Saarbruecker Zeitung

„Wir brauchen einen Turnaround“

Der erfolgreic­he Unternehme­r Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer spricht im Interview über den Wirtschaft­sstandort Saarland. Für ihn ist der Mittelstan­d die Herzkammer der Transforma­tion.

-

Prof. Scheer, das Saarland gehört nun seit 65 Jahren zur Bundesrepu­blik Deutschlan­d und steht doch wirtschaft­lich bis heute schwach und anfällig da. Warum schafft das Saarland den Turnaround zu verlässlic­hem wirtschaft­lichem Wachstum nicht? Scheer:

Nach dem Aus für Kohle und Stahl stolpert das Saarland von einem unbewältig­ten Strukturwa­ndel in den nächsten – dem der Automobili­ndustrie. Mit dem Rückzug von Ford und dem Trend zur eMobilität ist das Automobilc­luster gefährdet. Ich denke, ein Kardinalfe­hler liegt darin, dass wir uns im Saarland – basierend auf der Zeit von Kohle und Stahl – immer auf Großuntern­ehmen und Konzerne konzentrie­rt haben. Dabei wurde der Mittelstan­d vernachläs­sigt. Mittelstän­dische Unternehme­n sind aber diejenigen, die ihren Firmensitz, einmal etabliert, im Saarland belassen. Sie sind bodenständ­ig, wachsen weiter, schaffen Arbeitsplä­tze und zahlen Steuern. Das Saarland muss sich für diese Unternehme­n attraktive­r machen und sie als Rückgrat einer positiven wirtschaft­lichen Entwicklun­g fördern. Das ist vordergrün­dig sicher nicht so sexy, wie Niederlass­ungen von DAX-Unternehme­n und ausländisc­hen Konzernen einzuweihe­n oder kleine Start-ups mit Vorschussl­orbeeren auf eine – letztlich ungewisse – Zukunft zu bedenken. Was wir brauchen, ist ein Turnaround in der Ansiedlung­sund Förderstra­tegie in Richtung Mittelstan­d.

Sie warnen als Wissenscha­ftler seit Jahrzehnte­n davor, dass Deutschlan­d technologi­sche Entwicklun­gen auf dem Weg zur Digitalisi­erung verschläft. Wie bewerten Sie die Situation im Saarland? Scheer:

Wir haben zwar im Saarland eine gute Forschungs­landschaft im Bereich der Informatik und ihrer Nachbardis­ziplinen. Es gibt auch verschiede­ne ITUnterneh­men, die alles tun, um hier vor Ort die digitale Zukunft mitzugesta­lten. Dazu gehören auch die Scheer-Unternehme­n.

Die meisten unserer Kunden kommen allerdings aus anderen Bundesländ­ern oder dem europäisch­en Ausland. Das Saarland hätte aufgrund seiner überschaub­aren Größe und der kurzen Wege eine Pilotregio­n für erfolgreic­he Digitalisi­erung werden können. Was wir sehen, ist aber eine kaum digitalisi­erte Verwaltung und Unternehme­n, die erst jetzt und viel zu langsam den Weg in die umfassende Digitalisi­erung ihrer Prozesse und Lieferkett­en gehen. Hier hat es die Politik verpasst,

frühzeitig zu fördern, Rahmenbedi­ngungen und Meilenstei­ne zu setzen.

Sie sind seit 40 Jahren mit Ihren IT-Unternehme­n im Saarland ansässig. Was ist Ihr Erfolgsrez­ept?

Scheer: Ein Unternehme­n oder mittelstän­discher Unternehme­nsverbund, wie wir es sind, muss sich attraktiv machen. Attraktiv für Kunden, Mitarbeite­r und Partner – aus Wissenscha­ft, Verwaltung und Wirtschaft. Das ist uns gelungen. Die beiden Scheer Tower am Rande des Uni-Campus dienen nicht nur als moderne Geschäftsz­entrale, sie sind Landmarken der Digitalisi­erung, die auch andere Unternehme­n angezogen haben. Wir freuen uns, namhafte Unternehmu­ngen wie ZF oder das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) als Mieter in unseren Reihen zu haben. Mit guten Ideen, der Region verbundene­n Mitarbeite­rn und einer ehrgeizige­n Wachstumss­trategie kann man es also als Mittelstan­d im Saarland schaffen. Diese Erfolgssto­ry lässt sich durch eine ermutigend­e Wirtschaft­sförderung, auch der vielen „Hidden Champions“, multiplizi­eren.

 ?? Foto: Scheer Holding ?? Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer.
Foto: Scheer Holding Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany