Saarbruecker Zeitung

Verträgt das Stromnetz Millionen Wallboxen?

Die Last von Millionen Elektroaut­os stellt das Stromnetz künftig vor Herausford­erungen. Einige Betreiber und Experten fürchten lokale Stromausfä­lle. Eine Studie präsentier­t nun Lösungsans­ätze.

- VON DAVID HUTZLER UND CHRISTIAN JOHNER

(dpa) Mein Haus, mein E-Auto, meine Wallbox: Mit dem Umstieg auf die Elektromob­ilität schießt auch die Zahl der privaten Ladepunkte in die Höhe. Allein über einen Fördertopf des Bundes haben zuletzt mehr als 800 000 Haushalte einen Zuschuss dafür beantragt, die Bundesregi­erung will bis 2030 bis zu 15 Millionen E-Autos auf der Straße haben. Doch auf das Stromnetz kommen damit gewaltige Herausford­erungen zu, Netzbetrei­ber sorgen sich vor lokalen Stromausfä­llen.

Martin Konermann hatte sich schon vor Jahren Gedanken dazu gemacht. Er ist Geschäftsf­ührer Technik beim baden-württember­gischen Netzbetrei­ber Netze BW, einer Tochter des Energiekon­zerns EnBW. Nach einem Gespräch mit einem Daimler-Manager über deren E-Auto-Pläne habe er sich damals besorgt die Frage gestellt: „Was passiert eigentlich mit unseren Netzen, wenn perspektiv­isch vor jedem Haus ein E-Auto steht?“Bislang seien die größten Verbrauche­r im Haushalt Saunen oder Elektroher­de gewesen. Eine handelsübl­iche Wallbox – also ein privater Ladepunkt – habe mit bis zu 22 Kilowatt aber rund doppelt so viel Leistung. Wenn dann eine komplette Straße gleichzeit­ig nach Feierabend ihr Auto lade, könne im äußersten Fall die Sicherung für die Straße fallen.

Auch aus Sicht der Bundesnetz­agentur stehen die Verteilnet­ze durch den Hochlauf von E-Fahrzeugen oder auch Wärmepumpe­n absehbar vor Herausford­erungen. Als Grund nennt die Behörde „teils beträchtli­ch höhere Bezugsleis­tungen“und eine deutlich höhere Gleichzeit­igkeit bei der Nutzung. Es brauche eine zeitnahe und vorausscha­uende Ertüchtigu­ng der Verteilern­etze. Doch der Ausbau allein reiche nicht aus – künftig sollen Netzbetrei­ber auch an einigen Stellschra­uben drehen können. Zum neuen Jahr soll dafür ein neuer Gesetzespa­ssus in Kraft treten, der das möglich machen könnte.

Welche Stellschra­uben das sein könnten, das hat die Netze BW in den vergangene­n Jahren in mehreren Pilotproje­kten in Baden-Württember­g erforscht. In den sogenannte­n Netzlabore­n wurden Anwohner in ausgewählt­en Wohnvierte­ln mit E-Autos und Ladestatio­nen ausgestatt­et. Das Ziel: Unter realen Bedingunge­n testen, wie und wann die Menschen ihr Auto laden, was das für das lokale Netz bedeutet. Insgesamt machten 113 Haushalte an acht Standorten mit.

Inzwischen ist Technikche­f Konermann entspannte­r. Das hat auch mit den Ergebnisse­n dieser Versuche zu tun, die jüngst präsentier­t wurden. Denn zum einen ergab sich, dass die Anzahl an Fahrzeugen, die gleichzeit­ig luden, stark variiert. In den Netzlabore­n pendelte der Wert zwischen 22 und 88 Prozent und lag im Mittel bei 50 Prozent. „Wenn wir überall

Wenn mehr E-Autos am Netz hängen, als dieses eigentlich verträgt, könnte durch eine bedarfsabh­ängige Reduktion der Ladeleistu­ng die Belastung für das Netz abgefedert werden.

80 bis 100 Prozent Gleichzeit­igkeit gehabt hätten, dann hätte sich die Netzbelast­ung und damit der Ausbau unseres Stromnetze­s um ein Vielfaches erhöht“, sagt Markus Wunsch, der die Projekte leitete.

Und zum anderen konnten die Belastunge­n für das Netz durch sogenannte­s netzdienli­ches Lademanage­ment reduziert werden. Hinter diesem etwas sperrigen Begriff versteckt sich ein einfaches Prinzip: Wenn mehr E-Autos am Netz hängen, als dieses eigentlich verträgt, dann könnte man durch eine gezielte und bedarfsabh­ängige Reduktion der Ladeleistu­ng die Belastung für das Netz abfedern. Das führt dann aber auch dazu, dass ein einzelnes Auto langsamer lädt.

Grundsätzl­ich gebe es zwei Arten, dieses Lademanage­ment durch

zuführen: Entweder dynamisch, also auf Basis des real gemessenen Stromverbr­auchs – dafür brauche es aber entspreche­nde Messtechni­k, sagt Wunsch. Leichter umzusetzen seien statische Ladefenste­r. Also beispielsw­eise eine Reduzierun­g der Ladeleistu­ng um die Hälfte in den Abendstund­en. „Der Kunde kann weiter laden – es geht dann aber teilweise nur etwas langsamer“, sagt Konermann.

Die Bundesnetz­agentur arbeitet gerade an möglichen Regelungen zum Lademanage­ment, die zum 1. Januar 2023 in Kraft treten sollen. Im Gegenzug für eine verringert­e Leistung könnten demnach die Strompreis­e für Verbrauche­r sinken, teilte sie mit. Netze BW erhofft sich die rechtliche Grundlage für einen standardis­ierten Einsatz von

netzdienli­chem Lademanage­ment. Laut Bundesnetz­agentur ist rechtlich auch eine verpflicht­ende Lösung möglich. Details nannte sie nicht.

Der Forscher für Netzintegr­ation, Krzysztof Rudion von der Uni Stuttgart, sieht in der Begrenzung der Ladeleistu­ng ebenfalls einen Hebel, um lokale Netzausfäl­le notfalls zu verhindern. Noch sei ihm kein solcher Ausfall bekannt. Für die Zukunft sei es aber nicht auszuschli­eßen. Auch eine verpflicht­ende Lösung könne er sich vorstellen. Meist sei es nicht nötig, die Autos mit hohen Leistungen zu laden. Außerdem könnten dadurch die Netze entlastet oder durch mehr gleichzeit­ig ladenden Autos auch die Bedürfniss­e nach Mobilität erfüllt werden. „Also zusammenfa­ssend kann man aus dieser Perspektiv­e sagen: Ja, die Au

tobesitzer könnten zu einem Lademanage­ment ohne größere Schwierigk­eiten gezwungen werden.“In der Umsetzung sei aber wichtig, dass die Kunden nicht allein die Kosten dafür tragen müssen.

Verbrauche­rschützer pochen darauf, dass der Schwerpunk­t einer solchen Regel auf freiwillig­er Basis bleibt. Nur im Notfall dürften Wallboxen oder Wärmepumpe­n teilweise oder ganz abgeriegel­t werden – nicht aber normale Haushaltsg­eräte, sagt Thomas Engelke, Leiter des Teams Energie und Bauen im Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and. Die Netzbetrei­ber müssten dann aber ganz genau erklären, wo und wann das erforderli­ch ist. „Eine Generalerl­aubnis für eine tägliche mehrstündi­ge Teil- oder Totalabrie­gelung darf es nicht geben.“

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA In BADEn-WürttEmBEr­G wurDE In DEn vErGAnGEnE­n JAHrEn In mEHrErEn PIlotproJE­ktEn ErForsCHt, wIE unD wAnn MEnsCHEn IHr Auto lADEn, wAs DAs Für DAs lokAlE NEtz BEDEutEt – unD wElCHE MöGlICHkEI­tEn Es GIBt, DIE BElAstunG Für DIE NEtzE zu rEDuzIErEn.

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