Joachim Deckarm: „Ich kann, ich will, ich muss!“
Joachim Deckarm gilt als Jahrhunderthandballer. Er wurde 1978 Weltmeister in Kopenhagen, hat mit dem VfL Gummersbach drei Europapokalsiege errungen. Vlado Stenzel, sein früherer Trainer im DHB-Dress, war begeistert von diesem Handballer. Der Saarbrücker war 104 Mal für die Deutsche Nationalmannschaft im Einsatz.
Seine Jugend hat Joachim Deckarm im Saarland verbracht. Sein Stammverein war der TV Malstatt, wo er zunächst der Leichtathletik sehr zugetan war. Er stellte auch dort riesiges Talent unter Beweis, war Hochsprung-Rekordhalter mit
2,02 m, glänzte aber auch im Zehnkampf mit tollen Resultaten – er war schon in jungen Jahren ein Ausnahmetalent. Aber die Liebe gehörte auch dem Handballspiel. Vom TV Malstatt wechselte er zum 1. FC Saarbrücken in die Oberliga, spielte dort als Jugendlicher schon in der ersten Mannschaft mit und war ruckzuck auch Auswahlspieler des Saarlandes.
Dem Ruf des großen VfL Gummersbach mit Eugen Haas an der Spitze wollte er sich aber nicht entziehen und wechselte ins Oberbergische, wo eine große Handball-Karriere begann. Der Gipfel war in der Tat die Weltmeisterschaft in Kopenhagen mit einem 20:19 gegen den großen Favoriten UdSSR. Joachim Deckarm war mit sechs Treffern wichtigster Schütze und sicherte so einen unbeschreiblichen Erfolg. Szenenwechsel: Am 30.März 1979 spielte Joachim Deckarm mit dem VfL Gummersbach im ungarischen Tatabánya. Bei einem Gegenstoß prallte Deckarm mit dem Gegenspieler Lajos Panovics zusammen, knallte mit dem Kopf auf dem Betonboden auf und erlitt ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Nach einer Notoperation in Budapest lag Joachim Deckarm 131 Tage im Koma, wurde nach Köln und später nach Homburg verlegt. Die Ärzte entließen ihn nach drei Jahren als nicht mehr therapiefähigen Pflegefall.
Werner Hürter nimmt sich Deckarm an
Werner Hürter, sein früherer Trainer beim 1. FC Saarbrücken, war damit nicht zufrieden. Er nahm sich des Ausnahmespielers an, kümmerte sich um Joachim Deckarm, betreute, förderte und therapierte ihn. Hürter arbeitete sich in die Thematik mit hirnverletzten Menschen ein und setzte ein unkonventionelles Therapiekonzept (nach Dr. Glenn Doman) um, das Berge versetzte. Joachim lernte wieder zu
gehen, zu schwimmen, Alltagsbewegungen zu beherrschen und zu sprechen. Mittels Konzentrationsübungen löste Joachim Rechenaufgaben, spielte Schach und lernte auf einem Spezial-Computer wieder zu schreiben. Die Maxime für den gebürtigen Saarbrücker sollte jetzt lauten: „Ich kann, ich will, ich muss!“, und die Erfolge gaben den Betreuern (es kam noch Reinhard Peters dazu) recht und Genugtuung, dass sie trotz der Schulmedizin und/oder vielleicht gegen die Schulmedizin dieses „Wunder“geschafft hatten.
Der Triumph der kleinen Schritte hat gewirkt und Joachim Deckarm hat zu neuem Lebensmut gefunden, wenn auch die Einschränkungen nicht gering sind und in den letzten Jahren auch wieder zugenommen haben. Inzwischen braucht Joachim einen Rollstuhl. Lange Jahre war er beim Paritätischen Wohlfahrtsverband in Saarbrücken in einer eigenen Wohnung
betreut, zwischenzeitlich auch im Bürgerzentrum Mühlenviertel (ehemaliges Stadtbad Saarbrücken). Jetzt ist Joachim Deckarm nach Gummersbach zurückgekehrt, lebt im evangelischen Seniorenzentrum und wird bestens betreut. Sein Bruder Herbert ist nahe bei ihm und seine früheren Mannschaftskollegen vom VfL Gummersbach kümmern sich um ihn, vor allem sein Freund Heiner Brand steht ihm bei. „Da freue ich mich riesig drauf, schließlich ist das ja für mich. Schade, dass nicht noch mehr Leute in die Hallen gehen“, sagte Jo Deckarm über das Benefizspiel, das am 30. März 2004 – dem Jahrestag seines Unfalls – in der Saarbrücker Saarlandhalle zwischen der Deutschen Nationalmannschaft und einer Weltauswahl ausgetragen wurde. Der Anlass:
Am 19. Januar 2004 feierte der Ex-Spieler des VfL Gummersbach seinen 50. Geburtstag.
Mit der jetzigen Deutschen Nationalmannschaft verbindet ihn immer noch viel, denn Bundestrainer Heiner Brand wurde zusammen mit Deckarm Weltmeister und war auch in Gummersbach sein Teamkollege. Kein Wunder, dass Jo beim Endspiel der Europameisterschaft in Slowenien kräftig mit der deutschen Auswahl mitgefiebert hatte. „Das haben wir in Ungarn gesehen. Das war sehr interessant, und ich habe mich sehr für die Mannschaft gefreut über den Erfolg“, strahlte Jo über das ganze Gesicht. „Endlich mal nicht nur Zweiter gewesen.“Richtig der Schalk im Nacken saß
Deckarm bei der Antwort auf die Frage, wie ihm sein einstiger Teamkollege Brand nach dem EM-Titel mit abrasiertem Schnauzbart gefallen habe: „Bisschen naggisch“, sagte Jo und grinst breit.
Zehn Jahre später, zu Deckarms
6o. Geburtstag, kamen die Zuschauer in die Joachim-DeckarmHalle nach Saarbrücken, um ein Benefizspiel der besonderen Art zu erleben. Das Weltmeister-Team von 1978 gab sich noch einmal die Ehre und zauberte wie in den besten Tagen, sehr zur Bewunderung von Jo. Die Verantwortlichen des Handball-Verbandes Saar sind bemüht, zum 70. Geburtstag von Deckarm wieder einen besonderen Leckerbissen anzubieten. Im Frühjahr 2024 soll dieses Spiel stattfinden.
Weltauswahl kommt zu seinem 50. Geburtstag