Die Zeit des Zögerns ist für die Mullahs vorbei
Der iranische Revolutionsführer Khamenei hat die Kämpfer der Basidsch-Miliz für ihren Gewalteinsatz gegen die Protestbewegung gelobt. Damit signalisiert er, dass er jeden Kompromiss mit den Demonstranten ablehnt.
Das iranische Regime will die Protestbewegung im Land ab sofort mit größerer Härte bekämpfen. Revolutionsführer Ajatollah Ali Khamenei sagte am Wochenende, die Demonstranten seien entweder „Söldner“oder unwissende „Werkzeuge“des feindlichen Auslands. Auch Präsident Ebrahim Raisi kündigte an, gegen die Unruhen werde „entschieden vorgegangen“. Die Elitetruppe der Revolutionsgarde verlegte schwer bewaffnete Einheiten ins iranische Kurdengebiet, um die Proteste dort niederzuschlagen. Dennoch versammelten sich Demonstranten in mehreren Landesteilen zu neuen Protestkundgebungen.
Seit Beginn der Protestwelle nach dem Tod der 22-jährigen Mahsa Amini im Gewahrsam der Religionspolizei am 16. September sind nach Zählung der Menschenrechtsgruppe Iran Human Rights bei Straßenschlachten bisher 416 Zivilisten getötet worden, mehr als 10 000 wurden festgenommen.
Die Demonstranten fordern mehr Freiheit und die Abschaffung der Theokratie.
Trotz der Gewalt des Staatsapparats betonten Raisi und andere führende Politiker der Islamischen Republik in den vergangenen Wochen mehrmals ihre Gesprächsbereitschaft. Raisi stellte Gesetzesänderungen in Aussicht. Auch Justizchef Gholam-Hossein Mohseni-Ejei sagte, die Islamische Republik sei zu „Korrekturen“bereit. Der prominente Ex-Fußballer Voria Ghafouri und der Blogger Hossein Ronaghi, die wegen ihrer Unterstützung für die Protestbewegung fest
genommen worden waren, kamen am Wochenende frei.
Doch Revolutionsführer Khamenei, der mächtigste Mann im Land, hat sich offenbar für einen harten Kurs entschieden. Er lobte die Mitglieder der Basidsch-Miliz, die zur Revolutionsgarde gehört und vom Staat gegen die Proteste eingesetzt wird, als opferbereite Patrioten. Bei einem Treffen mit Milizionären am Samstag sagte der 83-jährige Khamenei, die Basidsch-Mitglieder schützten das Volk „vor einer Gruppe von Unruhestiftern“. Damit habe Khamenei alle Spekulationen über politische Veränderungen beendet,
schrieb der Iran-Kenner Kian Sharifi auf Twitter. Appelle an da Regime, es solle den Demonstranten zuhören, habe Khamenei zurückgewiesen, schrieb Sharifi, der den Iran für den Dokumentationsdienst der britischen BBC beobachtet.
Khameneis kompromisslose Linie ist innerhalb der iranischen Elite offenbar nicht unumstritten. Nach Berichten von Oppositionsmedien hatte der frühere Präsident Mohammad Khatami in einem Brief an den Revolutionsführer für begrenzte politische Reformen geworben. Khamenei habe Khatamis Initiative aber ignoriert.
Die Androhung von mehr Gewalt schreckte die Demonstranten am Wochenende nicht ab. Aktivisten berichteten, Arbeiter der Stahl- und Autoindustrie seien in einen Streik getreten. Auch Lastwagenfahrer sollen die Arbeit niedergelegt haben. Im südöstlichen Zahedan schoss die Polizei nach Oppositionsangaben am Freitag mit scharfer Munition auf Demonstranten. Videos im Internet zeigten einen Protestzug von Studenten in der Großstadt Isfahan; in Aligodarz nordwestlich von Isfahan setzten Demonstranten ein Denkmal für Ajatollah Ruhollah Khomeini, den Gründer der Islamischen Republik, in Brand. Auch aus der Hauptstadt Teheran wurden neue Proteste gemeldet.
Mit besonderer Härte unterdrückt das Regime die Proteste im nordwest-iranischen Kurdengebiet, der Heimat von Mahsa Amini. Einheiten der Revolutionsgarde mit schweren Waffen wurden in den vergangenen Tagen in die Gegend verlegt. Zudem nahm der Iran erneut die Stellungen kurdischer Gruppen im benachbarten Irak unter Beschuss; Teheran wirft ihnen vor, die Unruhen im Iran zu organisieren.
Als feindseligen Schritt des Auslands wertet Khameneis Regierung auch die Entscheidung des UN-Menschenrechtsrates, den Gewalteinsatz des iranischen Staates gegen die Demonstranten zu untersuchen. Außenminister Hossein Amirabdollahian wies den Beschluss als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Iran zurück. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, der Österreicher Volker Türk, sprach von einer „Wagenburg-Mentalität“der iranischen Führung.