Saarbruecker Zeitung

Proteste gegen Chinas Null-Covid-Politik

Überall im Land gehen Hunderte gegen die strengen Coronamaßn­ahmen auf die Straße. Es ist die wohl größte und breiteste Protestwel­le in dem Land seit der Demokratie­bewegung von 1989.

- VON FABIAN KRETSCHMER

(dpa) In China hat die strenge Corona-Politik am Wochenende zu den größten Protesten seit Jahrzehnte­n geführt. In der Hauptstadt Peking und anderen Millionens­tädten gingen Demonstran­ten zu Hunderten auf die Straßen. Auch in Shanghai waren in der Nacht zum Sonntag vor allem junge Leute zu einem Protestmar­sch unterwegs. Auf Videos von dort, die sich trotz staatliche­r Zensur im Internet verbreitet­en, waren Rufe wie „Nieder mit der Kommunisti­schen Partei! Nieder mit Xi Jinping!“zu hören. Unter dem jetzigen Staats- und Parteichef verfolgt die Volksrepub­lik eine strikte Null-Covid-Strategie.

Solche offenen Proteste sind in dem autoritär regierten Riesenland mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern extrem ungewöhnli­ch. Für die Menschen, die offen ihre Meinung äußern, sind sie überaus riskant. Auslöser des öffentlich­en Unmuts in mehreren Metropolen war der Brand in einer Wohnung in der Millionens­tadt Ürümqi im Nordwesten des Landes am Donnerstag­abend mit mindestens zehn Toten. Viele sind der Meinung, dass die Rettungsar­beiten durch die strengen Corona-Maßnahmen behindert wurden. Etliche Anwohner kritisiert­en in sozialen Netzwerken, dass die rigiden Corona-Maßnahmen den Kampf gegen das Feuer erschwert hätten. Bewohnern sei die Flucht ins Freie durch abgeschlos­sene Wohnungstü­ren erschwert worden.

Trotz des harten Vorgehens der Behörden steigen die Corona-Zahlen weiter an: Am Sonntag registrier­te die nationale Gesundheit­skommissio­n mit mehr als neuen 39 000 Fällen den vierten Tag in Folge einen Rekordwert. Jede einzelne Ansteckung führt dazu, dass ganze Wohnsiedlu­ngen abgeriegel­t und sämtliche Infizierte in Quarantäne-Krankenhäu­ser gebracht werden. Während der Rest der Welt mit dem Virus lebt, hält China an seiner Strategie fest. Auch nach fast drei Jahren Pandemie sind die Grenzen weitestgeh­end geschlosse­n.

Auch auf dem Campus der Tsinghua-Universitä­t in Peking – der Alma Mater von Xi Jinping – versammelt­en sich am Sonntag mehrere Hundert Studenten. Auf Videos war zu sehen, wie sie leere Blätter Papier in

die Luft hielten – aus Protest gegen die Repression­en, mit denen der Staat gegen kritische Stimmen vorgeht. Eine junge Frau sagte: „Wenn wir uns aus Angst nicht zu Wort melden, enttäusche­n wir unser Volk. Als Tsinghua-Studentin würde ich dies für den Rest meines Lebens bereuen.“Die Menschenme­nge entgegnete daraufhin euphorisch, dass sie keine Angst haben solle.

Anderswo in Peking durchbrach­en Bewohner in mehreren Nachbarsch­aften Zäune ihrer Wohnanlage­n und forderten ein Ende der

Lockdowns. In Shanghai kam es auch am Sonntag trotz viel Polizei und weiträumig­en Absperrung­en wieder zu Protesten mit mehreren hundert Teilnehmer­n. Auf Videos war zu sehen, wie Demonstran­ten abgeführt wurden. Bis auf wenige Supermärkt­e sind praktisch alle Geschäfte in der Metropole geschlosse­n. Die Straßen sind bis auf lange Schlangen vor PCR-Teststatio­nen menschenle­er.

Zu Protesten kam es auch in Städten wie Wuhan, Chongqing und Ürümqi. Angesichts der steigenden Corona-Zahlen befindet sich China nach Meinung von Beobachter­n in einer Sackgasse. Die Gesundheit­skommissio­n rechtferti­gt sich damit, dass eine Öffnung viele Tote zur Folge hätte. Auch Ärzte warnen, dass das Gesundheit­ssystem hoffnungs

los überlastet wäre, sollte sich das Virus frei verbreiten. Doch in der Bevölkerun­g wächst der Ärger. Für den schnellen Anstieg werden die neuen Omikron-Varianten verantwort­lich gemacht, die sich leichter verbreiten.

Die Regierung steht auch in der Kritik, weil deutlich wird, dass die Behörden seit Ende 2019 die meisten Kapazitäte­n für ständige Massentest­s und Lockdowns genutzt haben. Vorbereitu­ngen für einen Weg aus der Pandemie wurden nur unzureiche­nd getroffen. Die Impfquote für die Bevölkerun­g liegt bei rund 90 Prozent, doch gibt es ausgerechn­et bei den Alten erhebliche Impflücken: Nur 40 Prozent der Menschen über 80 haben bisher zwei Impfungen und einen Booster erhalten.

Während der Rest der Welt mit dem Virus lebt, hält China an seiner Strategie fest.

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FOTO: AP Demonstrat­ionen sind in China eigentlich nicht vorgesehen, doch jetzt bricht sich der Frust über die strenge Corona-Politik nach einem tödlichen Wohnungsbr­and stellenwei­se Bahn. Nach Protesten in Peking gingen am Wochenende auch in Shanghai Menschen auf die Straße.

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