“, sagte der DDR-Staatsratsvorsitzende anlässlich seines Besuchs im Saarland.
Pünktlich um 18 Uhr übertönten die Kirchenglocken alles
Und Honecker ließ es sich natürlich auch nicht nehmen, sein Elternhaus in der Kuchenbergstraße 88 in Wiebelskirchen in Augenschein zu nehmen. Ein Fernsehjournalist meinte damals: „Es ist so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Honecker geht am Elternhaus vorbei, um seine Schwester zu besuchen. Im Saarland kommen gute Freunde durch den Hintereingang – und nicht unbedingt durch die Haustür. Vor allem im dörflichen Bereich ist es üblich, dass man auch bei privaten Besuchen durch die Hintertür kommt. Der Garten, den Sie sehen, war zu Kindheitstagen Honeckers sicherlich nicht mit Rasen bepflanzt, sondern – wie es sich im Saarland gehört – ein Gemüsegärtchen.“Friedrich Decker war von 1990 bis 2009 Oberbürgermeister von Neunkirchen und erinnerte sich als Zeitzeuge in einem Interview an den Besuch von Honecker in Wiebelskirchen zurück: „Auf der anderen Straßenseite stand die Junge Union und skandierte ‚Die Mauer muss weg‘. Honecker stieg aus. Und als die Schalmeienkapelle ansetzte, Honecker ein Ständchen zu spielen, fingen Punkt
18 Uhr die Kirchenglocken an zu läuten und haben alles übertönt. Es hatte keiner damit gerechnet, dass die Kirchenglocken den ganzen Empfang übertönen.“Erich Honecker trug sich in das Goldene Buch der Stadt Neunkirchen ein. Und Decker ergänzte im Interview: „Er hatte ziemlich gut durchgehalten. Ich habe mich auch gewundert, wie flott er die Treppe noch hochkam. Aber dann, als er an seinen Verwandten, Cousins und so weiter und sogar an seinem Be
rufsschullehrer vorbeikam, da hat man gemerkt, wie ihn das auf einmal doch etwas geschafft hatte. Da war es vorbei gewesen.“
Was von diesem Besuch bleibt, sind aufgrund der politischen Rolle Honeckers zweischneidige Erinnerungen. Vor allem seinen früheren Weggefährten soll man die Rührung angemerkt haben, den weltweit bekannten Mann noch einmal in seiner früheren Heimat begrüßen und ihn in den Arm nehmen zu dürfen.